Kapitel XXXII

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Gerade geistern viel zu viele Gedanken in meinem Kopf herum, ich realisiere nicht ein mal, dass mir Tränen übers Gesicht laufen. Hat Carreau mich gerade als seinen Bruder bezeichnet? Hat Michael uns gerettet? Und woher kennt er meinen Großvater? Neben mir steht Carreau, der sichtlich erleichtert ist, dass die Engel weg sind. Er beugt sich zu mir runter: "Geht es dir gut?", fragt er sichtlich beunruhigt. Ich packe ihn am Kragen seines schwarzen Hemds, und schaue ihn entgeistert an "Woher kennt ein Engel den Namen meines Großvaters?"
"Ich-"
"Warum sind sie hinter Elizabeth her?" Ich realisiere nicht ein mal, dass er versucht hat, zu antworten, dazu bin ich zu fertig. "Ich werde dir später alles erklären, versprochen, aber wir müssen jetzt erstmal hier weg. Michael mag zwar Ehrenhaft genug sein, um einzusehen, wann er verloren hat, aber andere Engel sind das nicht." Ich lasse seinen Kragen los und begreife gerade, dass es Carreau ist, der hier vor mir steht. Der einzige, der wirklich immer für mich da war. Ich lächle ihn an: "Danke, dass du mich gerettet hast." Daraufhin schnippt er mir gegen die Stirn: "Hör mal zu, wenn ich dir was sage. Wir müssen auf der Stelle hier weg, da haben wir keine Zeit für solche Gefühlsausbrüche." Er rennt zu Elizabeth und ist erleichtert, als er bemerkt, dass sie nur bewusstlos ist. "Ich dachte schon, ich wäre zu spät", murmelt er. Er nimmt sie auf seinen Rücken und kommt wieder zu mir gestapft. "Kommst du alleine hoch, oder muss ich dich auch noch tragen?", fragt er sarkastisch. Auch wenn ich gern sehen würde, wie er zwei Personen trägt, versuche ich aufzustehen und schaffe es zum Glück auch gerade so.
"Und was ist mit den beiden?", ich deute unsicher auf die Körper von Geri und Freki, die bei genauerer Betrachtung zwar weder bluten, noch verletzt wirken, sich aber dennoch seit einiger Zeit nicht bewegt hatten.
Unschuldig wie ein kleines Kind lächelt mich der junge Mann an. Es scheint ihn nicht zu stören, dass die beiden vermutlich tot sind. "Lass sie einfach liegen, die Körper lösen sich schon bald unter dem Druck der Realität auf", sagt er beiläufig, als wäre es überhaupt nichts besonderes. Und tatsächlich scheinen sie langsam an Farbe zu verlieren und werden immer durchsichtiger. Ich würde sie ja mit einem Stock pieken, um herauszufinden, wie sich halb-durchsichtige Dämonen wohl anfühlen, aber eine kleine Stimme rät mir, es zu unterlassen. "Und was ist mit dem Rest?", frage ich vorsichtig. Carreau scheint einige Sekunden über den Sinn dieser Frage nachdenken zu müssen, bevor er zu einer Antwort ansetzt. "Ihre Seelen kommen zurück in die Hölle, wo sie dann einen neuen Körper bekommen. Das wird Mao nicht gefallen, dass sie schon wieder ihre Körper verloren haben." Ich gehe die Worte mehrmals in meinem Kopf durch, aber sie ergeben im Moment einfach keinen Sinn für mich. "Können wir dann endlich?"
"Wozu denn die Eile? Du als Herrführer der Hölle", bei diesen Worten muss ich ihm einen bösen Blick zuwerfen, weil er mir nie irgendetwas davon erzählt hat, "wirst doch bestimmt mit ein paar Engeln fertig."
"Nein, werde ich nicht", sagt er mit einem unschuldigen Lächeln.
"Aber du hast doch-"
"Das war ein Bluff. In dieser Gestalt sind meine Kräfte stark begrenzt." Zum Beweis zeigt er mir die Hand, mit der er Seras Klinge aufgehalten hat: sie blutet, und das nicht gerade schwach. Aber er verzieht keine Miene. Ich starre ihn mittelmäßig entsetzt an. "Das ist nur eine kleine Verletzung, nichts Wildes. Und jetzt komm endlich." Ich nicke nur traurig. Es hätte auch anders ausgehen können, er hat für mich sein Leben aufs Spiel gesetzt! "Nun komm", brüllt er vom Ausgang des Parks. Na toll, während ich mir Sorgen um ihn gemacht habe, ist er weg gerannt.

Nachdem Carreau eine Weile mit mir durch die Straßen gejagt ist, bin ich mir ziemlich sicher, dass er nicht zu Eric will. "Wo wollen wir überhaupt hin?", frage ich und halte an. Ich brauche eine kurze Pause, im wieder zu Atem zu kommen.
"Hier in der Nähe ist ein Refugium. Ein Rückzugsort für Dämonen", antwortet er knapp. Auch wenn ich keine Ahnung hab, wo er mit mir hin rennt, würde ich diesem Mann blind vertrauen!
"Also weiter!"
Nach kurzer Zeit sind wir an einer alten Villa angekommen und Carreau öffnet die verschlossene Tür einfach mit der linken Hand.
"Sag mal", fange ich kleinlaut an, als wir eingetreten sind "warum bist du gekommen, um mich zu retten? Du hättest dabei verletzt werden können." Ich schaue dabei zu seiner Hand, um die er ein Stofffetzen gewickelt hat, der mittlerweile auch schon rot ist. "Fängst du schon wieder mit diesem Mist an?", er rollt mit den Augen, "du bist mein Bruder, natürlich bin ich gekommen, um dir zu helfen. Außerdem sind Geri und Freki nicht gerade die intelligentesten. Sollte irgendwas passieren, wären die beiden sicherlich nicht damit fertig geworden." Als er mich wieder als seinen Bruder bezeichnet, breche ich fast in Tränen aus, kann mich aber gerade noch so zurück halten. Zum Glück bemerkt Carreau das nicht, weil er mir mal wieder einen Vortrag hält. "Außerdem sollte ich dir einen Brief überbringen."
Er lächelt mich an und übergibt mir einen kleinen, bereits geöffneten, Umschlag mit einem Zettel darin. Vom Briefgeheimniss hast du wohl auch noch nichts gehört?! Ich ziehe den Zettel aus dem Umschlag und traue meinen Augen kaum, was dort steht:

Meine geliebte Tochter,

ich weiß, ich war nicht der Vater, denn du dir erhofft hast, aber ich schwöre vor Gott (!!!), ich wollte immer nur das beste für dich.  Jedoch habe ich dabei wohl vergessen, dich zu berücksichtigen. Nach einem sehr langen Gespräch mit deiner Mutter habe ich das eingesehen. Ich habe dir noch so viel mehr zu sagen, aber das verschieben wir auf später, wenn du aus freien Stücken zurück kommst. Ich habe Carreau und Marax damit beauftragt, dich zu beschützen, und ich denke, sie wissen, was ihnen blüht, wenn sie versagen. Ich hoffe wirklich, du kannst mir eines Tages verzeihen. Komm bitte gesund zurück.

In liebe,
Dein zu fürsorglicher Vater.

Mein erster Gedanke: "Man, ist Mao ein Pantoffelheld. Kaum sagt seine Frau was, ändert er seine Meinung um 180 Grad. Aber dann kommt mir etwas anderes in den Sinn.
Ich seufze: "Schon wieder ein neuer Auftrag vom Teufel? Ich habe bei meinen Aufgaben wohl gar kein Mitspracherecht mehr, huh?" Carreau lacht wie der schlechteste Schauspieler der Welt. Getroffene Hund bellen?! Vermutlich hat er mich sogar noch vorgeschlagen.
"Nun ja, wir dachten, dir gefällt es bestimmt schon in dieser Welt. Dir macht doch eine Verlängerung deines Aufenthalts bestimmt nicht aus, was?" Ich könnte mit ihm diskutieren, aber das Ergebnis wäre dasselbe, wie bei unserer letzten Diskusion, nur dass ich diese Mal nichts dagegen hab, auf die Erde zu gehen - oder eher hier zu bleiben. Ich seufze noch lauter, er kann ruhig ein schlechtes Gewissen deswegen bekommen. Carreau lächelt mich an und bringt Elizabeth in ein anderes Zimmer. Als er zurück kommt, sitze ich am Tisch und schaue ihn ernst an: "Du wolltest mir noch etwas erzählen, oder?"

Im Auftrag des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt