Fakt zwanzig

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Fakt zwanzig: Treffe Entscheidungen mit Bedacht.

Jared grinste und war sich meiner Aufgebrachtheit offensichtlich nicht bewusst. Er hielt ein ziemlich abgewetztes Netz in die Höhe und nickte stolz in dessen Richtung. Mit ein paar zusätzlichen Knoten könnte man es womöglich flicken und zum Fischen benutzen.
Gefunden", sagte Jared und zwinkerte mir zu. „Freu dich drüber, Mädchen. Ich wette, ihr habt nicht mal einen Fisch berührt."
„Sicher haben wir das", knurrte ich.
„Wo hast du das denn her, Alter?", rief Ira, der die ganze Zeit etwas langsamer gewesen war und lief die letzten paar Meter, was ziemlich komisch aussah.
„Siehst du, Mädchen. Er freut sich", sagte er an mich gerichtet, dann wandte er sich seinem Neffen zu und tauschte einen freudigen Blick mit ihm aus. „Ich hab's gefunden, Mann." Oh Gott, die Ausdrucksweise, bitte.
„Und wo?" Ira hatte Jared bereits erreicht und hielt das Netz wie einen Schatz in seinen Händen. Anerkennend klopfte er ihm auf die Schulter.
„Sieh, Liv", sagte er. „Jetzt können wir richtig Fische fangen. Und Jared kann sie ausnehmen." Er lachte, doch dann zückte Jared ein kleines, verrostetes Messer.
„Klar doch", sagte er und seine Augen strahlten etwas aus, was ich noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. „Ich dachte mir, das könnten wir gebrauchen."
„Und das hast du einfach so gefunden?", fragte ich skeptisch und begutachtete das kleine Teil.
Jared grinste und es wirkte irgendwie unheimlich. „Das verrate ich euch, wenn ihr .... sagen wir, drei Fische gefangen habt. Für jeden von uns einen."
Wütend starrte ich ihn an.
„Komm schon, Jar", meinte Ira und stieß ihn in die Seite.
„Drei Fische. Nicht weniger. Mehr natürlich gerne." Mit diesen Worten wandte er sich ab und suchte sich einen einigermaßen schattigen Platz, um uns zu beobachten.

Offenbar blieb uns nichts anderes übrig, als seiner Anweisung zu folgen.
„Da stimmt doch was nicht", raunte ich. „Seitdem er verschwunden war, benimmt er sich so ... merkwürdig."
„Ich weiß", antwortete Ira leise und winkte Jared lächelnd zu, um den Schein zu wahren. „Aber was sollen wir machen? Ich habe doch auch keine Ahnung, was mit ihm los ist."
Ich holte einmal tief Luft, bevor ich das aussprach, was mir seit einer Weile im Kopf herumirrte und mich einfach nicht wieder loslassen wollte.
„Seit er wieder da ist, fühle ich mich nicht mehr wohl in seiner Nähe ..." Deutlich konnte ich spüren, wie die Anspannung nachließ. Jetzt wo es raus war ... „Nicht, dass ich es je getan hätte. Aber du weißt ja, wie ich es meine."
Ira nickte stumm. Und in diesem Moment merkte ich zum ersten Mal, wie wichtig es auf einer Insel war, jemanden zu haben.
„Warten wir ab, wohin Jared uns führt", sagte er nach einer Weile, in der ich schon dabei war, die unzähligen Knoten zu flicken. Seufzend packte er das andere Ende des Netzes und half mir.

Wie eine Ewigkeit kam es mir vor, bis wir endlich wieder ins Wasser gingen und das Netz zwischen uns ausbreiteten.
„Okay, wenn ein paar Fische kommen, versuchen wir sie ins Netz zu treiben, dann ziehen wir es so schnell es geht hoch", erklärte ich und wischte mir noch einmal den Schweiß von der Stirn.
Zwar dauerte es lange, doch letztendlich schafften wir es, auf einmal die Anzahl der Fische zu fangen, die Jared verlangt hatte. Sogar noch einen mehr.
Die Vier zappelten hilflos im Netz und erregten Mitleid bei mir. Verdammt, ich würde sie nicht töten können! Und ich schätzte, dass Ira es auch nicht wollte ...

„Jared!", rief ich laut, als wir aus dem Wasser kamen.
„Oh, ihr habt es geschafft", antwortete er und ging auf uns zu. „Hätte ich nicht gedacht. Hat ja auch nur gefühlte drei Stunden gedauert."
„Hier", knurrte ich und drückte ihm das Netz, mitsamt der Fische in die Hand. „Den Rest darfst du erledigen. Und dann zeigst du uns, wo du die Sachen gefunden hast."
„Weiber", meinte er und grinste mich schief an. „Aber du Ira, komm schon." Jared hielt ihm unseren Fang entgegen, doch Ira schüttelte wie Erwartens den Kopf.
„Weichei", lachte Jared und machte sich daran, die Fische zu töten.
Gequält richtete ich meinen Blick aufs Meer und hörte den Stein, den Jared benutzte, als er auf die Fische traf. Ich hoffte, es würde schnell zu Ende sein und sich nicht lange hinziehen. Als Kind wollte ich nicht einmal einen aufgeschlitzten Fisch, der schon tot war, sehen. Das hier war eindeutig schlimmer.

Plötzlich drehte sich alles in meinem Magen und mir wurde schlecht. Gerade rechtzeitig konnte ich mich ein wenig von den Beiden entfernen, um mich beschämt zu übergeben.
„Alles okay, Liv?", rief Ira und stand auf einmal neben mir, um mir meine Haare aus dem Gesicht zu halten. Ich atmete ein paar tiefe Züge der frischen, salzigen Luft und schloss für einen kurzen Moment die Augen.
„Nein", gab ich zu und schüttelte den Kopf. „Es ist nichts okay", fügte ich dann noch etwas leiser hinzu.
„Genug gekotzt, Mädchen!", rief Jared. „Ich bin ja schon fertig."
„Du bist so unsensibel", schimpfte Ira und strich mir beruhigend über den Rücken. Diese Geste erinnerte mich jäh an meine Mutter.
Jared hatte die Fische auf großen Blättern platziert. Es ekelte mich zwar an, aber ich würde sie essen müssen. Immerhin war es auch meine Idee gewesen. Doch auch wenn mein Hunger unerträglich schien, war es nötiger, zu wissen, woher Jared die Sachen hatte. Ira jammerte, er wollte erst essen, aber ich zog ihn am Arm und erklärte noch einmal die Dringlichkeit.

„Die Fische können wir später am Feuer grillen", sagte ich und schielte zu Jared, der jetzt am Rand des Dschungels stand und auf uns wartete. Entschlossen packte ich Ira am Handgelenk und zog ihn mit mir.
„Wir sind bereit", sagte ich und straffte meine Schultern.
„Sicher?"
„Sicher", bestätigte ich.
Dann ging Jared voraus und führte uns in die tiefe Dunkelheit des Dschungels ...

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