Kapitel XVI

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Benommen werde ich wach. Wieder bin ich in diesem komplett dunklen Raum. Wieder kann ich mich weder bewegen, noch sprechen. Und wieder geht eine Tür auf und es wird mit einem Schlag hell. Auf Dauer wird dieser Traum echt langweilig. Die Figur aus Licht kommt auf mich zu. Eine Stimme, die nach zerbrechendem Glas klingt, fängt an zu reden: „Warum bist du hier? Wenn suchst du?" Wie immer bekomme ich einfach kein Wort heraus. „Pah, so gesprächig wie immer."

Die Gestalt kommt auf mich zu und flüstert mir zu: „Du bist schwach. Du hast keine Ahnung, womit du es hier zu tun hast." „Und... du...?", bekomme ich gerade so raus. Mir wird klar: dass hier ist nichts weiter als ein Traum, eine Illusion. Mir kann also nichts passieren. Egal, wie echt er sich anfühlt oder was diese Figur aus Licht hier zu suchen hat, es findet alles nur in meinem Kopf statt. Die Gestalt weicht zurück. Auch wenn sie keine feste Form hat, wirkt sie verwundert. „Du... kannst reden? Aber, ich habe dich noch nicht gebrochen! Du dürftest nichts machen können!" Ihre Stimme wird mit jedem Wort panischer. „Was... willst du eigentlich hiermit... erreichen?" Das Sprechen fällt mir unglaublich schwer, es fühlt sich an, als wäre ich unter Wasser. Die Figur bleibt stumm. Es scheint nicht ganz nach Plan zu verlaufen. „Ich... bin wohl nicht so schwach, wie du dachtest? Du? Mich brechen?" Ich lache. Aber das Lachen verwandelt sich nach kurzer Zeit in Husten, der Druck wird immer unerträglicher. „Deine... Möchtegern-Lightshow... begeistert mich kein Stück. Also... verschwinde einfach." Ich kippe nach vorn, mit meinem Kopf zwischen die Beine.

„Möchtegern-Lightshow?" Das folgende Lachen wirkt, wie das von einem Geisteskranken. „Ich kann noch viel mehr. Ich werde dich brechen!" Ich spüre, wie eine Hand nach meinen Haaren greift und meinen Kopf nach oben zieht. Die Lichtgestalt steht direkt vor mir. Selbst ohne ein Gesicht merkt man, wie sie hämisch grinst. Ich erkenne, wie sich am Ende des anderen Armes etwas langes, spitzes aus Licht bildet. „Du bist nichts weiter als Abfall. Dreck. Du bist meiner nicht würdig", brüllt die Stimme, die sich nun nach einer zu Boden stürzenden Glocke anhört. Ich bekomme noch mit, wie sie ausholt. Ich spüre einen stechenden Schmerz in meiner Seite und alles wird schwarz.

Erschreckt erwache ich und springe sofort auf. Ich schaue mich hektisch um. Der hölzerne Schrank, der unordentliche Schreibtisch, die toten Pflanzen auf der Fensterbank. Ich bin in meinem Zimmer. Plötzlich zucke ich zusammen. Erst jetzt bemerke ich einen stechenden Schmerz in der Seite. Schnell ziehe ich das Shirt nach oben... nichts. Kein Blut, nur der stechende Schmerz, der langsam nachlässt. Erschöpft sacke ich auf dem Bett zusammen. War das alles nur Einbildung? Der Traum fühlte sich so real an, wie noch nie. Was sie sagte - mich brechen – wozu? Auch wenn ich mittlerweile nicht mehr daran glaube, dass es sich 'nur' um einen Traum handelt, kann ich gerade eh nichts machen. Ich stehe auf, gehe ins Bad, ziehe mich um – alles ist schon zur Gewohnheit geworden. Nachdenklich gehe ich zurück in mein Zimmer. Dieser Traum lässt mich einfach nicht los, ich meine, was bedeutet er, wer ist diese Gestalt und... 'Rumms.' Mit einem theatralischen Fall lande ich unsanft auf dem Fußboden, der erwartungsgemäß nicht sehr weich ist. „Diese blöde Tasche", fluche ich, während sie durch die Tür aus meinem Zimmer fliegt. Ich drehe mich um, während ich mir den Kopf reibe. „Verdammt, tut das weh", murmele ich noch zu mir selbst, während ich einen rechteckigen, silbrigen Gegenstand bemerke, der vor der Kommode liegt. Ich hebe ihn auf. Es ist der eiserne Bilderrahmen mit dem Foto von Carreau und mir. Das Glas ist zerbrochen und das Bild ist nicht mehr ganz im Rahmen. Ich nehme es endgültig heraus und setze mich traurig aufs Bett. Was er wohl gerade so macht? Ich wette, jetzt, wo er nicht mehr auf mich aufpassen muss, dass ich keinen Blödsinn anstelle, hat er sehr viel Freizeit. Bei dem Gedanken kann ich mir ein trauriges Lächeln nicht verkneifen. Auch wenn ich es nicht zugeben will, ich vermisse ihn.
Ich lasse mich nach hinten aufs Bett fallen und lege das Bild neben mich. Sie hätten sich auch ruhig mal melden können. Ich meine, irgendwie werden sie doch Kontakt aufnehmen können? Ich seufze traurig und drehe mich zur Seite. Neben mir liegt das Bild, irgendetwas ist auf die Rückseite geschrieben. Ich sehe es mir genauer an. Es ist eine sehr alte Schrift, die eigentlich schon tot ist, keiner spricht sie mehr. Außer Carreau natürlich, er hat ein Faible für alte Sachen. Mit Mühe und Not kann ich die Schriftzeichen gerade so entziffern. Er hat mich so oft damit gelangweilt, da habe ich das ein oder andere aufgeschnappt.

„Nicht aufgeben"

Ich lächle wieder. Er hat mir dieses Bild geschenkt, als ich den Auftrag bekommen habe mit den Worten: „Nimm es als Andenken mit in die andere Welt, aber wehe, du machst es kaputt!" Erst jetzt fällt es mir auf: er wusste, dass ich ihn kaputt machen werde. Das ist so typisch. „Carreau, du Idiot", denke ich mir, als ich mich vor Lachen nicht mehr einkriege. Ich sollte mich mal langsam unten blicken lassen, nach meinem Fall denken sie bestimmt sonst noch was.

Ich schaue mich erstaunt um, niemand ist da. In der Küche steht eine leere Kaffeetasse auf dem Tisch, darunter ein Zettel. „Wir sind einen Anzug für Jack kaufen. Mach dir einen schönen Vormittag. <3 Kate" Ich drehe den Zettel um und erwarte ein 'Rette mich' von Jack darauf zu finden, den mit Kate dauert das Einkaufen immer ewig. Entweder sitzt es nicht richtig, oder die Farben beißen sich oder sonst was. Aber nichts.

Ich wasche kurz die leere Tasse ab. Bestimmt war der Kaffee für mich gewesen, aber Eric hat sich noch mal rein geschlichen und ihn ausgetrunken. Zum Glück haben wir meinen Anzug schon vor ein paar Tagen geholt, sonst hätte ich wohl mitkommen müssen. Bei dem Gedanken schüttelt es mich kurz. Der arme Jack, sie haben ihn wohl überzeugt, doch zum Ball zu gehen. Ach ja, der Ball ist ja schon heute Abend. Also habe ich heute auch mein Date mit Sera. Ich lächle zufrieden. Hätte Lance das jetzt mitbekommen, dass ich es selbst Date nenne, würde er mich bestimmt damit aufziehen. Trotzdem gefällt mir der Gedanke irgendwie: Ich – ein Date.

Im Auftrag des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt