16 ~ Jade

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«Und, wirst du mitgehen, wenn Jo ihren Fernsehauftritt hat?», fragte Lion.
Wir waren auf dem Weg zur Schule, beziehungsweise warteten seit einer halben Ewigkeit darauf, dass die Fussgängerampel endlich grün wurde.
«Denke schon. Wenn ich ansonsten nichts loshabe... Mama meinte, sie habe eher Angst, dass ich das halbe Studio zerstöre weil ich über ein Kabel fliege.» Lion lachte schallend. «Ich glaube da hat sie recht. Wenn du es schon schaffst eine Lautsprecherbox zu Boden zu werfen, wird dich ein Kabel nicht aufhalten.» Das stimmte natürlich. Ich seufzte laut. «Ich wünschte ich hätte nur diese Box auf dem Gewissen. Aber da wäre noch eine endlose Liste an anderen Dingen. Der Dosenturm im Supermarkt, Omas Geburtstagskuchen samt Sonntagsgeschirr, der Laptop im Computerraum. Und seit gestern ist da auch noch Jos Bachblech mit frischen Keksen.»
  «Sorte?», fragte Lion.
  «Erdbeer-Vanille.», antwortete ich.
«Na dann waren es ja wenigstens leckere», versuchte Lion es optimistisch.
Ich schüttelte den Kopf. Ich war nicht in Stimmung für Scherze.
«Wenigstens war es ein Unfall bei uns zu Hause und nicht sonst wo. Mama hätte mich ungebracht, wenn ich mir schon wieder ein Hausverbot eingehandelt hätte. Es ist doch immer dasselbe: Wo gehen wir essen? Beim Japaner. Ach nee, geht ja nicht, Jade hat dort Hausverbot, weil sie einmal das ganze Förderband mit Tellerchen abrasiert hat.»
  «Versprich mir einfach, dass du bei deinem ersten Date, vorausgesetzt du wirst überhaupt irgendwann mal eins haben, es nicht versaust und dir ein neues Hausverbot holst.»
Na vielen Dank auf. Warum sagte mir das jeder? Ich ging gar nicht auf Lions Bemerkung ein, sondern liess ihn laut wissen, das es «Grün!» war und lief los. Lion hetzte mir hinterher.
Ich sah stur nach vorne und ging die letzten Meter zur Schule im Laufschritt.
«Okay», keuchte Lion. «Ich weiss das du beleidigst bist, aber beantworte mir noch eine Frage: «Wann ist die Fernsehaufzeichnung?»
  «Fünfzehnter Januar.»
Lion blieb aprupt stehen. Dann joggte er wieder zu mir und versuchte mit mir im Gleichschritt zu gehen.
«Du weisst aber schon was an diesem Abend ist, oder?»
Ich verdrehte die Augen. «Wahrscheinlich irgendein Fussballspiel, dass du sehen willst?»
Lion lachte auf. «Nein, es geht hier um dich und nicht um mich. Am 15. ist die Theater- aufführung von Hamlet. Mit dir als Ophelia, so viel ich weiss.»
Mist, das wusste ich tatsächlich nicht...
«Deine Mutter wird dir erst recht nicht erlauben mit Jo mitzufahren wenn sie das erfährt...», fügte Lion hinzu.
«Sie weiss es aber nicht.», sagte ich beinahe trotzig.
«Wie, du hast es ihr immer noch nicht gesagt? Auch nicht deinem Vater oder Jo?» Lion deutete mein darauf folgendes Kopfschütteln als nein.
Er stöhnte. «Mann Jade! Warum? Du hast Talent, beweise das deiner Familie doch endlich mal!»

Talent? Da konnte ich ja nur lachen.
«Wie kannst du das sagen? Du warst ja bei den Proben dabei und hast gesehen, wie ich mich angestellt habe.»
Lion hatte sofort etwas einzuwenden.
«Von wegen! Du spielt wenigstens authentisch. Glaub mir, jeder fühlt sich besser unterhalten wenn er dir zusieht, als einer Teresa oder sonst wem, die nur ihren Text runterrattern. Ausserdem wird Ophelia eh wahnsinnig gegen Ende des Stücks, da darf man sie ruhig etwas überdreht spielen.»
  «Na toll», sagte ich, «ist das jetzt eine Beleidigung oder ein Kompliment?»
Lion hielt an und packte mich an den Schultern. «Jetzt hör mir doch mal zu! Du hast sehr viele tolle Talente, aber das Problem ist, dass du dich versteckst. Vielleicht hat deine Familie und dein Umfeld die Vorstellung, jemand wie Jo ist die Perfektion in Person, aber das ist nur, weil du ihnen nicht zeigst, was in dir steckt. Es bringt nichts, wenn du Jo nachahmst, weil ihnen dann nur auffällt, dass du nicht so gut bist wie sie. Zeige ihnen deine Talente, beweise ihnen das es nicht nur eine Vorstellung einer perfekten Tochter gibt!»
Er hatte sich richtig in Rage geredet, etwas dass bei Lion nur selten vorkam.
«Okay», flüsterte ich. «Ich werde es ihnen sagen.»

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