Schon am nächsten Morgen holen Amira und Iias Jasmin ab. Sie zwingt sich zu lächeln als sie sich von ihren Eltern verabschiedet doch Amira sieht das sie die ganze Nacht durchgeweint hat. Jeder sieht es, nur keiner sagt etwas. Wortlos steigt Jasmin ins Auto und Iias fährt los.
"Ich hab Angst.", ertönt es plötzlich von hinten. Amira knetet ihre Hände und blickt wild umher. Sie weis nicht wie sie sich verhalten soll. Sie bleibt ruhig und runzelt die Stirn. Sie will ihrer Schwester helfen aber wie. Ihr fallen nicht einmal Worte ein um ihr zu helfen. In diesem Moment fühlt Amira sich so nutzlos. Iias sieht ihre Besorgnis doch auch er kann nicht helfen. Weder Jasmin noch seiner Frau. Jasmin beginnt zu schniefen. Amira hält es nicht mehr aus. Zum ersten Mal in ihrem Leben macht sie etwa spontanes und unüberlegtes. Sie entgurtet sich und krabbelt trotz Iias Warnung auf den Rücksitz neben Jasmin. Sie setzt sich hin und schallt sich wieder an.
"Amira! Was sollte das?", ruft Iias aber Amira wirft ihm einen entschuldigenden Blick zu bevor sie Jasmin einfach in die Arme nimmt. Als Iias sie in den Arm genommen hat hat sie sich so wohl und sicher gefühlt, als könnte ihr nichts um niemand Leid antun. Sie hoffte inständig das dies auch bei Jasmin wirkt.
Zuerst verwirrt aber dann überwältigt drückt Jasmin sich in die Arme ihrer Schwester und beginnt zu weinen.
"Es tut mir leid.", schnieft sie mehrmals zwischendurch woraufhin Amira einfach die Umarmung verstärkt.
Kurz bevor sie die Arztpraxis erreichen beruhigt sie sich.
"Danke.", krächzt Jasmin.
Amira nickt bloß. Sie fühlt sich so nutzlos.
Es scheint die Schwester einer seiner Freunde ist Gynäkologin, deshalb konnten sie so schnell einen Termin bekommen. Als Jasmin aufgerufen wird betritt sie gemeinsam mit Amira das Behandlungszimmer. Selbst Amira war nur einmal hier um ihrer Schwiegermutter zu bestätigen das sie noch Jungfrau ist. Alles ist so fremd und unbehaglich. Die Ärztin klärt die Formalitäten und erkundigt sich für den Grund des Besuchen woraufhin Jasmin hilflos zu Amira sieht.
Amira fasst ihrem ganzen Mut zusammen. Sie will ihrer Schwester helfen und will für sie da sein. Selbst wenn sie ihr nur mit Worten helfen kann.
Zögernd beginnt Amira:"Meine Schwester denkt sie ist schwanger und möchte gerne wissen ob es stimmt."
Die Ärztin nickt und bitte Jasmin sich hinzulegen damit sie sie untersuchen kann. Amira steht neben ihr und hält ihre Hand.
"Ich hab Angst.", flüstert sie.
Amira lächelt sie zuversichtlich an. "Keine Angst Prinzessin. Ich bin für dich da."
Unter Tränen bringt sie ein Danke heraus.
"Darf ich fragen welchen Schwangerschaftstest sie verwendet haben?"
"Uhm. Weis nicht. Der erste der da war.", antwortet Jasmin ängstlich.
Die Ärztin nickt und beendet die Untersuchung. "Sie sind eindeutig nicht schwanger.", stellt sie fest.
Sowohl Amira als auch Jasmin atmet erleichtert aus. Gott sei Dank. Nicht schwanger.
Die Fahrt verbringen sie mit Schweigen und auch als Amira das Mittagessen zubereitet und Iias, verspätet, zur Arbeit geht, bleibt es ruhig. Während dem Essen hält Jasmin es nicht aus. "Kannst du nicht etwa sagen.", fleht sie.
"Ich habe nichts zusagen. Du hörst ja sowieso nicht auf mich."
Jamsin wendet den Blick ab. Wütend antwortet sie:"Du warst schon immer so. Das perfekte Mädchen. Alle wollten so sein wie du. Gute Noten. Wunderschön. Belesen. Religiös. Natürlich redest du nicht mit deiner verhurten Schwester."
Wütend lässt Amira ihr Besteck fallen uns schaut ihrer Schwester in die hellbraunen Augen.
"Jeder wollte so sein wie ich? Wieso? Ich wollte nicht nicht mal so sein wie ich! Unfähig sich eine eigene Meinung zu bilden. Tut immer das was Mama und Papa sagen auch wenn er Mist ist. Wieso sollte jemand sie sein wollen wie ich damals war? Ich war eine Marionette!", ruft sie ihr wütend entgegen. Plötzlich reißt sie die Augen auf und springt auf.
"Hey! Amira?!", verwirrt folgt ihre Schwester ihr ins Schlafzimmer und bleibt am Türrahmen stehen. Sie hätte alles erwartet aber das? In einer Ecke des Zimmers steht ein Tisch und ein Sessel übersät mit Stiften aller Art und Farbe, Skizzen, Gemälde und Leinwände. Langsam betritt Jasmin das Zimmer und stellt sich gegenüber Amira welche vertieft auf dem Boden in einen Block zeichnet. Ohne ein Wort zu sagen sieht sie sich die Bilder ihrer Schwester an. Sie findet einen zusammengehefteten Stapel von Zeichnungen und sieht ihn durch. Ein und dieselbe Bleistiftzeichnung, ein simpler Stuhl. Jasmin zieht eine Augenbraue hoch und versucht zu verstehen was ihre Schwester damit bezwecken will. Je weiter zurück sie blättert umso eindeutiger wird es. Die obersten Zeichnungen sind die neuesten und somit besser gezeichnet. Sie übt.
"Verdammt. Ich wusste nicht das du echt Talent hast.", platzt es aus ihr heraus.
Amira sieht kurz auf und blinzelt ihre Schwester an.
"Ich hoffe das du einen Mann findest der dich bei deiner Selbstverwirklichung unterstützt. Jemand der dich unterstützt mit allem was du macht. Aber ich hoffe noch mehr das zu deine Selbstverwirklichung selbst findest, ohne die Hilfe eines Mannes."
Jasmin atmet aus und kniet sich zu ihr hin. "Schau. Ich bin nicht wie du. Ich komme gerade so durch in der Schule. Ich bin frech. Ich habe eine Vergangenheit mit Jungs. Ich sehe nicht einmal aus wie eine religiöse Person."
"Deinem Zukünftigen wird das egal sein."
"Wie soll er mich finden wenn ich nicht deinen Erwartungen entspreche?"
"Das weist du nicht. Vielleicht bist du perfekt für ihn.", Amira gewinnt mit der Zeit immer mehr Selbstvertrauen und hat das Gefühl ihrer Schwester endlich helfen zu können.
"Ich hab gehört wie Mama und Baba geredet haben. Sie wollen mich jetzt schon verheiraten." Ihre Stimme zittert und in ihren Augen füllen sich erneut Tränen.
"Du bist erst 16. Das ist gesetzlich nicht möglich."
"Aber islamisch schon."
"Nur wenn du zustimmst."
"Mama und Baba werden mich zwingen." Die ersten Tränen fließen ihre Wange herunter und auch Amira wird schwach. Sie kann es sich nicht verkneifen sich an ihre eigene Situation zu erinnern. Diese Angst. Einerseits das bekannte Elternhaus zu verlassen und in ein neues einzuziehen, andererseits die Angst vor dem Mann mit dem sie ihr Leben verbringen muss. Amira selbst weis das sie Glück hatte mit Iias. Es gibt so viele verrückte, herrschsüchtige, gewalttätige Männer.
Amira ballt die Fäuste und lässt den Block zu Boden fallen damit sie Jasmin zu sich ziehen kann. "Ich verspreche dir das ich alles versuchen werde damit du nicht gegen deinen Willen verheiratet wirst aber du musst mit versprechen das du keine Beziehung mehr eingehst. Was wenn du wirklich schwanger wirst. Ich will dich nicht verurteilen, du weist selbst wie verhasst das in unserer Religion ist."
Jasmin nimmt Amiras Hand und wischt sich die Tränen mit der anderen weg.
"Ich verspreche das ich es versuchen werde."

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Über Zwang und Liebe
RomanceKann aus Zwang Liebe werden? Zu Gehorsam gedrillt und in eine Form gepresst die der strengen Gesellschaft passt. Keine eigene Meinung, keine eigenen Entscheidungen. Nicht einmal den Ehemann darf Amira sich selbst aussuchen. Doch sie hat Glück...