Das Wiedersehen

221 10 0
                                    

Miley

Ich hab das Sekretariat verlassen,damit mich die Sekretärin nicht mehr so schräg anguckt. Ich hab das Gefühl, dass mich alles und jeder seltsam anguckt, als wüssten alle Bescheid, was mit mir passiert ist. Aber ich werde es niemanden erzählen, denn es ist eine Sache, die so weh tut, dass es mich schmerzen würde, wenn es jemand anderes erfährt. Vor allem soll es Amelia nicht erfahren. Die Arme nimmt schon so die ganze Schuld auf sich und wenn ich ihr noch erzähle, was da wirklich vorgefallen ist, bricht sie endgültig zusammen.

Ich schaue ab und zu auf meine Armbanduhr. Amelia ist schon seit 40 Minuten in seinem Büro. Zwar bin ich ein sehr geduldiger Mensch, aber ich kann es nicht erwarten Clara und Sima zu sehen, geschweige denn mit meinen Eltern zu telefonieren. Am Meisten möchte ich allerdings Amelia danken. Als ich mich umdrehe, kommt sie gerade aus seinem Büro. Ihre Schultern hängen schlapp herunter und ihr Gesicht ist total blass, als hätte sie seit Tagen kein Schlaf mehr gehabt. Ich lächel sie an um sie etwas aufzumuntern. "Du warst mit Abstand am Längsten drin. Was hat er gesagt?", frage ich, doch bevor sie nur darüber nachdenken könnte mir zu antworten, umarmt sie mich. Ich genieße die wenigen Sekunden ihrer Nähe, nach dieser langen Einsamkeit. Einige Sekunden verweilen wir so. "Ich bin so froh, dass du heil auf bist. Ich hatte solche Angst um dich", sagt sie und löst sich wieder von mir. Es freut mich und bemerke eine Strähne, die quer über ihr Gesicht hängt. Ich streiche sie ihr aus dem Gesicht. "Ich weiß, dass er gesagt hat, dass du die Schuld trägst, aber das stimmt nicht. Niemand konnte das hervorsehen, okay?", sage ich ihr, weil ich ihr ansehen kann, wie ihre Schuldgefühle sie fertig machen. Sie nickt und versucht ein Lächeln heraus zu bringen, doch ich sehe wie schwer es ihr fällt. Sie glaubt mir nicht. "Amelia, du hast mich vor wirklich schrecklichen Dingen bewahrt und dafür bin ich dir sehr dankbar und die Schuld liegt nur bei Logen. Er hat das ganze geplant und organisiert, wie ein total kranker Psychopath. Er hat dich nur benutzt und hat das ganze als ein krankes Spiel gesehen und es tut mir so leid, dass ich nichts dagegen tun konnte." Wieder nickt sie und ich sehe, wie eine Träne über ihr Gesicht läuft. Weil ich nicht länger darüber kann, ohne in Tränen auszubrechen, lenke ich das Thema ab. "Also, was hat er gesagt?", frage ich und sie schüttelt nur den Kopf. "Das ist jetzt nicht wichtig. Sag mir, hat er dir etwas angetan?", fragt sie und schaut mich besorgt an.  Das ist der Moment, an dem ich ihr sagen sollte, was für ein schrecklicher Mensch Logen ist. Ich sollte ihr sagen, dass er mich geschlagen hat, wenn sie nicht sofort ihre Aufträge erledigt hat. Oder dass er mir manchmal tagelang nichts zu essen gegeben hat und mich gewürgt hat, wenn ich mich wehren wollte. Dass ich immer im dunkeln saß, als er nicht im Zimmer war und dass ich immer im Käfig schlafen und leben musste. Nur einige Male, als Belohnung dafür, dass Amelia ihren Auftrag erfüllt hat, durfte ich auf dem Bett schlafen. Aber ich erzähle es ihr nicht, weil ich weiß, wie sehr es sie mitnehmen würde. Stattdessen sage ich nur, dass er mir Gott sei Dank nichts getan hat und erleichtert lächelt sie mich an. "Dann bin ich wirklich total erleichtert", sagt sie und legt den Arm um mich.
Auf dem Weg zu unserem Zimmer erzählt sie mir von Peinlichkeiten und witzigen Situationen, die sie erlebt hat, solange ich nicht da war, sodass ich bei der einen oder anderen Geschichte lachen muss. Es fühlt sich total gut an in ihrer Nähe zu sein, ihre Stimme zu hören und keine Angst mehr zu haben, dass ich jeden Moment geschlagen werde.
Als wir an Logens Zimmer vorbei gehen, spannt sich mein Körper an und Adrenalin verteilt sich in meinem Körper. Als Amelia stehen bleibt schaue ich sie verwundert an. "Ich muss noch eben etwas erledigen", sagt sie und besteht darauf, dass ich mich alleine auf unser Zimmer begebe.
Auf dem Weg habe ich es etwas mit der Angst zu tun, dass jederzeit etwas aus der Ecke hervorkommt. Ich verschränke meine Arme und versuche mich so klein wie möglich zu machen. Mir kommen ein paar fremde Schüler entgegen die mich total komisch angucken. Was strahle ich aus, dass sie mich alle so angucken. Wieder kommt mir der Gedanke von dieser schrecklichen Zeit in den Kopf und ich versuche ihn zu verdrängen.

Soll ich anklopfen? Irgendwie kommt es mir seltsam vor wieder in mein altes Zimmer zu gehen. Nein, mein aktuelles. Kurze Zeit stehe ich vor der Tür und warte auf irgendetwas. Unsicher öffne ich dann die Tür, ohne vorher geklopft zu haben und zu meinem Glück ist sie offen. Millimeterweise öffne ich die Tür, doch sie wird von jemanden anderen aufgerissen. "Miley?", fragt Clara, die geschockt vor mir steht.

Ihre Augen und ihren Mund hat sie weit aufgerissen und steht etwas unsicher an der Tür. Nach einigen Sekunden bemerkt auch Sima, dass ich da bin, die sofort von ihrem Bett aufspringt und mir glücklich in die Arme läuft, während sie dabei kreischt. "Miley wie schön, dass du wieder da bist. Ich wusste gar nicht, dass du schon heute wieder kommst. Komm rein, erzähl schon. Wie war es, was hast du alles so erlebt?" Ich kann ihr gar nicht mehr richtig folgen, da sie so schnell und viel erzählt. Sie zieht mich am Arm in das Zimmer und springt noch ein paar Mal vor Freude auf. Es schmeichelt mir, dass sie sich so sehr freut, doch ich merke sofort, dass sie gar keine Ahnung hat, wo ich eigentlich war. Was hat Amelia ihr erzählt? Ich höre wie die Tür zugemacht wird und Clara mit einem etwas aufgesetztem Lächeln zu mir kommt und mich umarmt. Ihr Umarmung ist ehrlich und intensiv, doch ich merke sofort, dass sie Bescheid weiß. "Ich bin so erleichtert, dass du wieder da bist und gesund bist", sagt sie und eine Träne läuft über meine Wange.

Solange wir schweigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt