Kapitel IV

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Um mich herum ist alles dunkel, ich fühle nichts mehr. Lebe ich überhaupt noch? Wenn das hier nur ein schlechter Traum ist, dann würde ich doch langsam gern aufwachen. „Komm schon Marax, wach endlich auf", sage ich zu mir selbst, aber ich wache einfach nicht auf. Plötzlich kann ich eine Stimme hören. Es muss die Stimme eines Mädchens sein. Ich verstehe zwar nicht, was sie sagt, aber sie scheint besorgt zu sein, vielleicht um mich? Ich kann die Stimme keinem zuordnen, den ich kenne, aber sie wirkt wirklich freundlich. Was ist nur schief gelaufen, dass es mich so ausgeknockt hat? Ich erinnere mich noch daran, dass ich auf dem Weg in die reale Welt war, und jetzt liege ich hilflos hier, so viel zum Thema, da kann nichts schief gehen! Die Stimme wird lauter, ich kann jetzt sogar verstehen, was sie sagt: „Hey, hörst du mich? Bitte wach auf!" Es ist perfektes Englisch, und ich meine sogar, einen britischen Akzent zu hören. Damit bin ich wohl schon mal im richtigen Land gelandet. Endlich schaffe ich es, die Augen zu öffnen. Zu erst blendet mich ein starkes Licht - ist das die Sonne? Nachdem sich meine Augen an das grelle Licht gewöhnt haben, erkenne ich, wem die Stimme gehört, die ich gehört habe: es ist ein blondes Mädchen mit wunderschönen, saphirblauen Augen. Sie hat sich über mich gebeugt und an den Schultern gepackt um mich wach zu rütteln. Ihre Stimme war es, die ich gehört habe. Noch bevor ich etwas sagen kann, sagt sie erleichtert: „Na endlich bist du wach, ich habe mir wirklich Sorgen um dich gemacht!" Sie lässt von meinen Schultern ab und setzt sich neben mich ins Gras. Ich schaue mich um. Ich liege zwischen einigen Bäumen im Gras, sollte ich mich nicht in einem Wald wiederfinden? Ich richte mich auf und frage mit schwacher Stimme: „W-Wo bin ich?" Sie schaut mich verdutzt an und antwortet: „Im Richmond Park"

Richmond Park? Ich muss kurz überlegen, aber irgendwas klingelt da bei mir. Carreau hatte mir einen Stadtplan von London gegeben, mit den Worten. "Damit du dich nicht sofort wieder verläufst." Irgendwann zahle ich ihm das zurück. Aber immerhin bin ich nicht nur im richtigen Land, ich bin sogar in London gelandet. Na dann scheint ja nicht all zu viel schief gelaufen zu sein. „Wie bist du hier gelandet, warum liegst du hier im Gras?", fragt das blonde Mädchen mit sorgenvoller Stimme. Ich fasse mir an den Kopf, er fühlt sich an, als wäre er kurz davor, zu explodieren, und ihre eher schrille Stimme tut da ihr übriges. Immer noch sehr verwirrt antworte ich: „Ich... war auf dem Weg zu einem Bekannten und bin zusammengebrochen, ich weiß nicht warum." Sie scheint nicht ganz zufrieden mit der Antwort zu sein und seufzt etwas genervt. „Wie heißt du eigentlich?"

„Ma...", ich halte kurz inne und überlege. Ich bin jetzt ein Mensch auf der Erde und kein Dämon in der Hölle mehr. Daran muss ich mich wohl erst noch gewöhnen.

„Mein Name ist Matthew, Matthew Evans", sage ich immer noch etwas schwach. Ich bin nicht wirklich kreativ, diesen Namen und die Identität habe ich von Mao bekommen, ich frage mich, ob ihm der Name irgendwas bedeutet. Vielleicht hat er auch seine Frau gefragt, denn wirklich kreativ ist er bei solchen Sachen auch nicht.

„Freut mich dich kennenzulernen Matti, ich heiße Seraphina", sagte sie mit einem freundlichen Lächeln, „du kannst mich aber gerne Sera nennen."

„Okay Sera", ich versuche irgendwie wieder auf die Beine zu kommen, falle aber bei dem Versuch sofort wieder hin. Es muss mich echt erwischt haben, dass ich nicht mal mehr stehen kann. „Warte, ich helfe dir", mit diesen Worten streckt sie mir eine Hand entgegen und will mir aufhelfen. Sie ist kleiner als ich und wirkt eher zierlich. Sollte ich wirklich die Hilfe eines Menschen annehmen? Ich meine, ich bin immer noch ein Dämon und... Noch während ich in Gedanken bin, packt sie mich am Arm und zieht mich zu sich hoch. Ich bin etwas verwundert, dass sie es geschafft hat, mich hoch zu ziehen, aber immerhin stehe ich jetzt, auch wenn es immer noch sehr wackelig ist. „Komm, wir setzen uns auf die Bank, damit du dich etwas sammeln kannst" Sie stützt mich und wir gehen zusammen zu einer Bank. Ich kann nicht mal mehr alleine gehen. Hoffentlich bekommt Carreau das alles nicht mit, sonst kann ich mir wieder was anhören, wenn ich zurück bin. Ich lasse mich wie ein nasser Sack auf die Parkbank fallen und Sera setzt sich neben mich. Ich lege meinen Kopf zurück und blicke in einen strahlend blauen Himmel. Es war früh, als ich mich auf den Weg gemacht habe aber ich scheine einige Stunden dort gelegen zu haben. Na wenigstens scheint sonst alles in Ordnung zu sein. „Wo wolltest du eigentlich hin Matti?" Es gefällt mir gar nicht, dass sie so viel über mich wissen will, aber ich habe das Gefühl, ich schulde ihr etwas.

„Ich wollte zu einem Bekannten, der hier in der Nähe wohnt", sage ich, ohne auch nur annähernd zu wissen, wo ich eigentlich hin muss. Ich hoffe nur, sie stellt keine weiteren Fragen. Bei meiner Kreativität fällt mir doch nichts Gescheites ein und sagen, dass ich aus der Hölle komme, kann ich ihr auch schlecht. Eine Weile herrscht Schweigen, ich habe wohl Glück. Sie scheint wirklich nett zu sein, aber ich habe keine Ahnung, was ich ihr erzählen soll. Vielleicht geht sie ja auch einfach, schließlich bin ich für sie ja auch nur ein Fremder.

Nach einer Weile fängt sie wieder an zu reden: „Sag mal, wie bist du eigentlich hier im Park gelandet?" Soviel zu meinem Glück, aber warum will sie das überhaupt wissen? „Ich... Ähm...", ich schaue bedrückt auf den Boden, die Wahrheit kann ich ihr ja schlecht sagen, aber was wirklich sinnvolles fällt mir auch nicht ein. Sie hat wohl bemerkt, dass ich nicht darüber reden will und sagt schnell: „Vergiss es einfach, du wirst schon deine Gründe gehabt haben." Lass es das jetzt bitte mit der Fragerei gewesen sein. „Ich würde dich gerne zu deinem Bekannten begleiten, nicht, dass du noch mal umkippst." Jetzt will sie mich auch noch begleiten und dabei weiß ich selbst nicht, wo ich hin muss. „Um ehrlich zu sein", sage ich schüchtern, „weiß ich selbst nicht so genau, wo ich hin muss" Sie fängt an zu kichern und sagt: „Du scheinst ja ganz schön was auf den Kopf bekommen zu haben, wenn du dich nicht mal mehr an so etwas erinnern kannst." Eine der Regeln, die ich zu befolgen habe war, niemanden umzubringen. Ich sollte diese Regel wohl nicht schon am ersten Tag brechen, auch wenn es mir gerade sehr schwer fällt. Ich versuche darüber zu lachen und sage: "Ich habe mir seine Adresse zum Glück aufgeschrieben". Ich krame einen Zettel aus meiner linken Hosentasche und zeige ihn ihr. „Das ist gar nicht so weit weg von hier", sagt sie, immer noch kichernd, „ich kann dich hinbringen!" Na toll, jetzt brauche ich schon Hilfe, um eine Adresse zu finden. Viel schlimmer hätte mein neues Leben auch nicht starten können. Sie springt auf und zerrt mich am Arm mit. Mir bleibt wohl wirklich nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Aber lieber mit einer Nervensäge, als allein und ziellos durch London zu irren.

Nachdem wir ein kleines Stück gelaufen sind, dreht sie sich zu mir um: „Darf ich dich fragen, wie alt du bist?" Ich gehe wieder kurz in mich, Mao hatte mich, aus welchen Gründen auch immer, jünger gemacht. „Ich bin 16", sage ich kurz. „Was für ein Zufall, ich auch!", sagt sie aufgeregt.

Den Rest des Weges herrscht peinliches Schweigen, was mich aber nicht im geringsten stört. Nach einer gefühlten Ewigkeit biegen wir in eine Straße ein und halten an einem großen, alten Haus an. „Hier ist es!", sagt Sera, während sie, wie ich, das Haus bestaunt. „Vielen Dank, dass du mich her gebracht hast, ich hätte mich bestimmt hoffnungslos verlaufen", sage ich mit einem Lachen auf den Lippen. „Keine Ursache, ich hoffe, wir sehen uns mal wieder!" „Ja, ich auch", sage ich, obwohl ich mir selber nicht ganz sicher bin, ob ich sie wirklich wiedersehen will, aber da ist sie auch schon wieder weg. Ein merkwürdiges Mädchen, was ich da getroffen habe, ein hoffnungsloser Optimist, denke ich mir, während ich das Tor öffne. Ich schaue mir das Haus noch einmal an. Hier soll ich also für die nächste Zeit leben, es könnte wohl schlimmer sein.

Im Auftrag des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt