Kapitel 4

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Ernsthaft, in einem Zeichentrickfilm hätten die alle schon längst Herzchenaugen verpasst bekommen. Ich war so vertieft darin, mich in Gedanken über die anderen lustig zu machen, dass ich anfänglich gar nicht merkte, wie sich jemand neben mich setzte. Als ich es dann mitbekommen hatte, drehte ich meinen Kopf und sah in Sues leuchtend grüne Augen. Sie lächelte mich an und pustete sich eine Strähne ihres schulterlangen braunen Haars aus dem Gesicht. Nachdem sie sich umblickte warf sie mir einen fragenden Blick zu und fragte:"Hab ich was verpasst?" Ich begann zu lachen und deutete auf den fremden Schönling vor uns, von dem man allerdings nur den Rücken sehen konnte, da er schon auf seinem Platz saß. Ja ich gebs zu, obwohl sein Name gestern ziemlich oft gefallen ist, hab ich ihn vergessen. Sue formte mit dem Mund ein stummes "Oh" und zwinkerte mir zu. "Na da hätten wir doch Boyfriend-Material für dich", flüsterte sie mir ins Ohr, woraufhin ich sie nur entgeistert ansah. Als wir uns so anstarrten konnten wir nicht anders als laut los zu prusten. Ich war froh, dass sie wieder fröhlicher wirkte. Da wir nicht aufhörten zu lachen, drehte sich dieser komische namenlose Typ zu uns um. Er musterte uns grimmig und fletschte dann nur:"Klappe" Ich hob spöttisch eine Augenbraue und erwiderte:"Und wenn nicht?" Das warf ihn sichtlich aus der Bahn, denn anscheinend redete außer mir niemand so mit ihm. "Du weißt was dir dann blüht", sagte er nachdem er mich erneut herablassend musterte. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und fragte:"Was blüht mir denn? Und wer biat du überhaupt, dass du so mit mir redest?" Das machte ihn erneut stutzig und er antwortete leicht erstaunt:"Du hast keine Ahnung wer ich bin?" Ich lehnte mich zurück und entgegnete ihm:"Nope, oder naja du bist der Fremde, den ich mit meinem Skateboard fast umgefahren hätte, ich vermute die Schramme auf deinem Arm ist von meinem Rucksack " Letzteres war mir ein bisschen unangenehm, weshalb ich etwas kleinlaut wurde und auf seinen Oberarm zeigte. Er folgte meinem Blick und sah auf die Schramme. Seine Augen waren hierbei jedoch eiskalt, die Tatsache, dass sie eisblau sind, hierbei mal außer acht gelassen. Nichts abzulesen. Bei den meisten Menschen spiegelten sich Teile ihrer Geschichte, um genauer zu sein, die wichtigsten Teile, die sie zu dem gemacht haben, was sie sind, in ihren Augen wieder. Es gab nur wenige Ausnahmen. Entweder die Leute konnten jegliche Gehirnregionen und jegliche Körperfunktionen hervorragend steuern oder hemmen, oder sie waren Psychopathen. Ich hatte auch schon von den seltenen Fällen gehört, bei denen dies den Menschen unbewusst passiert. Ich gähnte einmal unauffällig, aber dennoch so, dass der Junge es sehen konnte. Ich tat das, da Psychopathen dem Drang zu gähnen widerstehen können, normale Menschen meistens allerdings nicht. Wenn er jetzt gähnen würde, wäre er einer dieser gabz seltenen Fälle. Ich wurde ganz aufgeregt, weil es nur sehr wenigen mit meiner Gabe passiert, so jemanden zu treffen. Zwar wird es dann sehr schwierig seine Geschichte zu 'lesen', aber ich wollte die größte aller Herausforderungen wagen, wenn er ein 'Feeler' war. Feeler wurden diese seltenen Menschen von uns 'Readern' genannt. So hatte ich es jedenfalls in einem der zahlreichen Reader-Bücher gelesen. Wenn man es schafft die Geschichte eines Feelers zu lesen erlangt man hohes ansehen in unserer Szene, meiner Mutter wäre dies einmal fast gelungen, allerdings ist der Feeler umgekommen. Ich wartete gespannt auf seine Reaktion und mein Verdacht bestätigte sich. Er verzog sein Gesicht und gähnte ebenfalls. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte ihn geküsst, aus Freude versteht sich, diese rauen Lippen würde doch niemand freiwillig küssen. Als sein Gesichtsausdruck wieder monoton war, musterte er mich ein drittes Mal, ich fragte mich schon warum er das immer tat, legte diese Gedanken aber schnell wieder beiseite. Danach legte er den Kopf leicht schief und grinste mich an, jedoch ohne jegliche Emotionen, es sah fast schon dämonisch aus, aber wie meine Mutter mir erzählt hatte, legten Feeler dieser Angewohnheit ab, sobald man sehr nahen Kontakt zu ihnen hat. Ich wusste nicht, dass man so ganz ohne Emotionen überhaupt grinsen kann und mir lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. "Ach ja, du warst die kleine Schlampe, die mich fast umgenietet hätte, glaub mir, dass war nicht schlau.", erklärte er mir während er mich immer wieder musterte. Ich wusste nicht was er damit bezwecken wollte, wenn er mich mit seinen Augen abscannte. Vielleicht wollte er somit mehr über mich herausfinden oder er wollte mir Angst machn, von dieser zeigte sich allerdings keine Spur. Verwirrung und Spott, ja. Angst, nein. Dieses Gefühl war schlichtweg nicht da, warum konnte ich mir auch nicht erklären, aber ich nutzte es aus. "Jetzt hör du mir mal zu Mister. Ich hab keine Angst vor dir und außerdem keine Ahnung wer du bist", gab ich energisch von mir. Und da, auf einmal, für den Hauch einer Millisekunde spiegelten seine Pupillen Enttäuschung, Verwirrung und auch ein bisschen Angst wieder. Ich war stolz auf mich und das lies ich ihn mit meinem Gesichtsausdruck auch wissen. Er jedoch setzte wieder dieses merkwürdige spöttische Grinsen auf und antwortete fast schon arrogant:"James. Und egal wen du an dieser Schule fragen wirst, alle werden dir irgendwelche anderen Geschichten auftischen, bei denen sie angeblich 'live' dabei gewesen sein wollen, aber in einem werden sie sich alle einig sein, du solltest dich von mir fernhalten und das kann ich nur bestätigen" Mit diesen Worten drehte er sich um und legte die Beine überkreuzt auf den Tisch.

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