Wir vergeben und vergessen deine Taten nicht

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Fauliges, spärliches Stroh bedeckte den feuchten Boden der dunklen Zelle. Ein kleiner Schacht an der rechten Seite spendete etwas Licht. Da es überhaupt möglich war, Sonnenlicht in den kleinen Raum zu lassen, vermutete ich, dass wir uns sehr nahe an der äußeren Felswand befanden, die direkt an den Ozean des Myron grenzte.

Mein Bruder saß an der gegenüberliegenden Seite der Tür.
Er trug eine schlichte schwarze Hose und ein dünnes dunkelrotes Hemd. Seine Haare waren zwar länger und auch einen Bart hatte er bekommen, den er sich sonst immer gestutzt hatte. Trotz der dreckigen Umgebung wirkte er relativ sauber und seine Anmut hatten auch die Monate ohne Sonnenlicht nicht nehmen können.

Lässig lehnte er an der kahlen Wand und hob langsam seinen Blick, als er mich bemerkte.
Sein Blick war klar und hell. Die hellen blauen Augen strahlten. Für einen Moment erkannte ich meinen lieben, längst verloren geglaubten Bruder wieder.
Doch die Kette an seinem Bein, die fest in der Wand verankert war, verriet auch Fremden, dass dieser Mann nicht umsonst hier unten war.

Als er erkannte, dass ich es war, die an der vergitterten Tür stand, schlich sich ein Grinsen über sein Gesicht.
"Na wen haben wir denn da?". Seine Stimme klang kalt wie eh und jeh, hallte von den Wänden wider und eine Gänsehaut kroch meinen Rücken hinab.
"Ich wusste, dass du es sein wirst, die mich eines Tages besucht. War die Sehnsucht nach deinem Bruder zu groß? Oder haben dich deine Schuldgefühle zu mir getrieben?"

Wütend wendete ich meinen Blick ab. Ich hatte gehofft, dass die letzten Monate ihn etwas zur Besinnung gebracht hätten und die Tatsache, dass die dunkle Macht des Drachen nicht mehr in ihm wohnte. Da hatte ich mich aber wohl getäuscht.

"Hör auf mit deinen Spielchen Nevary. Um mir deine unagebrachten Sprüche anzuhören bin ich nicht gekommen. Und glaube mir: wäre es nicht dringend, würde ich dich niemals besuchen!", antwortete ich trocken.

Der Gefangene stieß ein Lachen aus und wendete seinen Kopf zur Seite. Mit dem Blick zur Wand knurrte er:
"verschwinde einfach wieder! Egal um was es sich handelt, ich werde dir nicht helfen."

Sowas hatte ich mir schon gedacht. Was hätten wir auch erwarten dürfen? Ein "liebend gern helfe ich euch, obwohl ihr mich vor allen gedemütigt habt, meiner Kraft beraubt und in die düsteren Tiefen einer Burg gesperrt habt, die ich eigentlich regieren wollte", wäre wohl zu viel verlangt.
Und dennoch gab ich nicht nach.

Kalt starrte er weiter zu linken Wand. Er blickte auch nicht auf, als ich den Schlüssel ins Schloss steckte und die schwere Eisentür mit einem lauten quietschen aufschob.

Die Wachen wollten schon zu mir eilen, als sie bemerkten, was ich tat, aber eine Geste von mir brachte sie zum Stehen.
Ich fühlte mich genauso unwohl wie die Wachen, als ich langsam in die Zelle trat.
Die kühle Luft schien hier drin noch sehr viel eisiger und muffiger. Fröstelnd blieb ich stehen, gerade so weit von meinem Bruder entfernt, dass er mich durch die Kette nicht erreichen konnte.

Ich hatte mir hundert Möglichkeiten überlegt, wie ich mit ihm reden sollte, aber alle würden zur Konsequenz haben, dass er mich ignorierte.
Es gab nur eine Sache, die er als Gegenleistung haben wollen würde und die konnte und wollte ich ihm nicht genehmigen.

"Wie hast du die Drachen getötet?!", hörte ich mich sagen und war selbst überrascht wie fordernd und fest meine Stimme klang.

Nevary blickte leicht verwirrt auf. Endlich hatte ich wieder seine Aufmerksamkeit.
"Was ist denn das für eine Frage? Als würde ich dir eines meiner größten Geheimnisse verraten!"

Er grinste und begann dann zu überlegen.
"Alle Drachen sind tot. Das weiß ich. Wieso also willst du das wissen?"

Natürlich würde er mich nach dem Warum fragen. Aber ich hatte nicht vor ihm etwas zu erzählen.
Verbissen starrte ich ihn an. Ich wollte hören, was er selbst vermutete. Wie viel wusste er über Arokh und Krista'ar.

Time to Reign 2 - Das vergessene LandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt