Entschuldigung

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Meine Hände zitterten. Mein Herz schlug und schlug und schlug, ohne jegliche Form von einer Pause. Ich klammerte mich am Waschbecken fest. Oh Gott, in was bin ich eigentlich hinein geraten?

Ich versuchte mich auch ein einziges Wort zu konzentrieren. Atmen. Doch so sehr ich mich versuchte zu konzentrieren, brannte mein Hals und jeder Atemzug tat mir weh. Atme Amelia, atme, versuchte ich mir einzureden. Mein Körper zitterte ebenfalls. Ein Blick in den Spiegel genügte. Ich war blass und ohne jegliche Form von Hoffnung und ich hatte Angst.

Wer ist der Anrufer? Geht es Miley gut? Wann werde ich von diesem Albtraum aufwachen, damit alles was sich an mich fesselte, mich endlich loslässt? Ich kann nicht mehr, ich kann einfach nicht mehr.
Langsam lies ich mich zu Boden sinken, bekam einen Schauer über den Rücken, als mich die Kälte über kam. Tränen liefen über mein Gesicht und mein Kopf tat weh. "Geh weg von mir, lass mich endlich in Frieden, du verdammter Anrufer", kam von mir, was durch das Geheul eher wie ein Flüstern klang, als eine Aussage. Mit meinen Händen hielt ich mein Gesicht verdeckt, versuchte mich zu fassen. Atme Amelia, atme.

Ich weiss nicht, wie lange ich hier auf dem Boden sass, als mich Clara gefunden hat. Stunden, Tage, Wochen? Oder waren es doch nur einige Minuten?
Ich sass zusammen gerochen in der Ecke, ich frohr und vor allem wollte ich hier nicht weg.
"Amelia, mein Gott, was ist passiert", sagte sie und kniete sich vor mich hin. Sie nahm meine Hände und begutachtete sie, dann drehte sie meinen Kopf von einer zur anderen Seite und versuchte klar zu stellen, dass ich nicht verletzt bin. "Geht es dir gut?", fragte sie mich völlig aufgelöst. Ich antwortete ihr nicht. Nicht, weil ich es nicht wollte, sondern, weil ich es nicht konnte. Es gelang mir gerade so normal zu atmen, da konnte ich einfach kein Wort aussprechen, mein Hals würde explodieren. Ich schüttelte also den Kopf, um zu symbolisieren, dass ich nicht reden konnte, doch sie hat das offensichtlich missverstanden. Sofort nahm sie mich in den Arm. Es tat so gut. Für den einen Moment dachte ich wirklich, dass ich in Sicherheit war. Ich spürte die Hilfe, die mir entgegen kam. "Erzähle mir, was passiert ist", flüsterte sie mir zu, doch ich konnte wieder nur den Kopf schütteln. In diesem Moment kam auch Sima herein, die noch aufgewühlter aussah, als Clara. Jetzt konnte ich es ihr sowieso nicht sagen. Clara drehte ihren Kopf nach hinten und schaute mich dann mit einem Merkwürdigen Blick an. Mir war klar, was sie damit sagen, oder wohl eher fragen wollte. Hat es was mit dem Anrufer zu tun? Ich schaute sie mit einem anderen Merkwürdigen Blick an und sagte ich somit still und leise Ja. Sie nickte und hielt mir die Hand, die ich ergriff und stand auf. "Mensch Amelia, was ist den los?", fragte sie ebenso aufgewühlt. "Sie ist in Ohnmacht gefallen, hat sich dabei den Kopf gestoßen und hat dann noch geweint. Komm Amelia, wir machen deine verschmiert Maskara weg und dann siehst du aus wie neu.", glaubte ihr nicht völlig, sagte dann aber nichts mehr. Sima schaute Clara etwas unsicher an Und das tat sie dann auch, selbst, wenn ich nicht behaupten kann, dass ich jetzt wie neu aussehe.

Wir machten uns direkt auf den Weg nach Hause. Sima und uns das mit der Ohnmacht geglaubt, aber ich habe das Gefühl, dass wir ihr das mit Miley nicht sehr viel länger verschweigen können, obwohl wir das müssen. Sie platzt immer zu den ungünstigsten Zeiten auf und ich kann mir gut vorstellen, dass sie sich schon langsam was denkt. Früher oder später wird sie es sowieso herausfinden, dachte ich mir auf dem Rückweg.

Bevor wir das Schulgelände betreten, bleiben wir stehen. Mittlerweile ging es mir schon wieder besser und ich konnte mich wieder voll und ganz konzentrieren. Der Gedanke, dass ich, wenn Sima weg ist, mit Clara über alles reden kann und ich mich mit ihr beraten kann, beruhigt mich auf gewisse Art und Weise.
"Wir sollten auf jeden Fall in einem gewissen Abstand wieder in die Schule gehen", schlug Clara vor. Wir nickten einverstanden zu. "Ich werde auf jeden Fall als erste gehen. Ich war heute morgen bereits die letzte. Dann geht Clara und zum Schluss Sima." Ich sagte das mit Absicht, damit Clara und ich ein wenig Zeit haben, um zu reden. "In zehn Minuten machen sich alle auf den Weg zum Mittagessen. Das wäre die perfekte Gelegenheit um uns reinzuschleichen. Wenn was ist, kann man sagen, dass man gerade zum Essen geht, oder vom Essen kommt", erzählte und Clara. Offenbar hatte sie alles ganz genau geplant, auch wenn wir eigentlich erst abends zurück sein wollten.

Zehn Minuten später ging ich dann auf den leeren Schulhof und fühlte mich total fehl am Platz. Bei jedem Schritt hatte ich das Gefühl, als würde mich der Anrufer die ganze Zeit beobachten. Mit schnellen Schritten ging ich weiter. Ich steuerte auf die Cafeteria zu, versuchte gar nicht um mich zu schauen. Ich sah nur ein Ziel: so schnell wie möglich unter die Menge zu gelangen.

Schneller als ich dachte, kam ich ins Gebäude rein. Erleichtert atmete ich auf und lehnte mich an die Wand an. Erst jetzt bemerkte ich, dass mein Herz raste. Ich konzentrierte mich wieder auf meinen Atem. Ich schloss meine Augen. Erst tief ein, dann tief aus. Langsam beruhigte ich mich und öffnte wieder die Augen.
Mein Herz blieb stehen.
Logen stand vor mir, wütend, hatte ich das Gefühl. Wie kam er so schnell und aus dem nichts her?
Er stand einfach vor mir, sagte nichts, tat nichts, atmete nur schwer. Was will er?
Ich ging automatisch einen Schritt zurück, er einen Schritt auf mich zu. "Logen", sagte ich, "was ist los mit dir?" Er starrte mich regelrecht an. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Ich ging wieder einen Schritt zurück. Diesmal blieb er stehen. "Du warst weg", sagte er ohne auch nur von einem einzigen Anflug von einem Gefühl. Was war nur los mit ihm? Nicht, dass er sich allgemein total bescheuert verhält, nein, er ist auch noch verrückt geworden und starrt mich wie ein Irrer an. "Ja", antwortete ich systematisch, obwohl ich nicht genau wusste, ob dies nun eine Frage oder eine Aussage war.
"Wo warst du?", fragte er mich dann nach einiger Zeit, so als ob es selbstverständlich wäre, ihm das zu sagen. Ich schwieg. Ich musste an den Anrufer denken, der mir diese SMS geschickt hatte. Ich schaute weg. So gut wie möglich muss ich verschweigen, was heute passiert ist. Oder eher verbergen. Ich schaute wieder zu ihm auf und sein Blick hat sich verändert. Plötzlich sehe ich Fürsorge in deinen Augen. Er nahm eine meiner Hände mit seiner beiden Hände und umschloss sie so, dass von meiner Hand nichts mehr zu sehen war. Sein Blick war auf die Hände gerichtet. "Amelia, ich war heute auf deinem Zimmer, doch du warst nicht da. Die Krankenschwester meinte, du wärst krank geschrieben, aber du warst nicht auf deinem Zimmer. Ich hab mir Sorgen gemacht. Also bitte sag mir, wo du warst." Jetzt hob er seinen Blick und schaute mir in die Augen. Wie immer spüre ich ein Kribbeln im Bauch wenn er mich so anguckt, wie jetzt. Er hat sich bloß Sorgen gemacht. Nein, ich darf einfach nicht so leichtsinnig wie immer sein. Stur, ignorierte ich seine Frage. "Was suchst du auf meinem Zimmer?", fragte ich ihn in einem Ton, damit er merkte, wie wütend ich eigentlich auf ihn war. Die ganze Geschichte mit der Bruderschaft, raubte mir die letzten Nerven.
Für einen Moment verengten sich seine Augen wieder. Ich konnte spüren wie wütend es ihn machte, dass ich seine Frage nicht beantwortete. Er ballte seine Fäuste zusammen, schloss die Augen, atmete tief ein, öffnete sie wieder und sah mich mit einem bemitleidenden Blick an. Seine Fäuste hoben sich auf. Diese ständige, fast nicht merkliche Veränderung seiner Launen, verwirrten mich. Er blickte wieder zu Boden. "Ich...ich wollte mich bei dir entschuldigen. Dafür, dass ich dich angelogen habe und dass ich dir nicht von Anfang an erzählt habe, dass ich mit Lukas verwandt bin." Er schaute mich wieder an und sprach dann weiter. "Weist du, du bist mir wichtig geworden. Ich kann einfach nicht ohne dich. Ich hab es versucht, aber diese Tage waren einfach die Hölle für mich. Ich war sauer und wütend. Nicht auf dich, sondern auf mich selber. Ich glaube ich habe das einfach an dir ausgelassen und das tut mir leid. Ich liebe dich Amelia. Ich liebe dich so sehr, dass ich alles dafür tun würde, damit ich für immer mit dir zusammen sein kann. Also noch einmal, bitte, verzeihe mir."
Mein Herz blieb stehen. Liebte er mich wirklich? Ich spürte wieder ein Kribbeln im Bauch. Wie kann ich ihm jetzt noch böse sein? Ich wollte, dass er sich bei mir entschuldigt und das hat er auch getan. Aufrichtig und ernst. "Ich liebe dich auch", quietschte ich leise hervor und ich meinte es ernst. Sofort kam ein Lächeln über seine Lippen und ich konnte nichts dagegen tun, dass auch eins über meine kam. Er machte seine Arme breit und umarmte mich so, wie er mich noch nie umarmt hatte. Ich fühlte mich wie im siebten Himmel. Als ich klein war hatte mich meine Mutter immer so umarmt, als ich Angst hatte oder unsicher war oder einfach eine Umarmung brauchte.
Langsam löste er wieder die Umarmung und schaute mich an. "Sagst du mir jetzt, wo du warst bitte?", fragte er mich ganz leise ohne mich zu verletzen. Ich dachte darüber nach und erzählte ihm, dass ich die Schule geschwänzt habe und mit den Mädels in die Stadt gegangen bin.
Er nahm mich in den Arm und wir gingen zusammen zur Cafeteria. "Ist was spannendes passiert?", fragte er mich auf dem Weg. Der Anrufer, dachte ich sofort. Mein ganzer Körper krampfte sich zusammen. Ich darf Logen nicht zeigen wie schwach ich eigentlich bin. Oder könnte er mich nicht sogar helfen, wenn ich es ihm erzähle? Er ist schließlich ein Mann, oder wird es bald. Nein, auch er wird daran nichts ändern können. Ich will ihn nicht unnötig sorgen. "Alles war super", sagte ich und versuchte mein bestes künstliches Lächeln aufzusetzen.




Solange wir schweigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt