Fakt zehn

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Fakt zehn: Im Dschungel sollte man sich nicht trennen.


Ich wachte auf, weil sich unter mir etwas bewegte. Jäh zuckte ich zusammen und schreckte hoch, doch mein Puls beruhigte sich wieder, als mir klar wurde, dass es nur Jared war, der mich erschreckt hatte.
„Morgen", murmelte er, während er sich aufrichtete und den Dreck so gut es ging von seinen Sachen abklopfte.
„Morgen", erwiderte ich. Da war er. Quälend. Stark. Unnachgiebig. Mein Durst. „Wir müssen Wasser finden." Mein Mund war trocken und tat beim Sprechen weh. Noch nicht einmal Schlucken klappte gut.
„Ich weiß." Er reichte mir seine Hand und half mir auf. Bis eben hatte ich nicht einmal gemerkt, dass ich noch saß.
Ich sah mir unseren Schlafplatz etwas genauer an. Um uns herum war einiges an Gras. Dann Erde, Schmutz und Pflanzen, die mir nicht im mindesten bekannt vorkamen. Vieles von dem hatten wir zerdrückt und nun zierten unsere Abdrücke den Boden.
„Meinst du wir sollten unsere Spuren verwischen?", fragte ich mit rauer Stimme.
„Wozu?" Jared zuckte gleichgültig mit den Achseln. „Hier ist doch eh niemand."
„Das kannst du nicht wissen", protestierte ich. Was, wenn wir bisher nur einen kleinen Teil der Insel gesehen hatten? Wir wussten nicht, wie groß sie tatsächlich war.
Jared seufzte. Er schien genervt von mir zu sein. Gut, das war mir egal. „Bitte", sagte er und verwischte unsere Abdrücke grob mit seinem Fuß. „Zufrieden?" Ich schwieg. „Gut, dann können wir ja weiter. Primär sollten wir unsere Augen nach Wasser und Nahrung offen halten. Irgendwo muss etwas sein."
Wir gingen noch eine ganze Weile nebeneinander her. Ich hielt Ausschau, ob es hier weitere Beeren oder sonstige Früchte gab, aber anscheinend gab es tatsächlich nicht viel. Wenn wir zurück am Strand waren, könnten wir uns vielleicht Speere bauen, um fischen zu gehen. Und dann würden wir uns eine Möglichkeit überlegen müssen, wie wir mehr Wasser transportieren konnten.
Meine Füße schmerzten und Schweiß lief mir in die Augen. Wie weit war es noch, bis wir auf das Ende, die andere Seite der Insel stoßen würden? Wie lange würde es dauern? Noch ein paar Minuten? Stunden? Oder sogar Tage? Ira machte sich sicherlich schon Sorgen. Bei dem Gedanken an den Rückweg wurde ich noch pessimistischer.
„Hast du das gesehen?" Jared blieb abrupt stehen. Mein Herz fingan zu flattern.
„Was gesehen?", fragte ich und rückte unbewusst ein Stück näheran ihn ran. Jared legte seine Hand auf meinen Arm und schob mich vor sich.
„Da drüben ... Da." Sein Arm streifte meine Wange, als er aufeine Stelle vor mir zeigte. „Da blitzt es blau auf."
„Und?", fragte ich. Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte.
Sanft stieß er mich in die Seite und lachte dann. „Da muss Wasser sein!"
Als wir dem näher kamen, sah ich, dass er recht hatte. Ein wunderschön blauer See, so groß, dass wir locker darin hätten baden können, erstreckte sich vor uns. Nie hätte ich erwartet, dass ich mich einmal so über Wasser freuen würde.
Ich gab mir gar nicht erst die Mühe, mich hinzuknien, sondern glitt hastig in das erfrischend kühle Wasser hinein und schaufelte mir immer mehr davon in meinen ausgetrockneten Mund. Das Wasser reichte mir bis zur Hüfte, jedoch war mein Shirt bereits auch ziemlich nass, da mir viel beim Trinken aus der Hand glitt.
Als ich fertig war und mein Durst für's Erste gestillt war, tauchte ich meinen Kopf unter Wasser, um mir den gröbsten Dreck abzuwaschen. Ohne Shampoo würde es vermutlich nicht viel helfen, aber immerhin fühlte ich mich besser. Mit den Fingern glitt ich durch meine nassen Haare, um sie zu bürsten.
„Das ist der Wahnsinn", sagte Jared plötzlich und mir fiel auf, dass ich ihn ganz vergessen hatte. Auch er war ins Wasser gestiegen.
„Ja", stimmte ich ihm zu. In dieser Situation war es echt ein Segen.
Ich ließ mich auf dem Wasser treiben. Wir hatten es beide nicht eilig wieder zu gehen, auch wenn uns klar war, dass wir irgendwann mussten.
„Vielleicht sollten wir zu Ira zurückgehen. Es wäre doch möglich, dass er schon Rettung gefunden hat und sie am Strand auf uns warten", sagte ich irgendwann.
„Nein", antwortete er. „Wir gehen bald weiter. Ich will wissen, was noch hier auf dieser Insel ist."
„Wie lange willst du noch umherlaufen? Es hat doch keinen Sinn. Die Insel wirkt ... riesig."
„Sie wird aber nicht riesig sein, Liv."
Ich strich mir mit der Hand über die Stirn und atmete tief aus, bevor ich antwortete. „Denk mal an den Rückweg. Wir sind bestimmt einen halben Tag gelaufen. Möglicherweise ist die andere Seite nur noch Minuten entfernt, vielleicht aber auch viel länger. Meinst du nicht, wir sollten erst einmal abwarten, bis wir noch tiefer gehen?"
Jared schien wütend zu sein. Dennoch ließ ich nicht von meinem Vorhaben ab. Ich wollte zurück. Ich musste zum Strand. Der Dschungel hatte eine unheimliche Atmosphäre und so langsam konnte ich meine Neugier nicht mehr im Schach halten. Ich stellte mir vor, wie ein Schiff an dieser Insel vorbeigefahren war und Ira jetzt mit Hilfe auf uns wartete.
„Du kannst ja zurück laufen. Ich werde weitergehen", sagte Jared, nahm noch einen Schluck Wasser und füllte die Flasche. Dann drückte er sie mir in die Hand. „Hier. Ich find schon was." Mit diesen Worten zog er sich aus dem Wasser.
„Jared, warte!", rief ich und bekam Angst. Er konnte mich doch nicht einfach so alleine lassen.
Er drehte sich wieder zu mir um. „Wirst du mitkommen?" Ich dachte einen Moment darüber nach, dann schüttelte ich den Kopf. „Nein."
Kurz glaubte ich, er würde es sich anders überlegen. Ich hätte ihn anbetteln können, zu bleiben. Aber ich wollte nicht schwach sein, auch wenn ich mich so fühlte.
„Viel Spaß, Mädchen", sagte er und ging.

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