Das Monster in uns allen

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"Weißt du noch damals Salira, als du oben im Gewölbe über dem Thronsaal saßt und ich dich solange genervt habe, bis du gegangen bist?", fragte mein Bruder.
Ich nickte. Ich konnte mich noch genau an den Tag erinnern. Es war der letzte Tag, an dem ich meinen Bruder gesehen hatte. Meinen alten, unschuldigen Bruder. Das nächste Mal als wir uns sahen, tötete er unsere Eltern.
"Ja ich weiß noch genau, was damals an dem Tag geschehen ist", sagte ich trocken. Es waren keine schönen Erinnerungen. Generell alles, was mich an Nuvyenne erinnern ließ, machte mich traurig und melancholisch.

"Gut, dann werde ich euch nun erzählen was damals wirklich geschah. Es begann an jenem Tag. An diesem Punkt. Ich bin mir bewusst, dass dies alles verändern wird. Und auch wenn es eure Sicht der Dinge zerstören mag, ist notwendig, dass ihr alles über meine Vergangenheit wisst. Keine Lügen mehr und kein Verstellen. Ihr sollt sehen wer ich wirklich bin. Und vor allen, wer das wahre Monster ist."

Gespannt ruhten alle Blicke auf meinem Bruder. Ich hatte ihn noch nie so entschlossen und aufgeregt gesehen. Er war unendlich ernst. Es bedeutete große Überwindung für ihn etwas zu erzählen, was anscheinend so entscheidend war.

"Es begann damals, an jenem Tag. Du warst gegangen und ich war alleine im Gebälk. Langsam kletterte ich auf einen Balken, immer weiter in die Mitte. Staub von Jahrhunderten bedeckte das Holz. Ich sah die Stelle, an der kein Staub lag und wusste, dass du dort deinen Wachposten hattest. Von dort aus hatte man eine gute Sicht auf den vorderen Teil der Halle. Ich erkannte Vater, der auf und ab tigerte. Er spielte nervös an seinem Mantel herum und blickte immer wieder zum Eingang. Seine Haare waren verwuschelter als sonst und auch das Gesicht sah eingefallen und blass aus. Er hatte anscheinend viele schlaflose Stunden hinter sich. Ich machte mir Sorgen um ihn und fragte mich, was ihn so sehr beschäftigte, bis ich das Gespräch zwischen ihm und Alaron hörte.
Der Ritter schritt nach einigen Minuten, in denen ich nur Vater beobachtet hatte, schnell in den Saal. Er verneigte sich leicht vor seinem König. Dieser war recht genervt und fragte ohne Umschweife:" hast du das bekomme, was ich fordere?!"

Ungeduldig wie ein kleines Kind trat er von einem Bein aufs andere.
Der Ritter grinste:" Ja Majestät. Der Zauberer ist gerade eingetroffen und mit ihm die zwei Osranen. Er braucht nur noch wenige Stunden, um sich im Labor einzurichten, dann können wir mit dem Vorgang beginnen."
"Gut, gut", antwortete Raergo grinsend. "Endlich. Nach so vielen Jahren bin ich dem Ziel so nahe. Ich kann es kaum erwarten. Sag dem Zauberer er solle sich beeilen und wenn er soweit ist, dann bringe meinen Sohn zu ihm. Er soll der Erste sein."
Alaron nickte zuerst, aber dann warf er Bedenken ein:" der Magier meinte, dass es sehr schmerzhaft und lebensgefährlich wird. Seid ihr sicher, dass Ihr Eure Kinder opfern wollt?"

Raergo verdrehte die Augen und wurde etwas lauter:" Das Thema hatten wir schon einmal. Ich will die Drachenseelen.
Es ist mir vollkommen egal, was mit meinen Kindern passiert. Ich möchte einfach nur die Macht, die mir rechtmäßig zusteht! Und jetzt geh und vergeude keine Zeit mehr."

Geschockt kletterte ich rückwärts den Balken zurück. Unser Vater wollte uns ermorden!! Zittrig vor Schock kam ich auf die Beine und wollte rennen. Durch die Hektik rutschte ich auf dem Holz an und fiel. Gerade noch so konnte ich mich halten, sonst wäre ich zwischen den Balken hindurch tief in den Saal gestürzt.
Meine Beine baumelten in der Luft. Ich zweifelte nicht daran, dass die beiden mich gesehen hatten. Eilig zog ich mich nach oben und rannte ohne mich umzudrehen weiter. Ich musste zu meiner Schwester und sie warnen. Und dann am besten weg von hier. Aber es gab keinen Platz, an dem er uns nicht finden würde. So vernarrt wie er gerade gewirkt hatte, würde er niemals aufgeben, um die Kräfte des Drachen zu bekommen.

Ich kletterte durch ein enges Loch in der Wand und sprang auf den Flur. Ich befand mich im dritten und obersten Geschoss des Schlosses. Deswegen musste ich hinab, um zu meiner Schwester zu kommen.
So schnell meine Beine mich trugen hastete ich mehr schlitternd als rennend den Gang entlang. An der Treppe angekommen nahm ich immer zwei Stufen auf einmal.
Was war Vater nur für ein Mensch? Wie konnte man sich nur so in jemandem täuschen. Er war immer so liebevoll gewesen. Ein gerechter König und guter Vater.
Ich wusste nicht, ob Salira mir glauben schenken würde oder mich auslachen und behaupten es wäre wieder nur ein dummer Scherz.
Ich wusste, dass ich viele Scherze trieb, vor allem um langweilige Tage rum zu bringen, aber so etwas würde ich mir niemals ausdenken.
Am Treppenabsatz angekommen, drehte ich mich nach rechts und rannte weiter. Ich kam an ein paar Zimmern vorbei und es waren nur noch wenige Meter bis zum Gemach meiner Schwester.
Doch da wurde ich von hinten an meinem Oberteil gepackt.
Panisch drehte ich mich um und wollte demjenigen ins Gesicht schlagen, aber Darmont wehrte den Hieb ab und fixierte mich. Ich wollte schreien, doch er hielt mir den Mund zu.
Er war so viel größer und stärker, dass ich keine Chance hatte. Egal wie sehr ich mich wand, er schleifte mich ohne Probleme mit sich.

Time to Reign 2 - Das vergessene LandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt