Ich würde gerne von mir behaupten, dass ich strak geblieben, nicht eingeknickt bin, dass ich nicht einen Moment über seine Einladung nachgedacht habe. Ja, das würde ich gerne von mir sagen können, denn es würde Stärke ausstrahlen, Stärke und Konsequenz. Aber ich bin weder stark noch konsequent. Ich habe drüber nachgedacht. Als ich das Mittagessen gekocht hab, mir die Standpauke von Jenny anhören musste, immer wieder bin ich alle möglichen Szenarien im Kopf durchgegangen, hab hin und her überlegt, war kurz davor hinzugehen, dann wieder nicht.
Ein großes Hin und Her.
Bis zum Schluss habe ich gezögert.
Wirklich bis zum Schluss, in meinem Fall ist das die Aussichtsplattform.
Hier, wo ich wie noch vor etwas mehr als einer Woche, an den hölzernen Zaun gelehnt gestanden bin und Lucas plötzlich neben mir auftauchte. Ich könne jetzt sagen, dass ich im letzten Moment noch zu Vernunft gekommen bin und hier angehalten habe, aber wenn ich ehrlich bin, war es weder Vernunft noch innere Stärke, die mich davon abgehalten haben zu dieser Party zu fahren. Es war Feigheit, schlicht und einfach Angst.
Angst, dass ich nicht hinpasse, Angst ausgeschlossen zu werden, Angst alleine zu sein.
Ich glaub heute Nachmittag war ich wirklich an einem Punkt wo ich geglaubt hab, ich würde da hingehen. Mir ist ja schließlich nicht aus heiterem Himmel plötzlich die Idee gekommen, ich müsste mir unbedingt ein neues Oberteil kaufen. Das hell orange schlichte Stück Stoff sitzt wirklich vorteilhaft an mir. Eine gute Wahl würde ich sagen, und es war nicht mal so teuer. Die leichte Brise lässt den leichten Stoff sachte meinen Oberkörper umspielen.
Auch wenn es feige war, war es dennoch vernünftig, hier die Notbremse zu ziehen. Was hätte ich da auch gemacht? Verloren rumstehen, mich peinlich berührt umsehen und hilflos an einen Becher klammern? Da ist es doch besser hier in aller Ruhe zu stehen und das Meer zu beobachten.
Heute ist unnatürlich dunkel, Wolken verdecken zum Großteil den Sternenhimmel. Vom Mond ist nur ein schwaches milchiges Licht, das durch einen Wolkenschleier dringt zu sehen. Aber es ist warm, fast schon heiß. Die schwüle Luft drückt mich förmlich nach unten.
Es wird regnen.
Vielleicht nicht jetzt gleich, aber in ein paar Stunden wird sich ein Gewitter über die Insel ausleeren. Die elektrisierte Luft ist durchdrungen von Musik, laute Musik, aber sie ist zu weit entfernt, als dass ich sie deutlich hören würde. Zu mir dringt nur noch ein undeutliches Wummern. Die Party, wahrscheinlich, zu der ich eingeladen wurde.
Aber so ist es doch besser für mich. Hier ist es schön ruhig und ich bin alleine, versuche ich mich selbst zu überzeugen. Laut atme ich aus und stütze mich mit meinen Unterarmen auf das morsche Geländer. Holzsplitter stechen unangenehm in meine Haut, aber die angenehme Wärme die vom Holz ausgestrahlt wird macht das wett.
Tja da bin ich also, jämmerlich, wirklich, das ist so erbärmlich, wie ich hier stehe und versuche mich davon überzeugen, dass es völlig normal ist, dass ich gekniffen hab, dass es das Natürlichste auf der Welt ist, dass ich alleine bin, keine Freunde habe. Warum bade ich auch so in Selbstmittleid. Ich bin..
„Du weißt schon, dass ich gesagt hab, du musst weiterfahren."
Im ersten Moment zucke ich zusammen, als ich hinter mir jemand höre, doch als ich die Stimme Lucas zuordne entspanne ich mich wieder. Ich sollte mich nicht entspannen, ich sollte verlegen sein, dass ich hier bin und nicht seiner Einladung gefolgt bin, aber ich bin ihm schließlich keine Rechenschaft schuldig, dass ich eine gewisse innere Anspannung spüre, kann ich dennoch nicht leugnen. Der Kies knirscht unter seinen Schuhen und schon sehe ich wie neben mir auf dem Geländer zwei Hände auftauchen.
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Sun
Teen FictionDen Abschluss in der Tasche und was jetzt? Vor dieser Frage steht das Erwachsen gewordene Auswanderer-Kind Mia mitten auf der überfüllten Ferieninsel Mallorca. Einen Kellnerjob im Sunny's fürs erste, doch was nach dem Sommer passieren soll, steht in...