"Die Stammkundschaft dort war praktisch meine Familie. Earl, ein älterer Mann, der immer eine von diesen Detektivmützen aufhatte, hat mir manchmal Münztricks gezeigt. Ihr war jedes Mal aufs neue fasziniert, wenn er eine Münze aus meinem Ohr zauberte. Irgendwann schenkte er mir dann einer Mütze aus seiner Sammlung und somit sah ich aus, als käme ich aus einem anderen Jahrhundert. Von meinem Opa habe ich gelernt, sich ein Bild von Menschen zu machen. Das 'abchecken', wie du es nennst, ist im Prinzip eine Art kurzer Persönlichkeitstest um zu sehen, wie die andere Person sich mir gegenüber verhält", beendete er seine Rede. Man merkte James an, dass er sich innerlich dagegen gesträubt hatte, mir diese Geschichte zu erzählen. Hätte ihn jemand gefragt, hätte er wahrscheinlich nicht einmal beantworten können, warum er mir das alles erzählt hatte. Während er mir diese Geschichte erzählte, hatte ich eine Art Vision. Sie war allerdings anders, als jede Vision, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Es war, als hätte ich die Vision und meine normale Umgebung gleichzeitig gesehen. Es war einzigartig. Um die Stimmung aufzulockern fragte ich:"Und hab ich bestanden?". Er wusste wohl nicht, was ich meinte, also musste ich ihm auf die Sprünge helfen. "Den Test? Das abchecken ist eine Art Test, hast du gesagt. Hab ich ihn bestanden?", fragte ich ohne mich irritieren zu lassen. Er schaute mich lange an, nickte dann aber knapp und widmete sich seiner Arbeit. Für ih war dieses Thema wohl gegessen. Ich nippte an meiner Teetasse und starrte gedankenverloren in meine Tasse, um die kleinen Ringe, die sicg bei jeder kleinen Erschütterung bilden, zu beobachten. Währenddessen baute James stumm irgendwelche Teile der Maschine ein und aus. Vermutlich die Teile, die er am Tag davor in der Garage verteilt gefunden hatte, sicher konnte ich das allerdings nicht sagen, da ich das alles noch nie gesehen hatte. Aber wären es James' Sachen, dann hätte er länger als erwartet im Haus sein müssen, um die Teile vorher dort zu platzieren. Über sowas dachte ich aber eher ungerne nach. Irgendwie war es ja gruselig, wenn man bedenkt, dass James uneingeschränkten Zugang zu meinem Haus hatte. Er könnte jede Nacht ins Haus kommen und mich beobachten oder den Kühlschrank leer fressen, letzteres lag wahrscheinlich eher in seinem Interessengebiet. "Ich hab dir eine Frage beantwortet, jetzt bist du dran", unterbrach James die Stille, arbeitete jedoch stirkt weiter und sah mich nicht an. "Dann lass mal hören", entgegnete ich so locker wie möglich und stellte meine Tasse auf den Boden. Anscheinend hatte er keine Ahnung, wie er mir seine Frage stellen sollte, denn er legte etwas unschlüssig den Schraubenzieher weg und öffnete mehrmals den Mund, nur um ihn gleich darauf wieder zu schließen. Dass er den ganzen Tag lang immer gefühlte Stunden brauchte, um mir zu antworten was für mich nur schwer nachvollziehbar. Anscheinend hatte er schon so lange kein Vernünftiges Gespräch mehr geführt, dass er nicht mehr wusste, dass es üblich ist seinem Gegenüber zu antworten. Ich seuftze und warf meinen Kopf in den Nacken, woraufhin ich leuchtende Punkte in meinem Blickfeld tanzen sah. Ich kannte dies schon von meinem eigentlichen Kreislaufzusammenbruch und wusste somit, dass ich nur kurz die Augen zukneifen musste, damit die "Sterne" verschwanden. "James, jetzt frag doch einfach! Du kannst mich alles fragen, von mir aus sogar, wann ich das letzte Mal meine Tage hatte. Die Antwort darauf lautet übrigens letzten Monat, aber das ist jetzt unwichtig. Der Punkt ist, du musst keine fünf Stunden lang eine passende Frage formulieren. Frag einfach das, was dir als erstes einfällt, das vereinfacht alles", versuchte ich zu erklären. Wieder herrschte eine kurze Stille. Passend zur Stille hätte nur noch Westernmusik und ein Steppenläufer gefehlt und wir hätten einen Westernfilm drehen können. James als rettender Cowboy und ich als holde Maid, die er vor der Werlzeugbanditen retten musste. Als mir dies in den Sinn kam musste ich schmunzeln. Diese Vorstellung war die Stille echt wert. Und obwohl ich absolut nicht damit gerechnet hatte, dass ich an diesem Tag überhaupt noch ein Wort von James hören würde, weil er die maximale Anzahl an Wörtern, die er pro Tag sagen konnte verbraucht hatte, öffnete er seinen Mund und diesmal blieb er nicht stumm. "Was ist Liebe?", fragte er mich und kam mir dabei zum zweiten Mal wie ein kleines Kind vor. Ich glaubte zuerst mich verhört zu haben, aber seine Augen musterten mich erwartungsvoll. Das war eine gute Frage. Was ist Liebe? Sowas kann man jemand anderem schwer erklären. "Liebe ist, wenn zwei Menschen sich gern haben", erklärte ich ihm wie eine Mutter ihrem fünf jährigen Sohn, wenn sie schwanger oder sonst was ist. Ich wusste selbst, dass diese Antwort kindisch war, aber was antwortet man auf so eine Frage? Er verdrehte die Augen. Eine völlig neue Geste bei ihm, also ein Punkt mehr, den ich auf meiner imaginären 'James zeigt Gefühle-Liste' abhaken konnte. "Das meine ich nicht und das weißt du", giftete er mich an.
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The Stories behind
RandomCameron ist ein ganz normales Mädchen, zumindest fast. Sie hat, nennen wir es eine Gabe. Sie kann 'Die Geschichten dahinter' sehen, also was diesem Objekt oder dieser Person schon alles widerfahren ist. Es ist nicht immer gleich, manchmal hat sie d...