Mein Blick schweift in Leere. Meine, vom Radfahren, angespannten Oberschenkel lehnen sich gegen das splittrige trockene Holz der Absperrung, die eigentlich ein Zaun ist und nur dafür sorgt, dass keine Foto hungrigen Touristen die Klippe runter ins Meer fallen. Ich mochte diesen Platz schon immer, obwohl es viel schönere und vor allem ruhigere Orte auf der Insel als hier gibt. Diese Aussichtsplattform liegt neben der Straße und der Boden ist meistens mit dem Müll der Urlauber, die hier Pause machen, übersät. Aber ich mag den Platz trotzdem.
Jetzt wo die Sonne schon untergegangen ist, sind auch die letzten Urlauber von hier verschwunden und ich bin alleine. Mein Fahrrad lehnt ein paar Meter neben mir, wie ich, am Zaun.
Der Wind fährt in mein Gesicht und ich atme tief die frische Meeresluft ein. Eine Möwe landet neben mir und betrachtet mich skeptisch. Es ist ungewöhnlich so ein Tier alleine anzutreffen, ansonsten sieht man die Plagegeister nur in Schwärmen umher Kreisen, doch schon nach wenigen Momenten breitet sie ihre Flügel aus, schlägt ein paar Mal kräftig damit und hebt dann ab. Die Möwe kreischt noch mal laut ihr melodisches Möwenkreischen und verschwindet aus meinem Blickfeld. Jetzt bin ich wieder alleine.
Eine Strähne hat sich aus meinem Zopf gelöst und tanzt nun mit dem Wind.
Helle Scheinwerfer erleuchten gespenstisch die Gegend um mich. Einige Autos fahren leider die Küstenstraße auch bei Nacht entlang, obwohl es zum Glück wirklich wenige sind.
Die Lichter verschwinden und ich bin wieder in meiner Dunkelheit alleine. Meine Augen gewöhnen sich langsam an das spärliche Licht, des fast vollen Mondes und der Sterne, nur um dann wieder von Autoscheinwerfern geblendet zu werden. Als das Auto dann sogar auf dem Schotter der Aussichtsplattform zum Stehen kommt, bin ich mir sicher, dass heute eindeutig nicht mein Tag ist. Hoffentlich ist nur jemand der kurz telefonieren will und sich nicht darüber hinaus sieht die kurvige Straße mit einem Telefonat am Ohr zu bewältigen.
Wieder liege ich falsch, denn hinter mir höre ich wie eine Autotür geöffnet und wieder zugeschlagen wird. Er oder sie ist ausgestiegen.
Schritte kommen auf mich zu und jemand stützt sich neben mich mit seinen Unterarmen auf dem abgewetterten Holz ab. Der Geruch von einem viel zu dominanten Männerdeos steigt in meine Nase und heftet sich dort fest.
Der Neuankömmling hat schöne Hände, lange schlanke und geschmeidige Finger, das ist auch das einzige, was ich von ihm sehe. Sie zeugen von einem Leben ohne oder mit wenig, körperlicher Arbeit. Da sind fast keine Schwielen zu sehen.
„Wirklich schöne Aussicht hat man von hier", innerlich stöhne ich auf, als ich die Stimme erkenne. Ich hatte so gehofft, dass ich ihn nie wieder sehen muss, aber jetzt steht Lucas hier neben mir.
„Ich war ein Idiot. Es tut mir leid." Immer noch ist mein Blick auf das Meer gerichtet. Ohne dass ich es verhindern kann kommen mir diese Worte über die Lippen: „Was?" Ich schaue in seine Augen, „Was genau tut dir leid? Dass du mich den ganzen Abend ignoriert und dich lieber mit deinem Handy beschäftigt hast? Oder dass du mich nicht mal nach meinen Namen gefragt hast?"
Standhaft blicke ich zu ihm auf. „Alles", nervös fährt er sich durch seine schwarzen Haare. „Ich.."
„Stopp", unterbreche ich ihn, „Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Wir kennen uns nicht und das soll auch so bleiben."
„Aber...." Er soll mich doch einfach nur in Ruhe lassen: „Es ist alles gut. Der Abend ist schon vergessen du kannst jetzt wieder gehen."
Für mich ist das Gespräch mit diesem Satz beendet und ich starre wieder auf das spärlich beleuchtete Meer und die vielen kleinen Lichter der Stadt. Lucas aber verschwindet nicht, er bleibt stehen.
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Sun
Teen FictionDen Abschluss in der Tasche und was jetzt? Vor dieser Frage steht das Erwachsen gewordene Auswanderer-Kind Mia mitten auf der überfüllten Ferieninsel Mallorca. Einen Kellnerjob im Sunny's fürs erste, doch was nach dem Sommer passieren soll, steht in...