4. Hör mir genau zu

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Das Sunny's ist noch geschlossen als ich am nächsten Morgen vor der Terrasse stehe. Heute sind Nicole und Emmi dran mit aufschließen, das bedeutet die Wahrscheinlichkeit, dass Vince auch schonhier ist, ist gering, Nicole vertraut er. Mich hat er immer kontrolliert.

Mit klopfendem Herzen überwinde ich die fünf Stufen und stehe auf der großen Terrasse.

Nicole ist gerade dabei die ersten Tische rauszutragen, als ihr Blick auf mich fällt. Sofort stellt sie den Tisch ab und kommt auf mich zu.

„Mia, da bist du ja. Wie geht's dir?", fragt sie und musterte mich kritisch. Ich zucke nur mit meinen Schultern. Wie soll es mir schon gehen? So wie immer halt. Es hat sich ja nichts verändert.

„Komm mit", sie deutet mir das ich ihr folgen soll. Unsicher gehe ich hier hinter her. Durch die gläserne Tür, wo ich auch Emmi, die gerade noch mal den Boden wischet begrüße, vorbei am Tresen hinein bis zum Angestellten Raum, der auch gleicheizeitig unser Stauraum und Umkleide war.

Sie öffnet ihren Spinnt und reich mir mein sorgfältig zusammengelegtes Sunny's Shirt, meine Shorts und Schuhe. Nicole lächelt leicht: „Ich dachte, das brauchst du vielleicht noch." Dankbar nehme ich ihr die Sachen ab. Überhaupt über die Schuhe bin ich glücklich, ich dachte schon ich müsste mir neue kaufen.

„Danke." „Kein Problem. Das war doch das Mindeste was ich tun konnte", locker zuckt sie mit ihren Schultern.

Ich nicke nur und weiß nicht was ich jetzt sagen soll. Bis mir ein: „Dann geh ich jetzt wohl besser", über die Lippen kommt. „Warum das denn? Soweit ich mich erinnern kann. Hast du heute nicht frei und nur weil du gestern jemand das Leben gerettet hat ist das noch lange kein Grund blau zumachen okay", in ihrer Stimme liegt wieder die gewohnte Schärfe und doch merke ich, dass sie es nicht böse meint.

„Glaubst du ernsthaft, dass mich Vince nach dieser Sache gestern noch weiter hier arbeiten lässt?" Unsicher schaut sie mich an: „Vielleicht..."

„Kein vielleicht. Den Job hier bin ich wohl los."

Nachdenklich schaut sie mich an, nickt und fragt mich: „Könntest du mir aber vielleicht mit den Tischen helfen? Du kennst doch Emmi, die ist sich für alles zu schade, sonst könnten ja ihre schrecklichen falschen Fingernägel abbrechen", eigentlich will ich nur so schnell wie möglich weg von hier. Aber ich bin es ihr doch irgendwie schuldig also nicke ich.

Zusammen tragen wir die restlichen Tische und Stühle hinaus. Als auch der letzte von ihnen seinen Platz gefunden hat merke ich das Nicole etwas sagen will. Sie ringt mit sich doch dann spricht sie es aus: „Er hat es geschafft." Verwirrt schaue ich sie an. „Der Junge, den du aus dem Wasser gezogen hast. Er hat es geschafft", erklärt sie sich selbst.

Als sie diese Worte ausspricht merke ich, dass ich erleichtert und gleichzeitig verwirrt bin. Warum mich der Zustand dieses Jungen so interessiert. Ein Junge ist er auch nicht wirklich, sondern viel mehr ein junger Mann, ich würde ihn auf zwanzig schätzen. Ich kenne ihn nicht, aber ich hab ihn gerettet. Ich habe mich letzte Nacht öfters dabei erwischt, dass ich darüber nachgedacht habe wie es ihm wohl geht. Das ist doch normal, oder nicht?

„Mia. Ich habe dich das heute schon mal gefragt und jetzt mach ich das jetzt noch mal. Wie geht es dir?", ihr eindringlicher Blick durchbohrt mich förmlich. „Ich weiß es nicht", antworte ich wahrheitsgemäß.

Ihr Blick verwandelt sich in fürsorglich: „Hey, das ist okay. Du darfst ruhig durcheinander sein. Immerhin wärst du gestern bei dieser Rettungsaktion fast ertrunken. Warst du zumindest bei einem Arzt?" Wieso fragt sie mich das nur? Ich will einfach wieder in Ruhe gelassen werden. „Das brauch ich doch nicht. Mir ist nichts passiert."

„Das weißt du doch nicht! Warum bist du einfach so abgehauen?", ihr vorwurfsvoller Blick trifft mich vollkommen unerwartet. Ich kann mit solchen Situationen nicht umgehen. Ich weiß einfach nicht wie ich mich verhalten soll wenn sich plötzlich jemand um mich sorgt.

„Nicole, was willst du von mir? Ja ich bin abgehauen, okay. Weil ich da einfach nicht mehr bleiben wollte." Sie will etwas sagen doch ich lasse sie erst gar nicht zu Wort kommen: „Warum machst du dir überhaupt Sorgen um mich? Wie du ja schon gesagt hast, wir kennen uns nicht." Sie soll mich in Ruhe lassen.

Doch das hätte ich nicht zu ihr sagen sollen. So etwas sagt man nicht zu jemand wie Nicole, denn es ist etwas Besonders wenn sich so jemand dir aufschließt. Aber ich kann damit nicht umgehen. Ich kann generell mit Menschen nicht umgehen.

Energisch wirft sie ihre schwarze Haarbracht zurück: „Mia hör mir mal genau zu. Ich hab auch keine Lust jetzt einen auf Freundin zu machen aber etwas muss ich ja tun du gehst ja total unter. Du hast weder eine Vorstellung von deinem Leben noch...", mitten Im Satz verstummt sie und starrt auf einen Punkt über meiner Schulter. Sie hat sich aber schon nach wenigen Sekunden wieder gefangen, setzt ihr typisches Nicole Lächeln auf: „Hey Vince, was machst du schon hier."

Erschrocken fahre ich herum. Da steht er. Vince, mein Chef, ehemaliger Chef besser gesagt.

Vince ist ein großer Mann, mit markanten Gesichtszügen, Rabenschwarzen Haaren und breiten Schultern. Er ist Anfang dreißig und man würde ihn wahrscheinlich als guttausehenden Mann betrachten. Er ist durch und durch ein Geschäftsmann, ihm gehören auf der Insel zwei weitere Bars und ein Nachtclub. Er ist definitiv nicht die Art Chef, die auch mal mitanpackt. Nur ab und zu bequemt er sich vorbei um seine Mittarbeiter zu kontrollieren. Ansonsten liegt er auf seiner faulen Haut in einer schönen Villa, so die Gerüchte. Vince strahlt durch und durch Autorität aus, man würde es nie wagen ihm zu widersprechen. Wenn man sich nicht von seiner großen Statur und seinem Auftreten einschüchtern lässt, dann aber von seinen eisblauen Augen. Dieser Blick kann einem nur Angst machen. So wie mir in genau diesen Moment.

„Ich bin gleich weg. Ich...", sage ich schnell bevor er mich zusammenstauchen kann. „Sie wollte mir nur beim Aufsperren helfen und mir sagen, dass es ihr gestern nicht mehr gut ging, deshalb ist sie auch nach Hause gegangen", unterbricht Nicole mich.

Was macht sie nur? Sie ignoriert meine Blicke und fixiert ganz Vince: „Es ist doch wirklich großartig was sie gestern geleistet hat. Ich meine sie hat wirklich einen Menschen das Leben gerettet."

Vince entschlüpft ein nervöses Lachen und verlegen kratzt er sich im Nacken. „Ja..... das ... das ist wohl wahr."

Ein verträumtes Lächeln umspielt Nicoles Lippen: „Ja Mia ist eine richtige Heldin. Du kannst dich wirklich glücklich schätzen so jemanden in unserem Team haben." Nicole hat wieder zugeschlagen. Unser Chef hat keine Chance mehr, er ist Butter in ihren Händen. Jetzt wird mir erst bewusst wie viel macht so jemand wie meine Kollegin über Andere hat.

„Ja ... das können wir. Mia", bedrohlich deutet er mit seinem Zeigefinger auf mich, „Die Gläser die kaputt gegangen sind zieh ich dir vom Lohn ab." Unfähig etwas zu sagen nicke ich. „Gut, dann macht hier Klarschiff ich komm dann in zwei Stunden wieder." Und weg war er.

Ich schaue zu meiner Rettung. In genau dem Moment als Vince aus ihrem Blickfeld verschwindet, verschwindet auch das übertriebene Lächeln aus ihrem Gesicht.

Ihr Blick trifft mich: „Komm jetzt bloß nicht auf den Gedanken dich zu bedanken. Ich hab's ja nur gutgemeint. Aber, keine Sorge ich werde mich jetzt wieder schön aus deinem Leben raushalten", sie wendet sich ab und stolziert hinein.

Ich bin erleichtert, doch in diese Erleichterung mischt sich ein bitterer Geschmack.

Ob es jetzt Nicoles eindrucksvoller Auftritt oder einfach die Tatsache, dass er in der Hauptsaison schlecht jemandem neuen finden und einarbeiten könnte. 

Vince hat mich nicht gefeuert. 

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