20 ~ Jade

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Teresa verliess den Raum. Jetzt war ich endgültig die Letzte, die dran kam.
«Du kannst rein gehen, Jade», sagte sie und ging lächelnd davon.

Ich war unsicher. War das nicht einfach nur pures Risiko, in diesen Raum voller Nadeln und Nähmaschinen zu gehen? Nähmaschinen mit Kabel, wohlgemerkt! Die bessere Version einer Stolperfalle! Und von den ganzen Kostümen ganz zu schweigen. Sobald ich den Raum betreten würde, wäre nichts davon mehr sicher.

Debbie steckte den Kopf durch die geöffnete Tür. Ihr Blick scannte suchend den Korridor ab, bis sie mich entdeckte. Mein Versuch, mich hinter einem Stück ausrangierter Kulisse zu verstecken, war leider fehl geschlagen.
«Kommst du, Jade? Wir wollen langsam Feierabend machen und du bist die Einzige, die noch nicht durch ist mit der Kostümprobe.»
Seufzend folgte ich ihr.

Doch dann betrachtete ich staunend die vielen schönen Kleider, Mäntel und Jackets, die schön in Reih und Glied an den Kleiderstangen hingen.
Alex kniete vor einer Puppe, die ein langes, weisses Kleid trug und hantierte mit Stecknadel rum.
«Bin gleich fertig mit deinem Kleid», sagte sie, aber wegen der Nadeln, die sie sich zwischen die Lippen geklemmt hatte, klange es eher wie: «Mim gluch furtug mut dunum Kloid», oder so ähnlich.
Moment mal.... meinem Kleid?

«Ich muss ein langes Kleid tragen?!», fragte ich Debbie entsetzt. Sie sah mich mindestens genauso entsetzt an.
«Natürlich! Was dachtest du denn? Zu Shakespeares Zeiten waren Miniröcke absolut noch nicht im Trend. Alles andere als dieses Kleid wäre Stilbruch!»
Sie mochte vielleicht recht haben, aber ich sah mich schon auf dem Treppenaufgang der Bühne fallen, wie Jennifer Lawrence bei der Oscar-Verleihung...

Alex musste sich das Lachen verkneifen und ich hatte Angst, sie würde eine der Stecknadeln schlucken.
Einen Augenblick später war sie aber zum Glück fertig und hielt mir das Kleid, oder sollte ich eher Nachthemd sagen, vor die Brust.
«Anziehen!»
Ich wollte mich grade bei Debbie beschweren, dass da noch gottverdammte Nadeln im Kleid waren, aber sie warf mir einen warnenden Blick zu. Grummelnd verzog ich mich hinter den schicken Paravent, um mich umzuziehen.

«Habe ich es nicht gewusst? Sie sieht toll aus! Genau so, wie ich mir Ophelia vorstelle!», schwärmte Alex, als ich im Nachthemd hervortrat.
Debbie nickte zustimmend und beide betrachteten stolz ihr Werk.
Ich versuchte mich nicht zu sehr von ihnen überzeugen zu lassen.
Warte nur bis du einen Spiegel siehst, dachte ich mir, sagte es aber nicht laut.

So weit kam es zu Glück nicht, denn wir waren uns alle einig, dass es besser war, mich nicht allzulange damit rumlaufen zu lassen, wenn die beiden jetzt Feierabend machen wollten...

Ich wartete im Korridor, bis Alex und Debbie fertig mit aufräumen waren und dann verliessen wir zu dritt die Schule. Die beiden quatschten über gewisse Änderungen, die sie beim Kostüm des Königs noch vornehmen mussten, oder wie hinreissend Teresa ausgesehen hatte. Ich natürlich auch, versicherten sie mir.
Ich hoffte bloss, dass es das wert war.  Ich hoffte, dass alles gut gehen würde und ich meine Mutter nicht enttäuschen würde, wenn sie zur Aufführung kam.
Ich wollte ihr beweisen, was ich draufhatte. Und wenn ich dafür in einem bodenlangen Nachthemd über die Bühne gehen musste.

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