Die Clanversammlung verlief ganz gut. Als ich das Wohnzimmer mit über hundert Vampiren betrat, begrüßten sie mich alle mit lautem Geklatsche. Irgendwie fand ich eigentlich problemlos Worte, die ich zu sagen hatte, und blieb nicht einmal stocken. Als ich jedoch über den Gegenclan zu reden anfing, wurde es angespannter. Am Anfang waren alle gegen einen Treff. Doch auch da fielen mir gute Gründe ein, es zu tun, und ich konnte hoffentlich alle umstimmen. Sie durften sich mir sowieso nicht widersetzen, also lag ich im Vorteil. Außerdem standen mir Joshua und Miguel bei, und nach ihrer Initiative auch alle meine Mitbewohner, was mir in dieser Situation selbstverständlich half.
Jedenfalls haben wir nun einen Treff mit den Darks morgen Nacht. Jetzt muss ich die Darks heute nur dazu überreden. Nach Joshuas Worten keine leichte Sache. Aber ich hab Angelika zur Hilfe. Wieder mal hoffentlich.
Als ich vor kurzem aufgewacht bin, lag schon ein Kleid auf meinem Stuhl und es standen Schuhe davor. Die Vampire wollen mich echt verarschen! Wahrscheinlich sage ich das schon zum tausendsten Mal, aber was kann ich schon dafür, wenn es wirklich stimmt. Wer auch immer das alles ausgesucht hat, ich verfluche ihn. Dieses feuerrote, enge Kleid hat lange Ärmel und beinah keinen Ausschnitt. Vorne. Hinten ist aber mein ganzer Rücken fast bis zum Po offen. Und das heißt... ich kann kein BH anziehen. Und ja, es macht mir durchaus was aus.
Nun stehe ich hier in meinem Zimmer in diesem bodenlangen Kleid und den mindestens zehn Zentimeter hohen Hakenschuhen rum und betrachte mich im Spiegel. So will ich, ehrlich gesagt, nicht raus. Aber was man nicht alles für die Aufmerksamkeit tut.
Da höre ich Schritte hinter der Tür, drehe mich um und warte, bis der Besucher eintretet. Es ist Joshua.
"Nein, nein, so gehst du nicht raus.", ärgert er mich gleich lächelnd.
Ich stocke. Kann er doch meine Gedanken lesen oder wie?
"Woher..."
"Ich habe zufälligerweise hören können, wie du geflucht hast.", erklärt er, ohne mich aussprechen zu lassen.
"In Gedanken.", verdeutliche ich.
"Im Flüsterton.", verbessert er mich.
"Wie gut sind deine Ohren?!"
Ein amüsiertes Lächeln umspielt seine Lippen, als er meine Verwunderung sieht.
"Wenn du einen Kilometer von hier entfernt wärst und dann etwas geflüstert, sogar noch leiser als geflüstert hättest, würde ich es hören, wenn ich mich nur genug anstrengte."
Meine Augen weiten sich so sehr, wie ich es nicht mal erwartet hätte. Haben Vampire wirklich so ein gutes Gehör oder hat es mit Joshuas Alter zu tun?
Der Vampirjunge wird plötzlich ganz ernst und wendet sich von mir ab.
"Ich habe hart trainiert. Zu einem bestimmten Zweck... Den ich lieber in der Vergangenheit lassen will."
So hat er mich also gestern gefunden, nicht dank Jeffreys Hilfe. Joshua hatte wohl eine düstere Vergangenheit.
"Zu deinem Aussehen, Lilith.", wechselt der Junge abrupt das Thema und sieht mich wieder an. "Du weißt wahrscheinlich selbst, weshalb du dich so anzuziehen hast."
"Ja...", seufze ich und funkle ihm dann prüfend an. "Hast du das ausgesucht?"
"Nein.", lacht er. "Es war Angelika, beschwere dich also bei ihr. In einer halben Stunde wird sie wiederkommen und uns begleiten."
"Okay. Warte, uns?"
"Ja. Ich darf als dein Beschützer dabei sein. Ich stehe hoch genug, um dies zu verlangen."
Und Miguel offensichtlich nicht.
"Wie sich Miguel wohl ärgert..."
"Das wirst du gleich selbst zu hören kriegen.", lacht er wieder.
Neiiin... Warum auch noch das? Ich muss zugeben, die Nacht fängt echt gut an. Ironisch gemeint...
Es klopft.
"Wenn man grad vom Teufel spricht.", seufze ich.
Ich spüre den Ärger, der gleich mit Miguel ins Zimmer schwappen wird. Und so ist es auch, als die Tür aufgeht.
"Bis gleich.", flüstert Joshua und flüchtet auf Zehenspitzen aus dem Raum.
Offensichtlich sollte es mich amüsieren. Hat irgendwie nicht geklappt.
"Ja, dir auch schönen Abend.", meine ich zu Miguel und gebe alle Versuche auf, mich mit ihm zu streiten.
"Ich darf also nicht mitkommen.", entgegnet er unzufrieden mit einem fragenden Unterton.
"Wie es aussieht, nicht..."
Ich wende mich wieder dem Spiegel zu und betrachte mich darin. Miguel seufzt und wirkt gleich entspannter. Ich dachte, er wird mich anmeckern, was los?
"Egal. Hauptsache, Joshua darf mitkommen."
"Vertraust du Angelika nicht?", frage ich ironisch überrascht.
"Dem ganzen Clan nicht. Überhaupt niemandem. Nur dir und Joshua.", gibt mein Freund wahrheitsgemäß zu.
Da drehe ich mich um und gehe auf ihn los, umarme ihn.
"Miguel, es wird alles gut laufen. Ich kann es und du weißt das."
Er legt die Arme um mich und seufzt nochmal.
"Wehe, du kommst nicht zurück.", flüstert er liebevoll und gibt mir einen leichten Kuss auf den Scheitel.
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Zu Hause bei den Vampiren 2
VampireDie Geschichte von der Halbvampirin Lilith geht weiter. Neue Wahrheiten kommen heraus und neue Schwierigkeien erwarten sie.