Der erste Tag

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Seit ein paar Tagen war ich aus dem Krankenzimmer raus. Es scheint mir, als hätte sich die ganze Schule gegen mich verschwören. Jedes mal wenn ich den Flur entlang ging, kamen die Grüppchen aus eingebildeten Personen noch weiter zusammen und tauschten sich hochnäsige Blicke aus, woraufhin all ihre Augen nur auf mich gerichtet waren. Das schlimmste war allerdings nicht, dass Leute die ich nicht kannte, über mich lachten, nein. Das schlimmste war das Gespräch das ich mit meinen Freundinnen führte.
"Hey Amelia. Du, wir müssen mit dir reden." Clara uns Sima setzten sich zu mir aufs Bett. Ihre Blicke waren nicht so, wie die der anderen, sie waren bemitleident. Und Mitleid war mit Abstand das schlimmste. "Klar, worüber wollt ihr denn mit mir reden?" Sie schauten sich abwechselnd an, so wie die anderen Mädchen, eben nur mit Mitleid. "Also, vielleicht ist es ja auch nur ein Gerücht, wir haben es ja nicht gesehen...", Clara schaute Sima hilflos an. "Was wir dich fragen wollen... Amelia, bist du nackt durch die Schule gelaufen?" Mir fiel die Kinnnadel herunter. Ich wusste zwar, dass sie mich das fragen wollten, aber ich war dennoch nicht vorbereitet. Ich wollte die Sache so schnell wie möglich vergessen, ohne andauernd daran erinnert zu werden. Nach einer ganzen Weile nickte ich. Ohne es kaum zu merken, fasste sich Sima an die Stirn, Clara tat es ihr nach. Es war zwar eine winzige Geste, doch sie zeigte mehr aus, als sie vielleicht vermutet hätten. "Och man Amelia was hast du dir nur dabei gedacht?" Sie schütteten fast zeitnah den Kopf, als hätten sie sich vorher genau abgesprochen. Warum ich das getan habe? Da ist so ein komischer Typ an der anderen Leitung gewesen, der mich dazu aufgezwungen hat all diese Sachen zu tun. Ich helfe nur Miley und dies alles war meine Schuld! Hätte ich damals nicht diesen komischen Stripper zu ihrem Geburtstag bestellt, wäre das alles gar nicht passiert. Deswegen bin ich dafür verantwortlich, was mit ihr passiert. ICH ALLEIN. Und wenn ich verhindern kann, dass dieses Schwein sie vergewaltigt, dann verdammt noch mal, werde ich alles tun, damit das nicht passiert. Denn ich habe gesehen, was ihr nicht gesehen habt. Ein Zimmer voller Schrecken und Qualen, wo ein Junge den ich liebe offenbar seine Sehnsucht auslebt. Und die Vorstellung, Miley könnte sich in einer ähnlichen Lage befinden, ist grauenhaft.
Das hab ich denen natürlich nicht erzählt. Stattdessen sagte ich: " Mädels, ich weiß auch nicht warum ich das getan habe. Ich stand wahrscheinlich unter Drogen. Sie haben mir Schmerzmittel gegeben, ich war wohl nicht mehr klar bei Sinnen und ich schwöre euch, es ist mir so peinlich. Wenn ich es rückgängig machen könnte, würde ich es tun." Nein würde ich nicht, dann würde ich ja zulassen, dass Miley etwas passiert.
Kritisch sahen sich die beiden wieder an. "Ja gut... aber jetzt zu was anderem...", fing Clara an zu reden. Ich konnte mir nicht vorstellen, was es sonst noch zu bereden gibt. " Also, es geht da noch so ein Gerücht herum." Hier war ich aber gespannt, was sich jetzt die Lästertratschen wieder ausgedacht haben. Immerhin war es das einzige, was mir in den letzten Tagen passiert ist. "Bist du mit Logen zusammen?" Es kam aus Sima rausgeschossen, wie eine Pistole. Als ob es ihr viel Mühe kosten würde, diesen Satz zu sagen. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass es das ist, was das Gerücht war und selbst ich kannte die Antwort nicht darauf. "Ich weiß nicht", antwortete ich halb flüsternd in die Stille. "Wie du weißt es nicht? So was weiß man doch."
"Naja, also wir haben geredet und wir wollen es auf jeden Fall versuchen..., doch wir haben noch nicht darüber gesprochen, was eigentlich zwischen uns läuft."
Langsam lehnte sich Sima zurück. Ich wusste nicht, ob aus Erleichterung oder aus Unverständnis. "Amelia, dir muss immer bewusst sein, was für ein Arschloch er ist. Er mag zwar ab und zu nett sein, aber du darfst nicht schon wieder auf ihn rein fallen. Wir beide denken, es wäre falsch dich davon abzuraten, aber wenn er dir noch einmal das Herz bricht, musst du mir versprechen, musst du uns versprechen", korrigierte sie sich," dass du ihn ein für alle mal vergisst. Und ihm keine Chance mehr gibst." Gerührt von der Besorgnis um mich, nahm ich ihre beiden Hände und drückte sie leicht. "Ich werde es euch versprechen. Aber ich hoffe und glaube, dass wir beide mittlerweile in der Lage sind eine Beziehung zu führen."
Still und schweigend saßen wir draußen nebeneinander. Es war schon dunkel und ich hatte das Gefühl es herrschten Minus gerade in dieser Nacht. Schüchtern legte er seinen Arm um meine Taille, dabei kribbelte alles, als er mich berührte. Auch ich versuchte ihm eine Geste zu schenken und legte behutsam meinen Kopf auf seine Schulter. Ich konnte ihn riechen, er roch so gut. Ich spürte seine Wärme, die mich umgab und dann war mir nicht mehr kalt. "Sie mal da oben. Dieses Sternbild nennt sich der große Wagen." Sagte Logen und auch wenn ich das schon wusste, war ich dennoch berührt von diesem romantischen Moment. Logen und ich haben noch einmal genau miteinander über alles gesprochen. Offiziell sind wir jetzt zusammen und von Sex wird erst die Rede sein, wenn ich dazu bereit bin. Ich hatte ihm klar gemacht, dass ich mir wirklich sicher sein wollte und mich nichts dazu zwingen kann. Wir haben auch darüber gesprochen, ob er denn von mir erwartet ins Apartment 666 zu gehen um mit ihm dort seine Leidenschaft zu leben. Mit großer Gewissheit erklärte er mir, es sei nur eine Phase von ihm gewesen und er hätte diesen Raum schon seit langem nicht mehr betreten. Auch entschuldigte er sich dafür, dass er mir damals so einen Schrecken ein gejagt hatte. Ich war wahnsinnig erleichtert. Denn dies wäre meine einzige Sorge gewesen. Und jetzt wusste ich, dass es nichts mehr gab, was uns noch hindern könnte zusammen zu sein.
Zusammen blickten wir in den Sternenhimmel und genossen unseren aller ersten offiziellen Tag als Paar.

Solange wir schweigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt