Kraftvoll drücke die hölzerne Tür auf, die wie so oft klemmt. Der abgestandene Rauch von zu vielen billig Zigaretten, der die Wohnung bis in den letzten Winkel ausfüllt, schlägt mir entgegen und heißt mich in meinem Zuhause willkommen.
Ich habe schon lange den Versuch aufgegeben, durch ständiges Fenster aufreißen meine Lungen zu schonen. Gesundheit interessiert hier keinen und besonders nicht meine. Nur in meinem mickrigen Zimmer ist die Luft halbwegs erträglich.
Ohne Jenny – meine Mutter – oder Tom zu begrüßen verdrücke ich mich unbemerkt in mein kleines Reich. Erstere sitzt mit Inge – drei Stockwerke und unter uns – und Luisa, von Gegenüber, in der Küche und tauscht den neusten Tratscht und Klatsch aus. Neben den neusten Geschichten über eventuelle Affären, Geld, A bis Z Promis und Männern wird dabei das ein oder andere Glas Discounter Wein geleert. Tom sitzt wie meistens im Wohnzimmer auf dem durchgesessenen grünen Sofa. Eine Bierdose in der Hand, einem vollen Aschenbecher vor sich auf dem kleinen Holztisch und eine glühenden Zigarette in der Hand. Im Fernseher läuft gerade uralte Wiederholung einer Gerichtsshow.
Die Tür fällt hinter mir zu und die Stimme des Richters schafft es nicht mehr ihren Satz: „Herr, Krüger, jetzt geben sie doch endlich zu...", zu vollenden. Das erste, was ich mache, ist das Stück Papier in meiner Hand auf meinen Schreibtisch zu pfeffern, gefolgt vom Aufreißen meines Fensters. Der Qualm schafft es leider, doch den schmalen Spalt unter der Tür bis hier herein.
Der Ausblick ist nicht spektakulär: die Fassade eines Hauses, das dem, in dem ich wohne, zum Verwechseln ähnlich sieht.
Im Zimmer ist es still, nur von unten dringt der Lärm, der vorbeifahrenden Autos leise herauf. Es ist aber lange nicht so laut, dass man sich an dem Geräusch stören würde. Durch die Tür kann ich sogar das Schlussplädoyer des Staatsanwalts erahnen. Der Angeklagte hat gestanden, drei Jahre Freiheitsentzug und die Sendung ist vorbei. Doch ich weiß genau, dass die nächste folgen wird. Irgendetwas findet man doch immer. Es ist eine Sucht. Oder besser gesagt eine Gelegenheit sich vor dem wahren Leben und den Menschen zu verstecken.
Seufzend lasse ich mich auf mein Bett fallen. Ziellos schweift mein Blick in meinen vier Wänden hin und her. Vom verschlossenen Kleiderschrank zum Schreibtisch, wo sich die Schulbücher, die jetzt wohl im Müll oder in einer Secondhand Bücherei landen, ordentlich stapeln, bis hin zum sperrangelweit offenen Fenster.
Oben auf liegt das Diplom.
Dieses Diplom, dass ich zuvor achtlos dorthin geschleudert habe.
Der Schrank und der Schreibtisch sind zusammen mit dem Bett die einzigen Möbel in meiner kleinen Kammer. Die grauweißen Wände sind leer. Das Zimmer ist aufgeräumt, steril, nichts sagend. Es würde nicht einmal auffallen, wenn ich nicht mehr hier wäre.
Dieser Raum drückt das, aus was ich bin. Eine leere Hülle, die nichts beinhaltet. Ein Jemand der nie richtig gelernt hat zu leben. Gott, jetzt wirst du auch noch philosophisch Mia und mutierst nebenbei noch zur Drama Queen, höhne ich über mich selbst.
Der Zettle, da drüben, auf meinem Bücherstapel, sollte eigentlich der Beginn des richtigen Lebens sein. Wie das schon klingt, das richtige Leben. An sich ist dieses Papier ja wertlos, Papier eben. Was draufsteht bedeutet aber etwas.
Mein Abschlussdiplom.
Sogar richtig gut, über dem Durchschnitt.
Doch was soll ich damit? In meiner Welt ist dieses Diplom was es ist.
Papier. Papier kann man höchstens dazu benutzten, um Sachen aufzuschreiben, eine Einkaufsliste zum Beispiel oder Origami vielleicht krieg ich noch diesen süßen Vogel hin, den wir in der 5. Klasse zum Muttertag gemacht haben, doch da dieses Papier bedruckt ist fallen diese Optionen schon mal weg. Also bleibt nur noch das Verbrennen.
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Sun
Подростковая литератураDen Abschluss in der Tasche und was jetzt? Vor dieser Frage steht das Erwachsen gewordene Auswanderer-Kind Mia mitten auf der überfüllten Ferieninsel Mallorca. Einen Kellnerjob im Sunny's fürs erste, doch was nach dem Sommer passieren soll, steht in...