Früher

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Es brauchte einen Moment bis seine Augen sich scharf stellten.
Schon im ersten Augenblick des Wachseins sackte er innerlich zusammen.
Ein weiterer tauber Tag, an dem sich alles falsch anfühlen würde.
Steve wollte nicht wachsein.
Wenn er wach war würden seine Gedanken freien Lauf haben, und permanent zu Rebecca zurückkehren.
Sehnlichst wünschte er sich den ohnmachtsähnlichen, traumlosen Schlaf zurück, in den er sich irgendwie Abend für Abend brachte.
Anfangs hatte er nicht schlafen können.
Viel zu groß und leer und kalt hatte sich sein Bett angefühlt, vor Einsamkeit drohte er verrückt zu werden.
Dann hatte er entdeckt, dass sein Stoffwechsel dank des Serums von Abraham Erskine zwar schneller war als der jedes anderen, und normaler Alkohol würde ihn sich noch nicht einmal schwindlig fühlen lassen, doch medizinischer Alkohol mit über 80% war stark genug seinen Weg in seine Blutbahn zu finden.
Nun konnte er nicht mehr ohne.
Die Flüssigkeit räumte seinen Kopf frei und ließ ihn vergessen.
Doch seit Natashas Besuch wollten ihre Worte nicht mehr aufhören in seinem Kopf herumzuspuken.
Selbst mit Alkohol kam er nicht mehr richtig zur Ruhe.
Hilflos schüttelte er die Müdigkeit ab und schlurfte dumpf zu seinem Kleiderschrank.
Vielleicht sollte er mal wieder frische Luft in die Lungen bekommen.
Mühsam zog er sich an und ging ins Badezimmer, wo er den Blick in den Spiegel äußerst Bedacht vermied.
Nachdem er sich etwas Wasser ins Gesicht gespritzt hatte und sich mit den Fingern durch die Haare gefahren war machte er sich auf den Weg nach draußen.
Jeder Schritt war schwerer als der andere und schien ihm physisch wehzutun.
Trotzdem, irgendetwas trieb ihn nach draußen.
Sobald er den grünen Rasen des Geländes der neuen Avengers- Einrichtung betrat, fühlte es sich an als wäre ein winziger Teil seines Kummers von seinen Schultern geflogen, jetzt, wo er war wo sich Rebecca wahrscheinlich unglaublich wohl gefühlt hätte.
Er schloss die Armen und atmete tief ein.
Es war Ewigkeiten her seit er das letzte mal das Gebäude verlassen hatte.
Irgendwann, er hatte wahrscheinlich schon länger einfach dort gestanden, hörte er wie sich Schritte neben ihm verlangsamten.
Schweren Herzens, schließlich war er gerade endlich einmal ein wenig zur Ruhe gekommen, öffnete er die Augen und richtete den Kopf in die Richtung der Schritte.
Natasha lächelte vorsichtig zu ihm hoch.
Sie trug Laufkleidung und schien gerade ihre morgendliche Runde gedreht zu haben.
"Es freut mich dich hier draußen zu sehen."
Der Captain senkte den Kopf.
"Was hat dich dazu gebracht rauszukommen?"
"Frische Luft."
Murmelte er und mied den direkten Blickkontakt mit der Witwe.
"Du solltest sie besuchen."
Er verkrampfte sich und seine Fingernägel bohrten sich in seine Hand als er die Fäuste ballte.
"Ich kann nicht."
Presste er hervor.
"Sie braucht dich genau wie du sie brauchst."
Steve fuhr sich über das Gesicht.
Das konnte er nicht.
Er konnte sie nicht ansehen, wie sie blass und abgemagert voller schlecht heilender Wunden dalag, angeschlossen an gefühlt hunderte Geräte und Schläuche.
Die Witwe wusste, dass er dabei war zu verneinen.
Doch er war gerade dabei ein wenig seines Schocks abzuschütteln, wenn sie es jetzt nicht schaffte ihn zu überreden sein Mädchen zu besuchen dann nie.
"Bitte, Steven. Reiss dich zusammen."
Endlich sah er ihr in die Augen.
Sein Blick erschreckte Natasha.
Das Blau seiner Augen hatte nichts mehr von Steve Rogers Augen.
Doch da war etwas- ihre Jahrzehntelange Arbeit, Menschen zu studieren zahlte sich aus, und ließ sie erkennen dass sich etwas in seinem Ausdruck veränderte.
"Ich werde nicht lange bleiben."
Sie atmete auf und erlaubte sich ein breiteres Lächeln.
Endlich.
"Soll ich mitkommen?"
"Nein..."
Der Captain klang zerstreut.
"Ich muss das alleine tun."
Ohne ein weiteres Wort drehte er ihr den Rücken zu und lief wieder zurück ins Gebäude.
Beschwingt setzte die Rothaarige ihren Lauf fort.

Als Steve Rebecca dort auf dem Bett liegen sah bedurfte es größter Selbstbeherrschung nicht auf dem Absatz kehrt zu machen und sich zurück in seine Wohnung zu verkriechen.
Es wunderte ihn dass er überhaupt noch so etwas wie Selbstbeherrschung besaß.
Während eine unglaubliche Angst ihn fast lähmte ließ er sich auf dem Stuhl neben Rebeccas Bett nieder.
Wieder musste er sich selbst überwinden um ihr ins Gesicht zu blicken.
Vorsichtig griff er nach ihrer Hand, der, in der nicht lauter Schläuche steckten.
"Hey Becca."
Flüsterte er.
Plötzlich begannen die Tränen zu fließen.
All die Emotionen, denen er in den letzten Wochen und Monaten aus dem Weg gegangen war, die er beiseitegeschoben hatte wie ein störendes Möbelstück, rauschten auf ihn ein, und es dauerte länger als eine Stunde bis die Wellen von Gefühlen an Heftigkeit einbüßten.
Danach, er traute sich kaum es zu denken, geschweige denn zu sagen, fühlte er sich besser.
Rebeccas Herzschlag auf dem Monitor veränderte sich zwar nicht, doch für Steve fühlte es sich an als hätte sie gespürt dass er da war.
Er hätte schon viel früher kommen sollen.

Waking upWo Geschichten leben. Entdecke jetzt