Klarheit

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Obwohl die Verhandlung gut lief konnte Rebecca für keinen einzigen Moment ihre Anspannung ablegen.
Der junge Anwalt brachte Argument um Argument hervor und schaffte es so trotz Protesten der Anwesenden UN-Vertreter, alle Forderungen durchzusetzen.
Alle.
Für Steve und seine Frau fühlte sich das alles etwas zu leicht an, doch warum beschweren?
Bucky schien sich komplett seinem Schicksal ergeben zu haben und saß mit einem überraschend Entspannten Gesichtsausdruck auf dem ihm zugewiesenen Platz.
Irgendetwas schien ihn zurück ins Gleichgewicht gebracht zu haben.
Nach etwa vier Stunden war der Augenblick gekommen:
Captain America sollte endlich die Socovia Accords unterschreiben.
Das erste mal kehrte Stille im Saal ein, und damit Rebecca's Panik zurück.
Irgendetwas hier fühlte sich falsch an.
Dann stand Steve auf, und für einen Moment verlangsamte sich alles.
Irgendwo über ihnen zerbrach eine Fensterscheibe.
Die meisten reagierten noch nicht einmal schnell genug um zusammenzuzucken.
Das erste mal in ihrem Leben verspürte Rebecca eine absolute Klarheit, sie wusste das erste mal exakt was passieren würde.
Obwohl das kalte Grauen sie packte, schaffte sie es noch "Runter!" zu brüllen, doch es war zu spät.
Mit ihrem übermenschlich gutem Gehör vernahm sie den von Kleidung gedämpften Einschlag besser als jeder andere.
"NEIN!"
Ihr verzweifelter Ausruf durchschnitt die brummende Geräuschkulisse.
Wie gelähmt musste sie zusehen, wie ihr schlimmster Alptraum zur Wahrheit wurde.
Steve sackte in sich zusammen, Blut färbte das weiße Hemd unter seinem Jackett rosa.
Sie schaffte es ihre Lähmung abzuschütteln und war die erste, die neben ihm kniete.
"Nein nein nein, Steve, das ist nur eine kleine Wunde, wir schaffen das, okay, nur ganz klein."
Redete sie hastig auf ihn ein.
Doch die Schusswunde war alles andere als klein.
Meisterhaft getroffen, direkt durchs Herz.
Wie von Sinnen begann Rebecca eine Herz-Lungen-Wiederbelebung, doch ihre Hände wurden immer voller mit Blut und begannen abzurutschen.
Am Rande ihres Bewusstseins merkte sie dass sie weinte und wischte die Tränen weg, verteilte so jedoch das Blut auch noch über ihr Gesicht.
Der Rest der Anwesenden schien bis auf Matt Murdock und James Barnes in eine Art Schockstarre verfallen zu sein.
Der Anwalt hatte aus seinem Aktenkoffer zwei dämlich aussehende Stäbe, zusammen mit einem roten Bündel, geholt und hatte den Gerichtssaal verlassen, jedoch nicht so wirkend als wäre es aus Gründen der Panik.
Anstatt nach irgendwohin zu verschwinden rannte der ehemalige Winter Soldier zu seinem auf dem Boden liegenden besten Freund und seiner hochschwangeren Frau, die mit all dem Blut über Gesicht und Arme verteilt aussah wie Carrie.
Er begutachtete die Situation, dabei schaffte er es keinen emotionalen Ausraster zu haben.
Selbst nach all der Zeit auf freiem Fuß wusste er nicht zu was er im Stande war.
Als Rebecca es schaffte, für einen Moment lang logisch zu denken, realisierte sie dass die Wiederbelebung nicht funktionieren würde.
Auf der Brust herumzudrücken würde die Wunde nicht schließen.
Verzweifelt legte sie eine Hand auf seine Wunde und versuchte, die Fähigkeit sich selbst zu heilen auf Steve zu übertragen.
Doch plötzlich legte sich eine schwache Hand auf ihre und schob sie beiseite.
"Nein."
Presste der Captain mit brüchiger Stimme hervor.
"Bitte, lass mich dir helfen, ich kann dir helfen! Bitte Steve..."
Schluchzte Rebecca und beugte sich über ihn.
"Du sollst auf dich aufpassen und nicht..."
Die Hand auf ihrer erschlaffte.
Sein Blick wurde leer, die sonst so lebhaften blauen Augen glasig.
"Tu mir das nicht an! Bleib bei mir, hörst du, bleib bei mir!"
Ein Rettungssanitäter schob sie beiseite, anscheinend hatte irgendjemand es geschafft sich aus seiner Starre zu lösen und den Notruf zu kontaktieren.
Die beiden lächerlich grell gekleideten Sanitäter fühlten Steve Rogers' Puls bevor sie halbherzig mit den Wiederbelebungsmaßnahmen begannen.
Es war ihnen rechtlich vorgeschrieben auch bei Toten einen Reanimationsversuch durchzuführen.
Unterbewusst beschwor Rebecca zwei Ranken herauf, die die beiden Notärzte beiseitefegten.
Zitternd kroch sie zurück neben Steve und begann seinen erschlafften Körper hin und her zu wiegen.
Sie wagte es kaum ihre Augen zu schließen.
Vor ihrem inneren Auge hatte sie immer alle Lebewesen in ihrer Umgebung als kleine Lichtpunkte wahrgenommen, und noch nie in ihrem Leben hatte sie so einen reinen und Strahlenden wie Steves gesehen.
Nun war er erloschen.
In einem fort murmelte sie oh mein Gott, eine Bitte an eine höhere Singularität die entweder nicht existierte oder herzlos war.
Bucky weinte ebenfalls, schaffte es aber sich neben Rebecca niederzulassen und sie weg von Steve zu zerren.
Sie wehrte sich heftigst gegen James' eiserne Umarmung, doch er ließ nicht locker.
"Er ist gegangen, Rebecca. Du kannst nichts mehr tun."
Ihre Lippen formten ein stilles Nein, doch ihr Widerstand ebbte ab.
Sie ergab sich der Umarmung.
Bucky hoffte ihr so wenigstens ein winzig kleines bisschen Trost zu spenden, Trost den er selbst gebrauchen hätte können.
Hatten sie all das durchgemacht nur um so ein Ende zu verdienen?
Dieses hier verdiente niemand.
Am wenigsten die Frau die er über alles geliebt hatte.
Die wenigen Momente der beiden, die James zu erleben bekommen hatte, reichten um sagen zu können das Rebecca die Liebe seines Lebens war.
Sie hing stumm weinend in seinem Armen, die Augen starr auf Steves toten Körper gerichtet.
Seine Augen waren immer noch geöffnet, keiner der Sanitäter hatte mehr die Zeit gehabt sie zu schließen.
"Wir sollten gehen. Hier ist es nicht sicher."
Wie ein trotziges kleines Kind schüttelte Rebecca den Kopf.
"Nein."
Ihre Worte waren kaum durch ihr schluchzen zu verstehen.
Sie wollte sich nicht von der Stelle bewegen.
Das würde bedeuten sie hätte noch Kraft in sich, Kraft einfach weiterzumachen.
Doch das ging nicht.
Ihr Mann lag tot neben ihr, der Vater ihres ungeborenen Kindes, und ihre Hände waren nass von seinem Blut.
So viel Blut.
Ohne auf ihr Nein einzugehen stand James auf, Rebecca mit sich hoch ziehend.
"Nein!"
Schrie sie, ihr Hals fühlte sich rau an.
"Hör mir zu."
Buckys Stimme zitterte und auch seine Augen waren von Tränen gerötet, aber er hatte seine Emotionen im Griff.
Vorsichtig und trotzdem noch bestimmt platzierte er seine Hände links und rechts von ihrem Gesicht.
"Der Schütze könnte noch auf seinem Posten sein, und heute wird niemand mehr sterben, in Ordnung?"
Ein neues Salve Schluchzer entwich ihren Lippen und sie drohte hinzufallen, doch er hielt sie aufrecht.
Rebecca nickte schwach.
Für sie fühlte sich sowieso alles dumpf und verschwommen an.
Nervös blickte sich der ehemalige Winter Soldier im Saal um.
Natasha weinte stumm gegen Tony Starks Jackett, der Milliardär stand leichenblass und steif da.
Die beiden Sanitäter hatten Steve auf eine Trage gehoben und waren dabei diese wegzurollen, Clint Barton kümmerte sich jedoch darum und rief ein S.H.I.E.L.D Team an.
Sam Wilson war damit beschäftigt Wanda Maximoff davon abzuhalten mit ihrer Magie irgendetwas hochgehen zu lassen, sie war absolut traumatisiert und außer sich.
Im gesamten Saal war eine Panik ausgebrochen.
"Komm."
Flüsterte Bucky.
Als er sah dass Rebecca nicht mehr laufen konnte hob er sie kurzerhand hoch und trug sie zum Ausgang, wo ihnen ein Team eines Sonderkommandos entgegenkam.
Im allgemeinen Chaos bemerkte niemand das Fehlen von James oder Rebecca.
Vor dem Gebäude knackte Bucky ohne großes Zögern einen der vielen dort geparkten Luxuswägen und half Rebecca beim einsteigen.
Wobei helfen nicht wirklich das richtige Wort war, er presste sie mehr oder weniger in den Sitz und schnallte sie an, da sie nur wie betäubt ins nichts starrte.
"Die haben ihn umgebracht, Bucky."
Murmelte sie nach einer Weile abwesend.
Diese Worte schienen etwas in ihm auszulösen, denn der sonst so toughe Mann fing an zu schluchzen.
Er hatte sich schnell wieder gefangen und blickte zu Rebecca hinüber, deren Wangen stille Tränen hinunter liefen.
"Ich weiß."
Antwortete er schließlich.
"Und wir werden herausfinden wer es war und ihn zur Strecke bringen. Aber zuerst werde ich dich zurück zu Bartons Farm bringen."

Matt Murdock kehrte zurück in den Gerichtsaal, wo nur noch Tony Stark alleine auf einer der Bänke saß.
Das Hemd des Anwalts war an einer Stelle gerissen und entblößte eine hässliche Wunde, aus seinem Altenkoffer baumelte ein roter Ärmel.
"Mr. Stark?"
Der Milliardär blickte mit rot geschwollenen Augen auf.
"Was wollen sie, Murdock?"
"Der Mörder wurde gefasst, von einer anonymen Partei."
Ein Schatten huschte über Starks Gesicht.
"Weiß man einen Namen?"

"Vincent Mors."

Waking upWo Geschichten leben. Entdecke jetzt