Kapitel XXVI

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"D-Du bist Maos Tochter? Ist das dein Ernst?", frage ich sie ungläubig. Ich kann einfach nicht fassen, wer da vor mir stehen soll.
"Sehe ich so aus, als würde ich scherzen?", erwidert sie meine Frage sichtlich genervt.
"Weiß den Vater", ich unterbreche mich selbst, "Weiß Mao, wo du bist?" Besser, ich nenne ihn nicht 'Vater', wer weiß, was er davon hält. Sie lehnt sich an die Stuhllehne und wirft ihren Kopf nach hinten. "Natürlich nicht, sonst wäre ich ja wohl nicht hier! Schließlich bin ich von zu Hause abgehauen - ich hatte auf diesen ganzen Prinzessinnen-Mist einfach keinen Bock!" Ich starre sie ungläubig an. Mein Mund öffnet und schließt sich ein paar Mal, bevor ich die richtigen Worte finde: "Warum?" Okay, dass war jetzt nicht gerade geistreich, Marax.
"Was verstehst du denn daran bitte nicht?", keift sie mich an.
"Hallo? Du hattest alles. Du warst die Tochter des Königs. Du warst eine Adlige - du konntest alles haben!"
Wieder spüre ich einen stechenden Schmerz. Ich sollte mich besser nicht aufregen, vor allem nicht über so etwas. Ich schüttle im Geiste meinen Kopf. Vielleicht sehe ich das alles etwas zu verbissen, aber im Gegensatz zu ihr war ich ein Gassenkind, ich hatte gar nichts. Tod und Elend standen an der Tagesordnung. Und sie? Sie hatte alles, was man sich wünschen konnte.
"Du verstehst das einfach nicht. Niemand kann das. Du hattest dieses Leben nicht", bei diesen Worten beißt sie sich auf die Unterlippe. Die Umgebung wirkt auf einmal viel kälter - ich habe das Gefühl zu frieren.
Sie steht auf, und ohne ein Wort zu sagen, oder mich auch nur eines Blickes zu würdigen, steht sie auf und verlässt den Raum. Ich habe das Gefühl, ich müsste ihr hinterher, oder zu mindest irgendetwas sagen, was die Situation wieder ein wenig entspannt. Dennoch lasse ich sie ohne ein Wort gehen.
Es herrscht eine beunruhigende Stille, normale Stille beschreibt einfach nur die Abwesenheit von Geräuschen, aber in diesem Fall hatte ich das Gefühl, dass irgendwas einfach alle Geräusche absorbierte. Immer wieder versuche ich mich aufzurichten, bis ich es nach einer gefühlten Ewigkeit endlich schaffe. Ich setze beide Füße auf den staubigen Boden und versuche irgendwie hoch zu kommen. Und nach mehreren, sehr unbeholfenen, Versuchen, stehe ich und beginne einen langsamen und wackeligen Marsch Richtung Tür - Eine Schildkröte auf Schlittschuhen in der Wüste wäre wohl schneller gewesen. Auf der Hälfte des Weges entscheidet sich mein rechtes Bein jedoch dazu, ein Leben als Wackelpudding wäre besser, als eines als Bein. Ich sehe schon den Boden immer näherkommen, als ich zwei dünne, aber erstaunlich kräftige, Arme spüre, die mich vor der unsanften Bekanntschaft mit den alten Holzdielen bewahren.
"Du kannst auch nicht hören, oder? Es ist noch zu früh, um aufzustehen", höre ich eine genervte Stimme über mir meckern.
"Elizabeth", zische ich wütend. Aber nicht etwa über die Hilfe an sich, sondern eher über den Fakt, dass ich sie benötigte. Ich kann nicht mal alleine stehen, geschweige denn gehen.
"Wo kommst du überhaupt her? Bist du nicht eben noch abgehauen?"
"Pft, du warst so sehr in dein Selbstmitleid vertieft, dass du nicht mal mitbekommen hättest, wenn eine Bombe im Nebenzimmer explodiert wäre. Und so etwas nennt sich auch noch Dämon." Ich verstumme. Weniger, weil mir nichts einfällt, sondern mehr, weil sie recht hat. Ich beiße die Zähne zusammen und richte mich wieder auf. Ich erwarte ein theatralisches Klatschen mit einem sarkastischen 'Wow, er hat es geschafft'. Aber nichts! Im Gegenteil, sie lächelt mich nur freundlich an. Schon wieder bin ich sprachlos.
"Also erzähl mal, warum willst du denn so ein tolles Leben einfach weg werfen? Ich denke, du brichst deinem Vater damit das Herz." Sie seufzt bedrückt.
"Hast du eigentlich eine Ahnung, wie das Leben so als Prinzessin ist?" Sie schaut mich traurig an, trotzdem sehe ich Hoffnung in ihren Augen funkeln. Ich bin auf der Straße aufgewachsen... wenn jetzt irgendwas von wegen 'Daddy hat mir zu Weihnachten kein Einhorn geschenkt' kommt, muss ich kotzen. Wobei sie eher ein Foltermaschienen-Typ ist, als ein Einhorntyp. Aber um das Mobiliar nicht zu gefährden, behalte ich diese Gedanken lieber für mich und schüttele stattdessen nur den Kopf.
"Mao ist ein vollkommener Übervater! Er hat ständig Angst, dass mir irgendwas passiert. Ich dürfte nie das Schloss verlassen, oder auch nur in den Garten gehen, weil mir ja was hätte passieren können. Selbst im Schloss hatte ich immer einen dieser steifen Anstandswauwaus, der mir auf Schritt und Tritt gefolgt ist. Und andere Leute dürfte ich auch nur kennenlernen, wenn sie sich vorher bei meinem ach so tollen Vater beworben haben. Ich wollte mein eigenes Leben leben, also bin ich abgehauen... so weit weg von ihm, wie es ging."
Ich ziehe eine Augenbraue leicht nach oben und schaue sie mit schmalem Mund an. "Tja siehst du, manche haben zu fürsorgliche Eltern und dafür haben andere gar keine." Ich gehe einfach an ihr vorbei, ohne sie anzuschauen, ich will gar nicht wissen, was sie jetzt von mir denkt. Ich schaue aus dem dreckigen Fenster und erkenne nur noch einige verlassene Hütten und viele Bäume - sind wir in einem Wald? "Wo sind wir überhaupt? Und ist es hier vor diesen geflügelten Mistfiechern sicher?" Sie scheint immer noch von meiner Ansage perplex und bringt kein Wort hervor. Ich seufze deprimiert. "Ich nehme das mal als ein Nein. Wir sollten zu meiner momentanen Bleibe, da sind wir sicherer, als hier." Das stimmt sogar. Nachdem Jack entführt wurde, hat Eric das Haus zu einer Bastion gemacht - zu mindest für Geschöpfe, die eigentlich nicht auf diese Erde gehören. Sie nickt geistesabwesend. "Meinst du, du schaffst es in deiner momentanen Verfassung?"
"Pft, ich bin ein Dämon, da braucht es schon mehr, um mich auszuschalten!" Ich lache viel zu übertrieben, und viel zu laut, aber sie lächelt mich nur mitleidig an.
"Jetzt guck doch nicht so traurig, wir schaffen das schon. Erst mal müssten wir zu Eric, dann schauen wir weiter."

Im Auftrag des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt