Kapitel XI

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Zum Glück gibt es Wochenenden! Die ganze Zeit zur Schule zu gehen, nur um jemanden zu finden, ist auf Dauer echt nervig. Zwar habe ich ja doch einige Leute gefunden, mit denen ich auskomme, aber vor allem Eric ist immer noch sehr kühl zu mir und gibt mir das Gefühl, nicht hier her zu gehören. Das erinnert mich wieder an diesen merkwürdigen Traum von gestern. Er lässt mich einfach nicht los, dazu fühlte er sich einfach zu real an. Ich seufze leicht, darüber nachzudenken bringt ja doch nichts.

Ich starre gedankenverloren aus dem Fenster: Es ist stark bewölkt, vielleicht wird es bald regnen, aber das ist ja für London im Herbst ziemlich normal. Der perfekte Tag, um drinnen zu bleiben! Ich strecke mich, stehe auf und mache mich fertig. Ich würde ja einfach die ganze Zeit im Bett bleiben, aber dann würde Kate irgendwann ins Zimmer gestürmt kommen, um zu schauen, ob ich noch lebe. Darauf habe ich nicht schon wieder Lust!

Wie jeden Morgen schleppe ich mich müde runter in die Küche, aber heute ist die Stimmung irgendwie anders. Bedrückt. Und wenn selbst ich das mitbekomme, obwohl ich nun wirklich keine Ahnung von menschlichen Gefühlen habe, muss das schon was heißen. Normalerweise rennt Kate immer ziemlich aufgeregt durch die Gegend und holt das Essen beziehungsweise Erics Kaffee, aber heute sitzen beide nur niedergeschlagen am Tisch und starren in ihre Tassen.

„Was ist den mit euch beiden passiert?", frage ich ruhig. Ich meine, was soll schon Schlimmes passiert sein, ist ihnen das Kaffeepulver ausgegangen? „Es geht um... Jack", sagt Kate in einem traurigen Ton, „er ist letzte Nacht nicht nach Hause gekommen." Soll das wirklich alles sein? Ich schaue sie verwundert an. Ein Teenager, der mal eine Nacht nicht nach Hause kommt und die beiden machen sich gleich solche Sorgen? So was passiert in der Hölle ständig. Dämonen machen auch so etwas wie eine Pubertät durch. Sie ist ähnlich wie bei den Menschen, die Kinder wollen einfach gegen ihre Eltern, oder irgendwas anderes, rebellieren. Einige von ihnen stellen dabei auch ziemlich viel Mist an, da ist eine Nacht mal weg bleiben noch das geringste Übel. Von Azarel habe ich gehört, dass Maos Bruder wohl ziemlich schwierig in dieser Zeit war, er soll mehrmals den halben Palast und einige Häuser in der Stadt abgefackelt haben. Er erzählt immer gern Geschichten, von seinen Kindern, was denen manchmal echt peinlich ist. Mao selbst war, so weit ich weiß, immer schon der eher ruhigere Typ. Ein Glück, dass er der neue König geworden ist, sonst würden wir wohl nur noch in Aschehäufchen wohnen.

Ich lächele leicht: „Ihm ist schon nichts passiert", versuche ich die beiden Trauergestalten aufzumuntern, „es ist doch normal für Teenager in seinem Alter, mal über Nacht weg zu bleiben." Kate guckt mich immer noch traurig an. Eric schlägt mit der Faust auf den Tisch: „Er ist aber kein 'normaler' Teenager! Es gibt Regeln, was das angeht, und das weiß er auch!" Wow, dass ist das erste Mal, das ich ihn wirklich wütend erlebe.
„Wenn er nach Hause kommt, kann er sich auf was gefasst machen." Er steht auf und verlässt wutentbrannt das Zimmer.
„Er meint es nicht so. Das ist seine Art, sich sorgen zu machen", murmelt Kate. „Es wird schon alles gut gehen", sage ich mit einem freundlichen Lächeln. Kate seufzt traurig: „Ich hoffe es wirklich."

„Jetzt regnet es doch", sage ich zu den vertrockneten Pflanzen auf meiner Fensterbank. Es ist früher Nachmittag und Jack ist immer noch nicht nach Hause gekommen. Am Freitag nach der Schule ist er ja mit seinen komischen neuen Freunden mitgegangen, anstatt mit mir nach Hause zu fahren. Dieses merkwürdige Gefühl, was ich hatte, als ich sie sah, beschleicht mich wieder. Sollte Jack vielleicht doch etwas passiert sein? Andererseits habe ich bei so ziemlich allen Menschen ein komisches Gefühl. Ich schleiche mich runter und schaue ins Wohnzimmer. Jack kann ich noch immer nicht entdecken, nur Kate, wie sie mutlos auf der Couch liegt und einfach ins Leere starrt. „Hast du bereits was gehört?", frage ich vorsichtig. Sie schüttelt nur leicht den Kopf. „Es geht ihm bestimmt gut. Vermutlich hat er sich nur mit seinen neuen Kumpels betrunken und schläft jetzt irgendwo seinen Rausch aus", versuche ich zu scherzen, was im Moment aber alles nur noch schlimmer zu machen scheint. Kate zieht die Beine an ihren Körper und schluchzt: „Ich bin eine schreckliche Mutter." Na klasse Marax, du hast es mal wieder geschafft, alles schlimmer zu machen. Ich setze mich neben sie und lege einen Arm um ihre Schultern: „Das stimmt doch gar nicht, du bist großartig! Auch wenn Jack das nicht immer zeigt, weiß er, was für ein Glück er doch mit dir hat. Wo ist eigentlich Eric?" Ich bin wirklich schlecht im Aufheitern, deswegen versuche ich irgendwie das Thema zu wechseln und hoffe, sie damit wenigstens etwas ablenken zu können. „Er ist bei Makayla. Die ganze Sache lässt ihm keine Ruhe", stottert sie, „Er will unbedingt wissen, wo unser Junge ist. Er macht sich wirklich große Sorgen." Den Beiden scheint es wirklich sehr Nahe zu gehen, dass ihr Sohn für eine Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Ich hoffe, dass Makayla Eric beruhigen kann und ihm sagt, dass alles in Ordnung mit ihrem Sohn ist. Auch wenn sie sehr schräg drauf ist, wird sie sicherlich wissen, was zu tun ist. „Sie wird wissen, wo euer Junge ist. Und heute Abend kommt Eric bestimmt mit ihm wieder nach Hause, da bin ich mir sicher." Wieder versuche ich sie mit einem Lächeln irgendwie aufzumuntern, aber sie ignoriert mich einfach und schaut apathisch in die Ferne.

Am frühen Abend, ich sitze noch bei der niedergeschlagenen Kate, öffnet sich die Tür. Ein durchnässter Eric starrt uns mit einem leeren Blick an. Alles, was er sagt, ist: „Die Bestien Satans."

Im Auftrag des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt