Heute ist Donnerstag und heute habe ich frei. Was aber wiederum bedeutet, dass ich Jennys Sklavin auf Zeit bin. Zuerst lässt sie mich die ganze Wohnung putzen und später schickt sie mich auch noch mittags, mit einer gefühlt meterlangen Einkaufsliste, zum Einkaufen. Was überhaupt nicht einfach ist, denn sie wollen alles, aber Geld ausgeben wollen sie nicht. So muss ich immer penibel auf die Preise und das billigste Angebot achten. Aber bevor ich mich durch die unzähligen Angebote im Supermarkt quäle schlage ich noch den Weg zum Strand ein.
Die Worte von Lucas lassen mich nicht los. Ich muss es einfach ausprobieren, ob ich ins Wasser komme oder nicht. Ich hatte noch nie Angst vor dem Meer. Respekt schon, aber keine Angst.
Der Strand ist schon ziemlich voll, aber ich lege meine Tasche trotzdem etwas Abseits in den Sand. Langsam Schritt für Schritt gehe ich auf das Wasser zu. Siehst du Mia, das geht doch ganz leicht!
Es fehlen nur noch wenige Schritte und ich stehe im Wasser. Das Wasser schwappt über meine Zehen bis hin zu meinen Knöcheln. Ich spüre den groben Sand unter meinen Fußsohlen und vereinzelte scharfkantige Steinchen, die sich schmerzhaft in meine Haut bohren. Aber ich bleibe ich stehen. Ich weiß nicht mal genau warum, ich tue es einfach. Das Wasser schwemmt etwas Sand unter meinen Füßen hinweg aber ich kann nicht weiter. Von einem auf den anderen Moment beginnt mein Herz viel schneller zu schlagen und meine Hände fangen an zu schwitzen. Obwohl mir nicht mal warm ist, eher im Gegenteil ich friere. Und dann tauchen die Bilder in meinem Kopf auf und ich fühle wie dieselbe Panik zu ertrinken in mir aufsteigt, wie an dem Tag als ich Lucas das Leben gerettet habe. Jeder einzelne Moment von dieser Rettungsaktion kommt mir wieder in den Sinn. Das Meeres Rauschen ist plötzlich so laut und der salzige Geruch ist so wiederwertig, dass ich fast schon beginne zu würgen.
Ich kann es nicht. Diese Erkenntnis brennt sich in mein Gehirn. Ich kann es nicht. Ich kann einfach nicht weiter gehen, in das Meer hinein. Ich kann's nicht. Wie von alleine beginne ich rückwärts zu gehen, den Blick fest auf den Horizont vor mir gerichtet, ich taumle, falle, rapple mich wieder auf und schaffe es endlich mich umzudrehen. So schnell ich kann ziehe ich mich wieder an und renne schon fast durch den Sand. Einige skeptische Blicke von Urlaubern treffen mich, doch ich habe nur die Treppe zur Straße hinauf und somit das Ende des Strandes, im Blick, Langsamer werde ich erst wenn ich den Asphalt unter meinen Füßen spüre und der Geruch und Klang des Meeres leiser werden.
Was war das denn bitte? Was stimmt mit mir nicht? Das ist doch nicht normal. Vor zwei Wochen war es für mich noch normal regelmäßig die Woche im Meer schwimmen zu gehen und jetzt? Jetzt schaffe ich es nicht mal bis zu den Knien ins Wasser zu gehen. Okay Mia beruhig dich jetzt, vielleicht ist heute einfach nicht der richtige Tag dazu, vielleicht ist alles noch zu frisch und in ein paar Tagen ist alles wie vorher und ich kann diesen Tag endlich vergessen. Dieser Gedanke ist dumm, dumm und naiv. Aber ich werde mir nicht eigenstehen, dass ich ein Problem habe, von denen habe ich schon genug.
Weil mir nichts anderes übrigbleibt und mir die Ablenkung ganz gelegen kommt, steuere ich auf den nächsten Supermarkt zu und ziehe die lange Einkaufsliste hervor. Ganz oben steht natürlich die wöchentliche Dosis von Toms Zigaretten und Bier. Ich schnappe mir einen Einkaufwagen und versuche ihn so unfallfrei wie möglich durch die schmalen Gänge zwischen den Regalen zu manövrieren.
Nach fünfzehn Minuten Preisvergleichen, Schnäppchen und Sonderangeboten suchen habe ich den Großteil der Liste abgearbeitet. Der Einkaufswagen ist schon gut gefüllt und mir ist schleierhaft wie sich Jenny vorgestellt hat, wie ich das ganze Zeug in die Wohnung bekommen soll. Irgendwo im hinteren Teil des Ladens bricht ein kleiner Tumult aus, wenn man es als Tumult bezeichnen kann, wenn ein paar übermütige Jungs sich über die Regale hinweg zubrüllen welche Alkohol Vorräte sie noch aufstocken müssen und wer, denn jetzt als erstes den Wodka findet.
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Sun
Teen FictionDen Abschluss in der Tasche und was jetzt? Vor dieser Frage steht das Erwachsen gewordene Auswanderer-Kind Mia mitten auf der überfüllten Ferieninsel Mallorca. Einen Kellnerjob im Sunny's fürs erste, doch was nach dem Sommer passieren soll, steht in...