Ich hätte mir meinen Freitagabend echt entspannter vorgestellt. Lion war gegangen, Jo telefonierte nebenan in voller Lautstärke mit ihrem Freund, Mama und Papa begannen schon jetzt, das wichtigste für Sylvester zu planen. Frustriert griff ich in die Schublade mit meinem eisernen Schokoladenhasen-fürs-ganze-Jahr-Vorrat und öffnete eine neue Packung mit einem weissen Osterhasen. Himmlisch...
Leider öffnete sich Sekunden später meine Zimmertür. Ertappt drehte ich mich auf meinem Schreibstischstuhl um. «Jade, bist du in der letzten halben Stunde über irgendein Kabel gestolpert? Mein Internet funktioniert nicht und ich muss dringend noch ein Foto hochladen. Jetzt!», prasselte Jos Monolog auf mich runter.
Seufzend liess ich von meinem Schokohasen ab. «Nein, ich bin mir ziemlich sicher, nicht über ein Kabel gestolpert zu sein. Aber vielleicht machst du einfach mal blau und kümmerst dich um wichtigere Dinge im Leben? Schokolade zum Beispiel? Und ich rede nicht von Schokolade auf einem Bild, sondern vom echten, wahren Genuss...»
Ich hielt ihr die Tüte mit dem zerschlagenen Hasen hin. Jo zögerte kurz, dann grinste sie und nahm sich ein Stück weisse Schokolade.
«Hach, da fällt mir wieder ein, was ich an Weihnachten noch als Spezialzutat verwenden wollte! Weisse Schokolade!» Jo schlug sich mit der Hand vor die Stirn und schwupps, war sie mit ihren Gedanken wieder bei ihrer Lieblingsbeschäftigung. Ihre Kochkünste in allen Ehren, aber in letzter Zeit hatte ich echt das Gefühl, dass sie dauergestresst war und überhaupt nichts von der entspannten Weihnachtsstimmung mitbekam. Wann verliess sie überhaupt einmal das Haus und sah die Welt in echt und nicht innerhalb der Küche durch eine Linse?
Seufzend wendete ich mich wieder meinem Schokohasen zu und machte ein paar moderne Weihnachtsongs an, normalerweise eigentlich überhaupt nicht meine Richtung. Ich stand eher auf Klassik, es faszinierte mich einfach, dass schon seit Jahrhunderten diese Lieder und Melodien gespielt wurden. Aber okay, ich war leider ziemlich alleine mit dieser Meinung. Was mich nicht weiter wunderte, schliesslich verstand ich es ja manchmal selbst nicht ganz.
«Du blödes Miststück, gleich landest du wirklich dort wo du hingehörst, nämlich auf dem Misthaufen! Oh ja, glaub mir, ich werde es mir nicht nehmen lassen, dich eigenhändig dorthin zu schleppen. Welcher Idiot hat dich eigentlich installiert?», drang es aus Jos Zimmer.
Ich musste mich zurückhalten, nicht loszuprusten. Wenn ich mir das nicht noch den ganzen Abend anhören wollte, sollte ich ihr wohl mal anbieten, an meinem Laptop weiterzuarbeiten.
Ich erhob mich mit einem Ächzen aus meinem riesigen «Chefsessel», wie Lion ihn gerne nannte und klopfte an Jos Tür, die in dem Moment geöffnet wurde. Jo trat mit ihrer Kamera und dem Verbindungskabel aus dem Zimmer und grinste bei meinem Anblick.
«Zwillingsgedanke?», fragte sie. Ich nickte und liess sie in mein Zimmer.
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Schaschlikspieße und Shakespeare
Teen Fiction«Jade?» «Hm?» «Wenn du wählen könntest, ob Jo deine Schwester oder dein Zwilling ist, was würdest du nehmen?» «Wenn ich sehe, was für einen Keil 29 Minuten schon zwischen uns gebracht hat, würde ich mit Jahren nicht klarkommen.» Jade und Joana sind...