Fakt sechs

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Fakt sechs: Man sollte auf alles gefasst sein.


„Ich weiß nicht, ob es dir schon aufgefallen ist", sagte der Pilot, nachdem er sich vor mich in den Sand gesetzt hatte. „Aber wir stecken gerade mächtig  in der Scheiße." Er strich sich seine etwas feuchten, dunklen Haare aus dem Gesicht. Seine Haut war braun, so als würde er ständig ins Solarium gehen, aber er war Australier. Vielleicht war es auch natürliche Sonnenbräune. Um seine Augen herum waren viele kleine Fältchen und er wirkte stark und gut gebaut. Ich schätzte ihn auf Anfang dreißig.
„Wir sind abgestürzt", bestätigte er dann meine schlimmsten Befürchtungen. Bis eben hatte ich noch die Hoffnung gehegt, notgelandet zu sein aber abstürzen klang definitiv schlimmer.
„Wo ist der Hubschrauber?", fragte ich und sah mich um, konnte aber nichts entdecken.
„Etwa einen Kilometer weiter raus. Als es passierte, warst du bewusstlos. Ira und ich haben dich hierher geschleppt." Ira? Dann verstand ich. Ira musste sein Neffe sein. Aber wo war er?
„Woher wusstet ihr, dass es hier eine Insel gibt?"
„Oh, wir wussten es nicht." Du meine Güte. „Du könntest dich aber ruhig mal bedanken. Wir hätten dich auch den Haien überlassen können.
Mir wurde schlagartig schwindelig, vermutlich war ich kreidebleich. „Wir sind auf Haie getroffen?"
Der Pilot schüttelte den Kopf, für einen kurzen Moment glaubte ich Mitleid in seinem Gesicht aufflackern zu sehen. „Nein sind wir nicht. Aber im Pazifik gibt es welche."
Ich glaubte nach und nach wurde mir das Ausmaß erst bewusst. Wir waren auf einer Insel. Gestrandet. Und niemand wusste davon.
Meine Stimme klang weinerlich, als ich sprach. „Was sollen wir jetzt tun?", fragte ich und ließ die Schultern sinken. „Können wir zurück zum Hubschrauber?
„Nein", antwortete er. „Das mit meiner Maschine hat sich erledigt. Wurde komplett zerstört und liegt vermutlich schon auf dem Meeresgrund. Ira grast gerade unsere unmittelbare Umgebung am Strand ab, nachher gehen wir zusammen los und sehen, ob hier irgendwelche Menschen leben."
„Du meinst wir suchen nach einem Hotel oder ähnlichem?", fragte ich.
Doch alles was ich als Antwort bekommen sollte, war ein eisiges Lachen.
„Kann man deinen Hubschrauber irgendwie orten?" Ich traute mich erst nach einer Weile diese Frage zu stellen, doch sie erschien mir von großer Bedeutung.
Der Pilot ließ die Schultern hängen und stieß geräuschvoll die Luft aus, bevor er mich ansah.
„Du bist mit nem' scheiß Pilot geflogen, Mädchen. Das Ding ist nicht registriert. Ich hätte eigentlich gar nicht fliegen dürfen. Ich meine, jetzt kann ich dir's ja auch sagen."
„Was?!" Panik breitete sich noch weiter in mir aus, beschlagnahmte jeden Millimeter und fraß sich durch mein Innerstes. „Du hättest gar nicht fliegen dürfen und hast es trotzdem getan?" Ich schrie ihn an. Es erschien mir als eine angemessene Reaktion.
„Reg dich ab", sagte er nur und zuckte mit den Achseln. Das Schlimmste war, dass ich so wütend auf mich selbst war. Wie konnte ich nur auf so jemanden wie ihn reinfallen? „Deine Familie wird dich sicher vermissen und Ira's Mom ist ne' hysterische Kuh. In weniger als – sagen wir zwei Stunden – wird sie die Polizei alarmieren. Wenn die nicht zu blöd sind, werden die eine Verbindung zwischen uns drei erkennen und uns suchen. Vielleicht ein paar Tage...Hast du vielleicht n' Handy? Ira und ich haben unsere verloren." Doch anhand seiner Tonlage, seiner Mimik, wurde mir bewusst, dass er selbst nicht recht davon überzeugt war. Ich spürte das Brennen in meinen Augen, ein Zeichen für herannahende Tränen. Die Blöße vor ihm zu heulen wollte ich mir nicht geben. Ich musste jetzt allein sein, auch wenn ich mich davor fürchtete.
„Kein Handy. Ich guck mal, ob sich etwas zu Essen oder Trinken auftreiben lässt", sagte ich. Zwar war ich gerade nicht besonders hungrig, jedoch hatte ich Durst. Und ich wusste, dass wir auf dieser verdammten Insel nicht ohne Wasser überleben würden.
Als ich aufstand und mich umdrehte, wurde mir ziemlich schwindelig. Ich musste für einen Moment die Augen schließen, um nicht gleich wieder auf dem Boden zu liegen. Inständig hoffte ich, dass ich keine schwereren Verletzungen erlitten hatte. Aber offensichtlich ging es mir bis auf ein paar geprellte Knochen gut. Wenn man es dann so nennen durfte.
Der Sand unter meinen Füßen fühlte sich angenehm warm an. Es hatte einen tröstenden Effekt, auch wenn mir wahnsinnig heiß war und der Schweiß mir schon nach ein paar Schritten von den Schläfen rann.
„Warte", rief der Pilot mir nach. Abrupt drehte ich mich um und verharrte einen Moment. Es schien, als hatte er es sich anders überlegt, aber dann sagte er doch etwas.
„Ich habe deinen Namen vergessen", rief er.
„Liegt wohl daran, dass ich ihn dir gar nicht genannt habe", erwiderte ich.
Er zuckte mit den Schultern. „Jetzt da wir hier zusammen festsitzen."
„Liv", gab ich zurück und gleich nachdem ich es ausgesprochen hatte, wusste ich nicht mehr, ob es mir recht war, wenn er mich so nannte. „Eigentlich Olivia Clarke", fügte ich dann noch hinzu.
Gerade wollte ich mich umdrehen und weiter gehen, als er mir seinen Namen zurief. Ein einzelner Name, bevor er sich von mir abwandte. „Jared."

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