Chapter 9

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Freitag

Ich höre ein gleichmäßiges Piepen. Immer wieder. Ich versuche meine Augen zu öffnen, doch es misslingt mir. Alles ist schwarz. Schwarz wie die Nacht. Ich versuche mich zu erinnern, was passiert ist. Ja, ich habe mich wieder geritzt. Schon wieder. Es war der 8. Schnitt. Die 8. Narbe. Viel zu viele. Plötzlich höre ich Stimmen neben mir. "Wann wird sie aufwachen?" - "Das kann man nicht genau sagen. Jetzt, später, morgen, oder auch länger." - "Ok, dankeschön." Dann höre ich wie jemand die Tür schließt.

"Amilia.. Ich weiß, du kannst mich hören. Bitte wach jetzt auf. Ich brauche dich! Mehr als ud jemals begreifen wirst. Ich liebe dich." Es ist Josh. Ich spüre wie er meine Hand in seine legt. Ich möchte ihn aber mehr spüren, ich will ihn sehen können, seine Küsse spüren. Ich muss meine Augen öffnen, und zwar jetzt. Mit aller Kraft versuche ich noch ein Mal sie zu öffnen, und ich schaffe es. Ich sehe weißes Licht, und werde geblendet. Schnell schließe ich wieder meine Augen. Ich muss mich erst an dieses grelle Licht gewöhnen. Noch einmal öffne ich die Augen. Erst ganz vorsichtig, doch schließlich öffne ich sie ganz. Ich sehe die hässliche Decke des Krankenhauses, und dann Josh, der auf mich zurennt und mich wild umarmt. Ich bekomme fast keine Luft mehr, so sehr drückt er mich. "J.. Josh! Ich bekomme keine.. Luft mehr!" - "Oh, entschuldigung! Natürlich! Tut mir leid!" Er lässt mich sofort los, und setzt sich auf den Rand von meinem Bett. Er hält wieder meine Hand. "Amilia, was.. was ist passiert?" - "Ich weiß es nicht mehr.." Es war teilweise eine Lüge. An den Anfang kann ich mich noch erinnern, aber was dann passiert ist, habe ich natürlich keine Ahnung, aber ich kann es mir denken... "Bitte lüg mich nicht an!" - "Tu ich nicht!" Eine weitere Lüge. "Achja? Und wieso musste deine Dad dich dann fast verblutet in der Badewanne auffinden?" Ich sehe wie schwer er sich mit diesen Worten tut, und ich sehe die Tränen in seinen Augen. In meinen bilden sich ebenfalls welche.  "I .. Ich.."

Plötzlich wird die Tür schwungvoll aufgeschlagen. Dad kommt rein. Ich danke dir Dad, dass du mich vor dieser Situation gerettet hast. "Amilia! Du bist wach! Seid wann? Wie geht es dir? Soll ich einen Arzt rufen?" - "Hey, Dad." Das ist alles was ich hervorbringe, denn in meinem Hals ist ein dicker fetter Kloß, der mich daran hindert, nur einen richtigen vollständigen Satz hervorzubringen. Dad stürmt ebenfalls auf mich zu und drückt mich fest. Fast noch fester, aber ich genieße es einfach. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Josh sich auf einen Stuhl gesetzt hat, und nur verstohlen zu uns geguckt hat, lässt Dad mich dann auch mal wieder los. Ich finde es ja schön, dass er sich so um mich kümmert, aber muss er das umbedingt vor meinem Freund machen? Ob er den Zettel gelesen hat? Egal, das ist jetzt unwichtig. Ich habe Angst, dass Dad dieselbe Frage stellt. "Was ist eigentlich passiert, Amilia?" Na toll.

"I .. Ich weiß es wirklich nicht!" - "Wieso hast du geblutet?" Ich schweige und schaue betreten auf meine Arme. Oh nein, meine Arme! Ich habe ein kurzärmeliges Nachthemd an, und man kann alle meine Narben sehen, wenn man genau hinsieht. Hat anscheinend bis jetzt noch keiner. "Die Ärzte meinten, dass du uns das erklären solltest. Was meinen sie damit?" Okay, keiner außer die Ärzte hat genau hingesehen. Tränen rollen über meine Wange und ich fange an zu schluchzen. Was ist das für ein Leben? Ich habe alles vermasselt, aber auch wirklich alles! Warum habe ich bloß angefangen, mich zu ritzen? Warum? Alle meinten doch, dass es süchtig macht, und ich naives, dummes Kind dachte, ich wäre stark genug, dagegen stand zu halten. Nichts da. Ich breche einfach so zusammen. Der ganze Druck. Er hat mich zerstört. Als ich das alles denke, bin ich mir nicht sicher, wem das 'er' von 'Er hat mich zerstört.' gilt. Dem Druck, oder Louis.

"AMILIA!", schreit mein Dad mich an. Ich zucke zusammen. "Amilia, bitte rede mit uns!", meint nun Josh. Es tut mir ja auch leid, aber ich werde niemals mit Josh reden. Wenn er die Wahrheit wüsste, dann würde er mich nicht lieben. Er würde mich hassen, mich abstoßend finden. "Ich.. eh, ja. I.. Ich..", während ich so herumstottere, versuche ich möglichst unauffällig meine Arme und meine Bettdecke zu verstecken. Plötzlich springt Josh auf und hält meinen Arm fest. Ich hätte aufheulen können vor Schmerzen. "Was. Ist. Das?" Dabei zeigt er auf meine Narben. Auf meine 8 Narben. Man sieht nicht alle, und auf der frischesten ist ein Pflaster drauf. Hätten diese verschissenen Schwestern denn nicht überall Pflaster raufmachen können? Wollen die mich verarschen? Das haben die wetten mit Absicht gemacht?! "K..Könntest du bitte.. deine Finger da weg nehmen?", bringe ich stotternd vor Schmerzen hervor. "Amilia. Was ist DAS?", schreit mich nun auch mein Dad an. Immer mehr Tränen kommen hervor, bis ich vor Tränen nicht mehr sprechen kann. Gut so. Josh sinkt auf dem Boden zusammen, sein Kopf in seine Hände gestützt. Er weint ebenfalls, da bin ich mir sicher. Mein Dad steht immer noch völlig geschockt vor mir. "Ich dachte, ich wäre ein guter Vater. Ich dachte, du hättest alles, alles was du brauchst. Aber anscheinend habe ich mich getäuscht. Ich brauche kurz Luft." Mit diesen Worten verschwindet er aus meinem Zimmer. Das macht das alles nicht gerade besser. Auch Josh steht auf, und geht. Ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. "Josh.", flüstere ich, da meine Stimme schnell versagt. Ich glaube nicht, dass Dad heute noch zurück kommt. Eher morgen. Oder übermorgen. Oder gar nicht mehr. Nein, das glaube ich nicht. Aber Josh. Hat er mich gerade verlassen? Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber, wenn wir uns das nächste Mal begegnen, wird es sicher klarer.

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