3. Alles gut

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„Mia beeil dich mal!", fährt mich Nicole scharf an. Das Sunny's ist voll und wir im Stress.

Zwischen Nicole und mir ist, wie wir stillschweigend abgemacht haben, alles wie immer. Sie hat es sogar irgendwie geschafft, dass Vince nichts von unserem Champagner Gespräch mitbekommen hat, indem sie die offene Flasche vor seinen Augen "aus Versehen" fallen lassen.

Diese Aktion hätte für mich eine Kündigung zur Folge gehabt. Aber Nicole hat mit einem gezielten Blick, zwei Tränen und einer so eindrucksvollen schauspielerischen Leistung Vince um den Finger gewickelt, dass er sie am Ende sogar in den Arm genommen hat, um sie zu trösten, weil sie so verstört gewirkt hat.

Dass sie die Flasche nicht mal bezahlen musste war da keine Überraschung mehr. Ich sage ja eine Oscar reife Leistung. Nicole sollte sofort hier kündigen und Schauspielerin werden. Vielleicht schafft sie es ja genau deswegen alle hier so hinters Licht zu führen. Ich gebe zu, sie hat mich neugierig gemacht. Ich würde gerne wissen was sich hinter ihrer perfekten Fassade verbirgt. Aber wir haben eine Abmachung, auch wenn diese mit diesem Thema nicht direkt etwas zu tun hat. Aber ich respektiere es. Es geht mich nichts an. Es geht niemanden etwas an. Vielleicht versteckt sich ja hinter jeder perfekten Fassade ein dunkles Geheimnis, das nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Aber die Besitzer dieser Geheimnisse wissen es eben, diese gekonnt zu verbergen. So gibt es diese perfekt erscheinen Menschen, die nicht perfekt sind, und alle ignoriere diese Tatsache. Da die Menschheit ja solche "perfekten" Menschen braucht, um nach ihrem Vorbild leben zu können.

Ich eile nach draußen, um die neuen Gäste zu bedienen. Ein Tisch mit drei Mädchen, ungefähr in meinem Alter, darunter eine wasserstoffblonde vollbusige Barbie in einem knappen und viel zu tiefen ausgeschnittenen Minikleid die sich einfach nicht entscheiden kann, was sie jetzt nun trinken soll. Nach einer gefühlten Ewigkeit zeigt sie auf den billigsten Cocktail auf der Karte. Ihre zwei Freundinnen machen mir die Arbeit schon leichter, die wissen nach kürzester Zeit was ich ihnen bringen soll und sind, glaub ich, selbst ziemlich von ihrer Freundin genervt.

Ich flüchte nach Drinnen. Es ist zwar schon sieben Uhr abends und die Familien mit Kindern haben schon Großteiles den Strand verlassen, aber es ist immer noch ziemlich heiß. Erst recht, wenn man immer zwischen den Tischen hin und her rennen muss.

Nicole drückt mir ein viel zu schwer und voll beladenes Tablett, inklusive der Bestellung der Wasserstoff Barbie, in die Hand. Gekonnt (Übung macht schließlich Meister und Übung hab ich schließlich genug) balanciere ich die Gläser und schlängle mich vorsichtig um die Tische. Bis zu Barbie, am Rand der Terrasse mit der begehrten Aussicht auf das Meer.

als mein Blick plötzlich an etwas auf der unruhigen Wasseroberfläche hängen bleibt. Anfangs denke ich, dass es nur wieder ein Delfin ist, der sich zu nah an den Strand verirrt hat und innerhalb der nächsten Minuten zur Touristen Attraktion des Abends wird. Aber wirklich glauben tue ich daran nicht, war bestimmt nur eine Boje, die von einer Welle bewegt wurde.

Ich will mich gerade abwenden, da erkenne ich etwas was mich erstarren lässt.

Eine Hand, eine menschliche Hand. Ein Mensch. Ein Mensch der sich an eine Boje klammert. Ein Mensch der dabei ist zu ertrinken.

Von einem Moment auf den anderen kommt Leben in mich. Das volle Tablett fällt scheppernd zu Boden und ich laufe los. Am Rande registriere ich das empörte Kreischen der Barbie doch das interessiert mich nicht.

Da draußen ist ein Mensch am Ertrinken. Aber ich scheine die einzige zu sein, die es bemerkt. Warum sieht ihn keiner?

Im Laufen ziehe ich mir mein knallgelbes Sunny's T-Shirt aus und halte kurz an um meine Schuhe und Shorts abzustreifen. In dem Moment ist es mir egal, dass mich jemand in Unterwäsche sieht. Ich weiß wie gefährlich und heimtückisch die Strömung sein kann und ich weiß wie schnell dich nasse Klamotten nach unten und somit in den sicheren Tod ziehen können.

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