Fakt neunundzwanzig

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Fakt neunundzwanzig: Wer bereits gefunden wurde, kann dennoch wieder verschwinden.

„Er wird doch wohl nicht abgehauen sein?", rief Ira und suchte panisch den Strand mit seinen Blicken ab. Ich hatte mich aufgemacht und durchstreifte den angrenzenden Dschungel, aber nur so weit, wie ich den Strand noch sehen konnte.
„Ich weiß es nicht", schrie ich zurück und wartete kurz, ob er mich gehört hatte.
„Das glaube ich nicht", kam die Antwort kurz darauf, dann setzte ich mich wieder in Bewegung.

„Jared?", rief ich und ging nun etwas tiefer hinein. Unwohlsein breitete sich in mir aus und ich bekam trotz der Hitze eine Gänsehaut. „Jar?", flüsterte ich, wobei mir auffiel, dass ich ihn noch nie zuvor so genannt hatte. „Wo bist du nur?" Im Kopf ging ich die Möglichkeiten durch, wohin er gegangen sein könnte.

Erstens: Er musste mal. (Diese Option hatte ich allerdings schon ausgeschlossen.)
Zweitens: Er war zur Wasserquelle gegangen.
Drittens: Er war schwimmen. (Und ist dort ertrunken.)
Viertens: Er hat gemerkt, dass wir nicht da waren, war beleidigt und wollte uns einen Streich spielen.
Fünftens: Er wurde entführt. (Von wem?)

Als ich den letzten Gedanken noch einmal wiederholte, spürte ich mein Herz heftig in meiner Brust schlagen. Ich beschloss, dass dies die wohl absurdeste Variante war und kümmerte mich um die anderen Drei, die noch übrig geblieben waren.
Doch nach etwa einer halben Stunde konnte ich die Wasserquelle ausschließen. Und soweit Ira und ich es im dunklem Abend erkennen konnten, befand er sich auch nicht im Meer.
„Vielleicht wurde er von Haien gefressen", bemerkte ich, zugegeben etwas taktlos, als wir uns nach der Suche wieder trafen. Ira warf mir einen ziemlich missbilligten Blick zu.

„Er ist schon einmal weg gewesen", sagte er. „Vielleicht taucht er einfach wieder auf. Wie beim letzten mal, weißt du?"
Ich nickte schwach, konnte seine Theorie aber nicht wirklich bestätigen. „Aber das war anders, Ira. Zu der Zeit haben wir uns bewusst getrennt und wir wussten, dass er hier irgendwo herumschwirren musste. Jetzt haben wir nicht einmal eine Idee, warum er weg sein könnte."
Ira sah gedankenverloren zu dem Dschungel hinüber. „Meinst du, er ist dort drin?", fragte er, wendete seinen Blick aber nicht ab.
„Wo sonst könnte er sein?", erwiderte ich.

Am nächsten Morgen kitzelten die frühen Sonnenstrahlen mein Gesicht und weckten mich. Ich war völlig verschwitzt und wollte gerade zum Meer hinunterlaufen, um meine Klamotten und mich notdürftig zu waschen, da fiel mir Jared wieder ein. Schnell ging ich ein paar Meter weiter dorthin, wo Ira lag und noch immer schlief.
„Wach auf", sagte ich und schüttelte ihn. „Ira!"
„Hm", machte er und blinzelte ein paarmal. „Was ist los?"
„Jared", murmelte ich. „Wir müssen ihn weitersuchen." Sofort war Ira hellwach und stand schneller auf, als ich es für möglich gehalten hätte.

„War er über Nacht hier?", fragte er und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
„Ich denke nicht", antwortete ich, sah mich aber dennoch nach Spuren um. Nichts.
Ira deutete Richtung Dschungel. „Dann lass uns."
Wir packten uns ein paar Sachen zusammen und glitten in die Tiefe des Dschungels hinein. Zu Anfang hatte mir die Größe, das Unbekannte Angst gemacht. Doch mittlerweile war ich so oft hier gewesen, dass es schon beinahe vertraut erschien. Und dennoch hatte ich ein ungutes Gefühl bei dieser Sache. Wie viel wussten wir schon von dieser Insel? Hatten wir es uns tatsächlich gut überlegt? Klar, wir waren nicht das erste Mal auf der Suche nach Jared und waren damals sogar noch unerfahrener gewesen. Dennoch war es leichtsinnig.

„Glaubst du, dass Jared sich einen Spaß mit uns erlaubt?", fragte ich Ira irgendwann, als ich es nicht länger für mich behalten konnte.
Seine Antwort war klar und deutlich. „Nein", sagte er. „Das würde er nicht tun. Und er würde es auch kaum schaffen können. Hast du ihn dir angesehen? Er ist krank, Liv."
Ich dachte eine Weile über seine Worte nach. „Es gäbe noch eine Möglichkeit", sagte ich dann.
Ira drehte sich zu mir um und hob eine Augenbraue, als ob er mich jetzt schon für verrückt erklärt hätte.
„Und die wäre?", fragte er, klang aber nicht sonderlich interessiert.
„Vielleicht ist er zum Sterben weggegangen. So wie Hunde es manchmal tun." Dann zerbrach ein gurgelndes Geräusch die tropische Stille. Ira lachte. Und zwar so ansteckend, dass ich selbst grinsen musste.

„Er ist kein Hund. So etwas tun Menschen nicht."
Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern, während ich versuchte ein paar Blättern auszuweichen. Mein Mund fühlte sich trocken an und ich genehmigte mir einen Schluck Wasser. Am liebsten hätte ich es über meinen Kopf geschüttelt, tat es jedoch nicht. Erst auf der Insel wurde mir so richtig klar, wie wertvoll Flüssigkeit überhaupt war.
„Die einzige Möglichkeit, die mir plausibel erscheint wäre, dass Jared entführt wurde", wisperte er dann. Ich merkte erst einige Sekunden später, dass ich zitterte.
„Wer soll ihn schon entführt haben?" Ich versuchte meine Frage möglichst gleichgültig klingen zu lassen.
„Es könnte doch sein, dass sein jetziges Verschwinden und das am Anfang zusammenhängt", redete er weiter, ohne auf mich einzugehen.

„Und wie sollte das funktionieren?"
Plötzlich blieb Ira stehen und sah mir fest in die Augen. „Was, wenn die Insel mehr Geheimnisse in sich trägt, als wir angenommen haben?"

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