Sag mir wer du wirklich bist

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Wir ritten in einem wilden Galopp durch den dichten Mischwald. Die wütenden Rufe und Schreie der Dorfbewohner waren schnell verschwunden, wie auch die letzten Bauten der Stadt, aber auch noch nach Minuten hallten die Schreie in meinem Kopf wieder. Benommen von den Geschehnissen krallte ich mich an der Lederjacke von Ser Alaron fest. Pyero versuchte mit Shaytan, auf dem wir saßen mit zu halten. Doch als wir eine kleine Lichtung erreichten, war er ein gutes Stück entfernt.

Ich sah Astryd schon von Weitem aus dem Gras hervorragen. Sie hatte sich zurück verwandelt und den Prinzen rücklings ins Grüne gelegt. Sie selbst kniete über ihn und versuchte mit ihm zu reden.
Dicht und weiß stieg der Dunst des Morgens um sie herum auf. Das Gras war kurz und feucht, durchtränkt vom Tau, welcher in der Morgensonne glitzerte. Der ganze Wald leuchtete in hellen Farben, als die Strahlen der Sonne ihren Weg hinab auf die Erde fanden. Vögel zwitscherten in den Bäumen. Die Szene hätte genauso gut in eine Liebesgeschichte oder ein Märchen gepasst. Doch leider war es keine.
Die Luft war kühl und klar. Ich atmete ein Mal tief durch, als ich mich von Shaytans Rücken gleiten ließ, dann eilte ich zu meinem Bruder und kniete mich auf seine rechte Seite.
Sein dunkles Oberteil war durchtränkt von Blut. Es glänzte schwarz im Morgenlicht. Nevary hatte seine Hände auf die klaffende Wunde gelegt und versuchte sie abzudrücken, aber schon längst war er viel zu schwach dafür.
Sein Blick ging gen Himmel. Er wirkte panisch im Angesicht des nahen Todes und dennoch gefasst. Sein Atem ging schwer und schnell. Ich merkte, wie er versuchte ruhig zu bleiben und auch so gut es ging noch stark zu wirken. Langsam drehte er seinen Kopf zu mir:
"Endlich bekomme ich wohl das, was ich verdiene. Ihr alle müsst nun unendlich froh sein. Euer falscher König und kaltblütiger Mörder ist bald Geschichte!", sagte er trocken. Ich wusste, dass es ein zynischer Scherz sein sollte, so wie er immer scherzte, aber ich konnte darüber nicht im Mindesten lachen.
"Hör auf so etwas zu sagen. Wir bekommen das wieder hin", erwiderte ich, versucht mit einer festen Stimme zu reden. Doch sie zitterte, wie auch der Rest meines Körpers. Was sollten wir nun tun? Ich wusste, dass selbst Pyero so eine tiefe und breite Wunde nicht heilen würde können. Mein Bruder würde sterben und mal wieder nutzten mir meine Kräfte nichts, denn ich konnte die Heilwirkung meiner Drachenseele nur bei mir anwenden.
Wir würden den Drachen nicht besiegen können, er würde die Welt vernichten und somit alle Bewohner. Und ganz nebenbei würde ich auch meinen Bruder verlieren, den ich doch gerade erst wieder zurück bekommen hatte.
Ich betrachtete seine blauen Augen, die so jugendlich wirkten und unschuldig.

Tränen begannen sich ihren Weg hinab über meine Wangen zu bahnen.
"Hey, was sehe ich denn da? Sind das etwa Tränen? Meinetwegen?!", brachte Nevary kraftlos hervor. Jetzt musste ich doch Grinsen. Ein kraftloses, müdes Grinsen. Doch ich lächelte ihm zuliebe, denn er mochte es wenn sein schwarzer Humor so belohnt wurde.

Pyero erschien rechts neben mir, ging ebenfalls in die Hocke und legte einen Arm um meine Schulter.
Er wollte mich trösten, doch wusste ich es besser und sah die Erleichterung in seinen Augen. Er hatte nie aufgehört Nevary zu hassen für das, was er seiner Schwester und mir angetan hatte. Auch jetzt noch mied er ihn so gut es ging.

Alaron machte sich nicht solche Mühe seine Abneigung zu verstecken.
Gelassen stand er einige Meter entfernt und hielt die Pferde am Zügel. Er betrachtete den Verletzten grinsend. Ich wusste, dass er sich darüber freute. Was auch immer zwischen den beiden in dem letzten Wochen gewesen war. Der Ritter hatte den Disput gewonnen.

Ich blickte wieder auf meinen Bruder hinab. Wie konnte es nur so weit kommen? Wütend darüber, dass ich nicht fähig genug gewesen war ihn zu beschützen, löste ich seine Handfesseln. Die brauchte er nun nicht mehr. Ich wollte nicht, dass er mit dem Gedanken starb, dass ich ihm nicht vertraut hatte. Er hatte sich bewiesen, mir das Leben gerettet und ich konnte ihm nicht mehr als seine Freiheit zurück geben, die ihm jetzt auch nichts mehr nützte.

Time to Reign 2 - Das vergessene LandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt