Kapitel III

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Natürlich musste ich genau heute verschlafen. Selbst schuld, wenn man bis spät in die Nacht noch über jeden möglichen Unsinn nachdenkt, der eh nicht mehr wichtig ist. Ich renne wie wild durch die Gänge auf dem Weg zum Portal, mit dem ich in die Welt der Menschen kommen soll. Die Mitglieder der Königsfamilie können das auch ohne Portal, aber ich leider nicht. Ich hoffe nur, ich verlaufe mich nicht. Erst rechts, dann links, noch mal links und wieder rechts und... Wand! Ohne aufzupassen renne ich gegen eine geziegelte Mauer. Ich fasse mir an den Kopf, das gibt ordentliche Kopfschmerzen. Aber ich muss weiter, ich darf es mir nicht erlauben, heute zu spät zu kommen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, und etwa drei weiteren Wänden, komme ich endlich an dieser großen schwarzen Tür an, hinter der sich der Raum mit dem Portal befindet. Warum muss der königliche Palast auch nur so unübersichtlich sein? Ich öffne die Tür und trete ein.
„Du hast dir aber ganz schön Zeit gelassen, nicht wahr?", höre ich eine Stimme fragen.
„Carreau, was machst du denn hier?"
Und schon wieder ist er hier, hat er denn in seiner Position als... keine Ahnung... nichts Besseres zu tun, als mir zum Abschied zu winken?
„Ich kann mir doch nicht entgehen lassen, wie mein kleiner Bruder das erste Mal dieses Portal benutzt."
„Gib es zu, du wolltest dich doch nur überzeugen, ob ich auch wirklich komme." Bei diesem Satz musste Carreau lachen, ich hatte wohl recht.
„Und wenn ich nicht gekommen wäre, hättest du mich wohl geholt?"
„Ach hör schon auf, du denkst zu schlecht von mir. Ich bin wirklich nur hier, um dir viel Glück zu wünschen und mich zu verabschieden."
Mir entweicht ein kleines Lachen: „Das hätte ich jetzt nicht von dir erwartet, dass du mich wirklich verabschieden willst."
„Wir werden uns eine ganze Weile nicht sehen, da dachte ich einfach, es wäre angebracht, sich zu verabschieden und dir Glück zu wünschen." Er zwingt sich ein Lächeln auf die Lippen. Aber selbst mit dem Lächeln wirkt er nicht fröhlich, irgendwas sagt mir, dass er aufrichtig traurig ist, dass er mich nicht mehr sieht.
„Jaja, seit wann bist du den so emotional?", frage ich spöttisch, um die Situation zu entspannen. Es funktioniert, er entspannt sich und wirkt nicht mehr so gezwungen fröhlich.
„Hey", beginnt er mit ruhiger Stimme, "es dürfte nicht leicht für dich werden in der anderen Welt, schließlich bist du zum ersten Mal dort, und ich-"
„Willst du damit etwa andeuten", falle ich ihm ins Wort, "ich komme dort nicht zu Recht?" Wie immer macht er sich einfach zu viele Sorgen um mich, ich bin nun wirklich kein kleines Kind mehr. Dennoch mag ich es irgendwie, dass er sich sorgen um mich macht und er extra wegen mir her gekommen ist; ich bedeutete ihm etwas.
„Keine Angst, du wirst mich nicht so schnell loswerden."
„Stimmt schon, verzeih, dass ich dir das nicht zugetraut habe!"
Ich rolle mit den Augen: „Hör einfach auf, so geschwollen zu reden, du weißt doch, wie sehr ich das hasse."
„Ja aber", während er versuchte, zu antworten hören wir ein Räuspern. „Sind die Herren dann bald fertig, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!" Es ist tatsächlich Mao, der neben dem riesigen, schwarz-roten Portal steht und uns die ganze Zeit zuhörte. „Ja Sire, Verzeihung", antwortet Carreau schnell, während ich mich noch wundere, wie ich ihn einfach übersehen konnte.
„Carreau, wie oft den noch, sei nicht so förmlich!" entgegnet Mao leicht genervt, „Ich bin zwar dein Boss, aber du könntest trotzdem normal mit mir reden. Vor allem: hör endlich auf, mich Sire zu nennen, dass klingt dämlich." Ich muss mir ein Lachen verkneifen, ich bin also nicht der Einzige, der mit seiner übertriebenen Höflichkeit Probleme hat. Es kam selten vor, dass Careau sprachlos war, aber in diesem Moment öffnete sich sein Mund zwar, aber Worte kamen trotzdem nicht raus. Mao wendet sich wieder mir zu: „Marax, dein Auftrag ist klar?"
„Natürlich", antworte ich kurz. Auch wenn nichts wirklich klar ist, denke ich, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt ist, darüber zu diskutieren. Er kratzt sich am Hinterkopf und schaut auf einen Zettel: „Du kommst nach London zu einem Dämon, der sich für ein Leben auf der Erde entschieden hat." Er fährt fort: „Wenn alles klappt, müsstest du dich in einem Waldstück nahe seines Hauses wieder finden."
„Wie, wenn alles gut geht? Was sollte denn bitte passieren, wenn nicht alles gut geht?", frage ich überrascht. Kann auch etwas schief gehen? Ich will nicht als Pfütze enden!
„Ach, es wird schon klappen", sagt Mao hastig.
„Er hat recht, mach dir bloß keine Gedanken darüber."
Na klar, wie immer versucht Carreau mich zu beruhigen. Aber jetzt ist es auch zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Ich werfe noch einen letzten Blick zu Carreau: „Machs gut, und pass für mich auf die Hölle auf, sonst geht hier noch alles vor die Hunde!" Ich sehe ein verstecktes Lächeln in seinem Gesicht und wende mich wieder Mao zu. Ein kurzes Nicken reicht, um ihm zu zeigen, dass ich bereit bin.
Die Türen des Portals öffnen sich mit einem lauten Knarren, was nicht gerade dafür spricht, dass ich auch wirklich heil ankomme. Als sich die Türen komplett geöffnet haben, erscheint ein langer, dunkler Gang. Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich eintrete. Ich gebe zu, ich habe etwas Angst, nachdem, was Mao sagte. „Marax, du schaffst das!", sage ich zu mir selbst, um mich zu ermutigen. Nach einigen Metern ist das Licht hinter mir bereits verschwunden und das Atmen fällt mir immer schwerer. Jeder Schritt fühlt sich schwerer an, als der vorherige und ich sehe immer noch kein Licht am Ende. Der Druck, der auf mir lastet, wird immer größer, mittlerweile tut jeder Schritt weh. War es das, was sie meinten, als sie sagten 'Wenn alles gut geht'? Wie lange mag ich schon durch diesen Gang laufen? Waren es Sekunden oder Stunden, die Zeit hatte für mich jegliche Dimension verloren. Ich laufe immer weiter durch diese unendliche Leere, in der Hoffnung, irgendwann hier raus zu kommen, aber es wird nur noch schwerer voranzukommen. Ich sehe immer noch kein Licht am Ende des Tunnels. Und plötzlich wird mir schwarz vor Augen, ich höre noch einige Stimmen, sie sagten irgendwas mit: „Das kann doch nicht wahr sein ...", und „Wir müssen etwas unternehmen". Aber ich kann diese Stimmen niemandem zuordnen, den ich kenne und letzten Endes verliere ich dann doch das Bewusstsein.

Im Auftrag des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt