Kapitel XXII

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Ich torkele langsam nach Hause - es fühlt sich immer noch alles so... unwirklich an. Als würde ich träumen.
"D-Das ist es", sage ich zu mir selbst in Gedanken, "Das muss es sein!" Ich schöpfe wieder etwas Hoffnung. Das kann nur ein Traum sein, Sera würde mir so etwas herzloses doch nie antun. Ich nehme meine Hände aus den Taschen und kneife kräftig in den Handrücken, so fest ich kann. Komm schon, wach auf... bitte! Ich stehe da und meine rechte Hand fängt leicht an zu bluten. Ich spühre den Schmerz, aber ich wache einfach nicht auf. Es ist wohl leider doch die eisige Realität, die mich gerade einholt. Einsamkeit, Trauer und auch Angst, all diese Emotionen spuken gerade in meinem Kopf herum. Was ist nur schief gelaufen? Habe ich etwas falsch gemacht? Ich seufze traurig, eine Träne läuft mir über das Gesicht. Langsam setze ich meinen Weg fort. Weg vom Cafe, weg von der Straße, weg von den Menschen. Ich will nur noch allein sein. Am liebsten würde ich gleich komplett verschwinden.
Zu Hause angekommen schleiche ich mich sofort in mein Zimmer. Ich will nicht, dass irgendwer mitbekommt, wie es mir geht. Sonst kommen sie vielleicht noch auf die Idee, Fragen zu stellen, oder mir helfen zu wollen. Vor allem Jack soll das nicht mitbekommen. Falls doch sagt er bestimmt wieder etwas wie 'Ich hab es dir doch gesagt' oder 'Du wolltest ja nicht hören', und das kann ich gerade gar nicht gebrauchen!
Ich lasse mich einfach vorwärts auf mein Bett fallen und vergrabe mein Gesicht im Kissen. Warum ist das Leben nur so grausam? Mit dieser Frage verbringe ich die nächste Zeit. Vielleicht hat Gott ja etwas damit zu tun. Wobei ich mir vorstellen kann, dass der alte Sack da oben wichtigere Sachen zu tun hat, als einem kleinen, unbedeutenden Dämon wie mir das Herz zu brechen.
Einige Zeit später- es können Minuten oder Stunden gewesen sein, in diesem Moment habe ich jegliches Zeitgefühl verloren- klopft es an der Tür. Sie öffnet sich ein Stück weit und eine Stimme sagt leise: "Ist alles in Ordnung bei dir?" Natürlich ist es genau die Stimme, die ich heute am allerwenigsten hören wollte: sie gehört zu Jack.
"Herschinde", brülle ich immer noch mit dem Kissen vor meinem Gesicht. Er ignoriert meine, wenn auch sehr undeutliche, Bitte und kommt einfach rein. Ich würdige ihn keines Blickes, was aber weniger daran liegt, dass ich ihn nicht hier haben will, sondern daran, dass mir immer noch einige Tränen über's Gesicht rollen.
"Has hillst du?"
"Wie bitte? Was ich will?" Er ist eine Weile still und überlegt. "Nichts! Ich habe nur das kürzere Streichholz gezogen und muss jetzt nachsehen, was mit dir los ist."
Ich schaue vom Kissen auf und starre ihn wütend an.
"Nur ein kleiner Witz! Ich habe mir Sorgen um dich gemacht." ich setze mich so auf das Bett, dass ich ihm meinen Rücken zuwende.
"Ach ja? Und warum? Es ist überhaupt nichts pa-"
"Es lief nicht so gut mit Sera, oder?"
"W-wie kommst du denn darauf?"
"Ich bin Hellseher, weißt du?!" Ich schaue in mit einem fragenden Blick an. Dieser Sarkasmus steht ihm gar nicht. Et versucht wohl, mich damit irgendwie aufzuheitern.
Der gerade eben noch dämlich grinsende Junge seufzt nun leise und murmelt: "Nicht mal einen Scherz machen darf man hier." Kurz darauf schaut er mich wieder mit einem Lächeln an, als hätte er eine 'Schule für falsches Lächeln' besucht und hätte sie nicht bestanden. Es wirkt beinahe schon unheimlich.  "Als ob es jetzt so schwer gewesen wäre, zu erraten, dass es heute schlecht lief", fängt er wieder an, "Du bist viel früher zu Hause, als sonst, hast dich einfach an uns vorbei geschlichen und bist direkt in deinem Zimmer verschwunden. Normalerweise strahlst du ja immer vor Glück, was bei dir, nebenbei erwähnt, echt schräg aussieht."
Ich hebe eine Augenbraue und sehe ihn misstrauisch an. Hat das wirklich alles Jack rausgefunden? Eigentlich erkennt er Gefühle noch schlechter als ich, und das muss schon was heißen. Außerdem ist er extrem gutgläubig! Wenn man ihm erklären würde, dass die Welt eine Scheibe ist, er würde es glauben!
"Schon gut, schon gut! Meine Mum hat es bemerkt, nachdem du nicht zum Abendessen gekommen bist und meinte, ich soll mal nach dir sehen. Ach ja, ich sollte dir ja noch etwas vom Essen mitbringen!" Er geht kurz raus und kommt mit einem Teller wieder auf dem... etwas - hoffentlich essbares - ist. Er stellt ihn auf den Tisch am Ende des Bettes und setzt sich neben mich.
"Na dann erzähl mal, was passiert ist."
"Ich wüsste nicht, warum ich dir-"
"Ach jetzt hör auf rumzunörgeln wie ein kleines Mädchen und schieß einfach los!" Ich seufze leise. Er wird wohl nicht gehen, bevor ich ihm nicht was erzähle. Aber ich schwöre, wenn er erwas sagt, fackel ich in dieser Nacht sein Bett ab!
"Also naja... Da war ein riesiges Monster, mindestens 50 Meter groß und hat..." Der Blick, mit dem er mich gerade anschaut sagt alles! Er will die Wahrheit wissen...
"Okay okay, ich packe schon aus." Ich sacke leicht in mich zusammen und starre auf den Boden.  "Also wir haben uns ja in dem Cafe getroffen und da hat si mir gesagt, dass... dass...", ich fange an zu schluchzen. Man, nicht jetzt, nicht in seiner Gegenwart. Ich versuche mich irgendwie zu fangen und nicht mehr zu schluchzen. "Sie meinte, sie hätte nie Interessean mir gehabt."
"Was? Aber ich dachte, sie wollte dich auf dem Schulball küssen?"
"Denkst du denn ich verstehe das? Ich hab keine Ahnung, was ich jetzt machen soll!"
"Hmm... Weißt du, manche Mädchen sind halt einfach so, die wissen nie, was sie wollen. Aber davon solltest du dich echt nicht beirren lassen! Es gibt noch so viele andere da draußen."
"V-Vielleich hast du recht... Aber ich will keine anderen, ich will Sera", wieder fange ich an zu schluchzen, wie ein kleines Kind, dem man seinen Lolli geklaut hat.
"Hör zu, ich habe das alles auch schon durchgemacht. Es tut eine ganze Weile weh, aber nur Trübsal blasen bringt da auch nichts! Und außerdem: du und ein Mensch? Das passt nun wirklich nicht zusammen!" Er fängt an, viel zu laut und übertrieben zu lachen.
"So habe ich früher auch gedacht", sage ich ganz leise,  "aber dann kam sie und ich hatte Hoffnung, dass-" Während Jack immer noch total übertrieben lacht fällt mir etwas ein.
"Weißt du was?" Jack hört auf zu lachen und schaut aufmerksam zu mir. "Du hast recht!"
"Hab ich das? Ähm. Ich meine: natürlich hab ich das! Schließlich bin ich ja ein Hellseher." Wieder lacht er übertrieben laut. Auch wenn er nichts falsches gesagt hat, ich sollte mir vielleicht doch Streichhölzer besorgen.
"Ich meine eher damit, dass ich nicht zu den Menschen gehöre. Ich hätte mich wirklich nie darauf einlassen sollen." Ich schaue ihn traurig an. "Ich werde mal schauen, ob ich irgendwie Kontakt zu Mao aufnehmen kann. Dann werde ich darum bitten, dass er mich zurück holt."
"Aber, so hab ich das doch gar nicht gemeint", sagt Jack erschrocken und springt auf. "Matti, du bist echt stur, weißt du das? Schlafe lieber noch mal eine Nacht drüber. Ach, und vergiss nicht, etwas zu essen!" Er steht auf und geht zur Tür. Als ich ihm hinterher schaue öffnet er seinen Mund, aber er bleibt stumm. Er schaut mich einfach nur traurig an und schließt dann die Tür. Bedeute ich ihm etwa was? Naja egal, ich will nur noch hier weg, egal, was das heißt!
Misstrauisch schaue ich zu dem 'was-weiß-ich' auf dem Teller. Aber wenn ich es nicht mal anrühre, darf ich mich wieder auf eine Standpaucke von Kate gefasst machen, Also schaufle ich mir etwas davon in den Mund. Aber noch ehe ich überhaupt ans Schlucken denken kann, spucke ich es wieder auf den Teller und kratze mir die Reste von der Zunge. So etwas ekelhaftes hab ich ja noch nie gegessen! Als hätte jemand alte Sportsocken gekocht. So viel zum Thema: 'Es schmeckt besser, als es aussieht'. Na wenigstens muss ich es nicht mehr lange essen. Ich stelle den Teller so weit weg wie es geht und lege mich ins Bett.

Im Auftrag des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt