Yasim und mein Papa | Kurzgeschichte

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Diese Einsendung ist von @Angi_ThePerson, danke dir dafür!

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Hey. Ich bin Samya und 12 Jahre alt und bin stolz auf meinen Papa. Nicht viele würden es sagen. Mama ist auch darin sehr zwiegespalten, aber ich nicht. Nicht viele hätten es gemacht. Nicht viele hätten das Ganze zu dieser Situation kommen lassen. Er hat es getan. Für einen Freund. Für seinen besten Freund. Er hat nicht viel gemacht, aber trotzdem hätten es nicht viele getan und das macht mich stolz.Ich fange aber lieber von vorne an. Yasim ist ein Freund unserer Familie. Er war wie unser viertes Mitglied. Er ist eigentlich ganz normal, aber er ist schwul. Stimmt, was soll das denn ausmachen? Er steht eben auf Männer. Was kann er auch dafür? In meinem Land ist es verboten. In meinem Land... Was ist das eigentlich für eine Bezeichnung? Sagen wir einfach: In dem Land, wo ich lebe.Seit ich mich erinnern kann, war Yasim immer da. Mama war erst gegen ihn, doch sie gab auch endlich nach. Papa hat sich immer für Yasim eingesetzt, wie sich auch Yasim für uns eingesetzt hat.Doch dann passierte es. Ich habe auch nicht genau rausgefunden, was damals los war. Jedenfalls arbeiteten Yasim und Papa zusammen in einem Büro und auf irgendeine Weise flog Yasim auf. Das Büro hatte erfahren, dass Yasim auf Männer stand. Es gab ein riesiges Trara, was ich gar nicht verstehen kann. Man hat Leute alarmiert und Vieles andere. Jeder wusste, dass ihm eine Strafe drohte. Gefängnis? Tod? Ich weiß auch nicht genau.Papa hat ihn aber verteidigt. Er hat gesagt:,,Es ist doch egal!" Die Leute hörten nicht. Papa hat eine Straftat verteidigt und nun drohte ihm auch eine Strafe. Er wusste es. Er wusste, worauf es hinausgehen würde, aber er hat es versucht. Er hat wie ein Freund gehandelt.Aber nun stand Eines klar: Wir mussten fliehen.Wohin? Am besten in ein Land, wo man viel verdienen kann. Papa dachte mit Yasim darüber nach, eine eigene Agentur zu gründen. Am nächsten Tag sollte eine Fähre nach Deutschland kommen. Deshalb wollten Mama, Papa, Yasim und ich uns am Hafen um 10 Uhr treffen - eine halbe Stunde, bevor die Fähre ankommen würde. Wir haben bereits alle davon gehört, dass Leute im Mittelmeer versunken sind, aber wir hatten keine andere Wahl. Es gab kein Zurück.Ein Blick auf mein Handy, sagte mir, dass es bereits kurz vor Halb war. Der Himmel war benebelt, wie mein Kopf. Ich konnte im Moment nicht klar denken. Meine Gedanken flogen alle durcheinander. Angst und Sorgen. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich wollte und konnte nichts sagen. Wir drei wussten bereits, was der andere denkt und das musste man auch nicht bestreiten.Wo ist Yasim? Ist ihm etwas zugestoßen? Gleich legt die Fähre ab. Yasim, wo bleibst du bloß? Wie wird es in Deutschland sein? Wie sind die Leute dort? Ich habe gehört, Deutschland soll ein toller Ort sein. Da kann man sagen, was man will. Man kann leben, wie und mit wem man will. Man muss keine Angst vor nichts haben. Jeder Mensch ist willkommen. Werden wir die Fahrt eigentlich überleben? Werden wir überhaupt an diesem schönen Ort ankommen? Wo bleibst Yasim? Yasim!,,Werter Herr, wollen Sie einsteigen? Das Schiff will in einigen Minuten absetzen.",,Papa, ich glaube, Yasim wird nicht mehr kommen. Vielleicht hat man ihn bereits geho-" Ich konnte nicht weiter reden. Der Kloß in meinem Hals verhinderte es - gut so. Er ließ frustriert den Kopf fallen. Ich hielt tröstend seinen Arm.,,Devin, er kommt nicht. Es tut mir leid...", höre ich Mama melancholisch, ernst sagen.Ich sah in seinem Blick, dass er es nicht wahr haben wollte wie ich, aber es war eben so. Das musste man hinnehmen. Tränen versperrten mir die Sicht und ich blinzelte schnell, um sie mit den Scheibenwischerprinzip wegzukriegen.Ich zerrte an Papas Arm. Schließlich ließ er nach und wir gingen in die Fähre, wo nicht viel bessere Stimmung herrschte...***,,Ik bien Samya und kohme aus das Iran.",,Aus dem Iran? Ist die ein Flüchtling? Ich habe gehört, die sind kriminell", hörte ich ein Mädchen flüstern. Es lag Stille im Raum und zwischendurch herrschte angespanntes Gemurmel.,,Ich habe Angst", kommt es von ihrem Nachbarn.Ich schaute unbeholfen zu meiner neuen Lehrerin, die aber nur schweigend neben mir stand. Sie hatte anscheinend auch nicht sehr hohe Meinung von mir.Ich dachte, Deutschland ist tolerant...,,Meine Mama hat mir gesagt, Flüchtlinge sind Terroristen."Mir werden um die 20 gehässige Blicke zugeworfen. ,,Ich finde sie jetzt schon scheiße.",,Sie tut bestimmt gerade auf lieb, ist aber in Wirklichkeit eine Terroristin und wird zuschlagen, wo es am Unwahrscheinlichsten ist.",,So muss das sein.",,In der Pause verdient sie aber eindeutig Prügel, diese Terroristin."Mir wurde leicht schwindelig und meine Hände schwitzten.,,Wie verdächtig sie ihre Hände faltet. Bestimmt plant sie ihren nächsten Mord."In mir bildete sich die nackte Angst. Mein Herz raste auf 180 - wenn nicht mehr. Ich blinzelte schnell, um tränen zu vermeiden.Papa hat das Richtige getan. Er hat das Richtige getan. Papa, hilf mir. Wo bleibt Yasim? Papa... In Deutschland kann man sein, wer man ist. Deutschland ist tolerant. Wenn wir erst das Asyl haben, wird alles wieder gut. Es wird wie vorher - sogar besser, mein Schatz, versprochen. Ich weiß, Papa. Alles wird wieder gut. Yasim wird bei uns sein. Morgen kommt unsere Fähre, und wir sind raus. Wir haben nichts zu befürchten, Samya. ***Meine erste Schulwoche ist vergangen und ich habe bereits so einige Schläge kassiert. Blaue Flecken und Platzwunden. Aber auch morale Schläge. Papa, sagt, es wird alles besser, sobald er und Mama arbeiten dürfen und es sich leisten können, an einen schönen Ort zu ziehen. Es würde aber noch zwei Jahre dauern. Ich vermisse mein Zuhause. Das Asylheim ist so kalt. Hier liegen traurige Erinnerungen. Hier haben Menschen gelebt mit ähnlichen Problemen. Sie mussten alle fliehen. Sie mussten alle grundlos aus ihrer Heimat raus. Täglich sitzt Papa auf seinem quietschenden Klappbett und betet. Er betet für Yasim und er betet für uns. Am meisten betet er für Yasim und mich.Wir drei sitzen an unserem ersten Freitagabend mit einigen anderen in einem realtiv großen Gemeinschaftsraum mit einem Kistenfernseher. Man hat das Gefühl, dass die Couch, auf der wir sitzen von einer Sekunde auf die andere einfach auseinanderfällt. In einem Asylheim darf man seine Erwartungen nicht zu hoch stellen. Wir dürfen uns glücklich schätzen. Wir leben alle. Nicht so wie Yasim.Ali schaltet den Fernseher an, wenn man dieses Ding noch Fernseher nennen kann, und schaltet von einem Sender zum anderen. Wir haben eigentlich nur fünf. Beim Dritten stoppt er. Dort werden die Nachrichten ausgestrahlt und in den Aufnahmen sieht man Explosionen und riesige Menschenmassen in der Dunkelheit. Ich habe bereits Englisch in der Schule gehabt und kann deshalb die lateinischen Buchstaben schnell entzwiffern. ,,Paris" und ,,PrayforParis" steht da. Man erwähnt oft ,,Terroristen" und ,,Anschlag".,,Papa, Mama, worum geht es da?"Dann bemerke ich den englischen Untertitel. Zu diesem Zeitpunkt finden Terroranschläge in Paris statt. Netzwerke wie Twitter sind am Eskalieren und beten für Paris. Es gibt Massen von grundlosen Todesopfern.Ali wechselt den Sender. Dort geht es um dasselbe Thema. Auf dem nächsten Sender ebenfalls.,,Papa, was ist mit uns? Warum tut Leuten nicht Syrien und Iran leid?"


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