Fakt vierzehn: Es ist nicht schlau, unkluge Dinge zu tun.
Eine Melodie weckte mich. Verwirrt setzte ich mich auf und blickte auf das ruhige Meer. Die Sonne stand noch immer hoch am Himmel. Ich musste eingeschlafen sein, aber wohl nicht allzu lange.
Erst dachte ich, ich hätte das Lied bloß geträumt, doch es war immer noch hier. Real.
„Ira", rief ich und plötzlich verstummte die Stimme und nur noch Vögel gemischt mit den Rauschen der Wellen, waren zu hören.
„Ich dachte, du würdest schlafen", antwortete er und kam aus einem Gebüsch hervor. Er wirkte enttäuscht.
„Das habe ich auch. Bis eben grade." Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und streckte mich. Meine Güte, war das hier unbequem! „Sag mal, warst du das gerade?", fragte ich und stand auf.
„Nö", antwortete er. Ziemlich unglaubwürdig.
„Was meine ich denn?" Ich lächelte selbstgefällig. Der salzige Duft des Meeres strömte zu uns hinüber.
„Weiß ich nicht. Aber ich war's nicht." Unschuldig zuckte er mit den Achseln.
„Gut", sagte ich und tat desinteressiert. „Jedenfalls klang das, was du nicht warst, wirklich schön. Ich wusste nicht, dass du singen kannst. Oder eben jemand anderes hier. Ganz egal."
Ich ertappte ihn dabei, wie er lächelte und war irgendwie zufrieden.
„Der Tag muss übrigens um sein", sagte Ira. „Los, du hast's versprochen."
Was? Jetzt?
„Ira, es muss schon Nachmittag sein. Es wäre sinnvoller, würden wir morgen früh aufbrechen."
Doch er schüttelte bestimmend den Kopf. „Nein. Versprochen ist versprochen. Wir gehen jetzt. Jared ist schon viel zu lange weg. Während du geschlafen hast, habe ich Wasser nachgefüllt. Und ich habe noch etwas anderes." Er verschwand kurz hinter dem Busch, aus dem er gekommen war. Dann reichte er mir Bananen.
„Du meine Güte", rief ich aus und sah ihm freudig entgegen. „Wie hast du das denn geschafft?"
Ira grinste. Man merkte ihm an, dass er stolz war. „Du hast ziemlich lange geschlafen und ich sagte ja, mir wäre langweilig. Bin auf die Suche nach Steinen gegangen und nach einer Weile haben sich ein paar Bananen immer mehr abgelöst. Es sind zwar nur fünf, aber für's erste wird es schon reichen", sagte er und stopfte welche in meinen Rucksack. „Ist praktischer", fügte er hinzu, als er meinen Blick sah. Ich wusste, dass er es ernst meinte, dass er jetzt los wollte.
„In wenigen Stunden wird es dunkel. Es ist ein Dschungel, den wir nicht kennen."
„Genau und irgendwo ist Jared. Hältst du nun dein Versprechen oder nicht?"
Um ehrlich zu sein, musste ich kurz darüber nachdenken. Aber würde ich Ira auch noch verlieren, hätte ich niemanden mehr. Ich wäre alleine. Und das auf dem einsamsten Ort, den ich mir vorstellen konnte.
Widerwillig nickte ich also.
Ich warf dem Strand einen letzten sehnsüchtigen Blick zu, bis ich im Dschungel verschwand.
Es roch eigenartig. Modrig. Nach Erde. Und irgendwie auch süßlich. Ganz zu schweigen von dem, wonach ich immer noch roch. Die schwüle Luft umhüllte mich und ließ mich den Strand vermissen. Meine Klamotten klebten mir schon nach wenigen Minuten am Leib.
„Okay, wo genau habt ihr euch getrennt?", fragte Ira. Ich lachte leise. Aber es war kein amüsiertes Lachen.
„Oh, das dauert noch. Sehr lange."
Erst, als der Dschungel schwarz wurde und man kaum noch die Hand vor Augen erkennen konnte, blieben wir stehen.
„Hier müssen wir also schlafen", meinte Ira seufzend und klang genauso wenig begeistert, wie ich selbst.
„So sieht's aus." Ich wartete, bis Ira sich hingelegt hatte. Anders als Jared, bot er mir nicht an, meinen Kopf auf seinen Oberkörper zu legen. Nicht, dass ich sonderlich scharf darauf gewesen wäre. Aber immerhin wäre es angenehmer gewesen, als auf dem Boden zu liegen. Ich bettete meinen Kopf so gut es ging auf meinen Arm.
„Morgen früh geht es weiter", murmelte ich. Eigentlich war ich kaum müde, aber dennoch holte der Schlaf mich rasch ein.
Ira wurde vor mir wach. Er sagte, er hätte eine Spinne von meinem Oberkörper vertrieben, als ich noch geschlafen hatte. Ich hatte beschlossen, ihm nicht zu glauben, da alleine die Vorstellung Würgereize in mir hervorrief.
Okay, wir hatten nur noch wenig zu trinken und genau eine Banane. Gestern hatten wir auf dem Weg Beeren gesammelt und gegessen, aber das reichte natürlich nicht. Diese Insel war wirklich verdammt.
„Als ich das letzte Mal hier war", meinte ich irgendwann, während wir versuchten über einen umgekippten Baumstamm rüber zu klettern, statt ein paar Meter außenrum zu laufen. „Habe ich mir überlegt, dass wir uns einen Speer basteln könnten. Es jedenfalls versuchen. So könnten wir Fische fangen." Ira nickte nur. Ich sah, wie ihn das Laufen anstrengte.
Auch wenn ich weitergelaufen wäre, bat ich ihn um eine Pause. Nicht, dass ich nicht auch völlig fertig gewesen wäre, aber ich tat es für ihn.
Es dauerte dann noch eine Weile, bis wir den See fanden, in dem Jaredund ich gebadet hatten. Dort füllten wir uns unsere Flaschen mit klarem, frischen Wasser auf und ruhten uns aus.
Ich merkte, wie Ira mit jedem Schritt nervöser wurde. Wir hatten Jared noch immer nicht gefunden. Wie groß war dieser verdammte Dschungel eigentlich?! Ich hatte jetzt schon keine Lust mehr. Aber wir gingen weiter. Sehr viel weiter. Alles hier sah gleich aus. Alles fühlte sich gleich an.
Wo war dieser Idiot bloß?
Langsam bekam ich eine Vorstellung davon, wie sich die Menschen im Mittelalter gefühlt haben mussten. So ganz ohne Handys. Gerade jetzt hätten wir eines brauchen können.
Wann würden wir auf der anderen Seite ankommen? Nie?
„Ira?", fragte ich und lief ein paar Schritte auf ihn zu. Er ging vor mir.
„Hm?", machte er und sah mich aus müden, blassen Augen an.
„Meinst du, Jared hat die andere Seite erreicht? Ich meine, vielleicht ist er dort angekommen und es ist dort besser. Es wäre doch möglich, dass er auf uns wartet?" Ich versuchte ihm Mut zu machen. Das war mir klar. In Wahrheit wusste ich nicht, was mit Jared passiert war. Und ehrlich gesagt, wusste ich nicht mehr, ob wir ihn finden würden. Der Dschungel war riesig. Und wenn er irgendwo abgebogen war? Auch wenn wir uns vorgenommen hatten, nur geradeaus zu laufen, könnte er seine Meinung geändert haben. Vielleicht hatte er sich auf verlaufen und versuchte nun zu uns zurückzukommen.
Er antwortete mit einer Gegenfrage. „Meinst du, es war ein Fehler in den Dschungel zu gehen? Wir sind mittendrin, haben keine Ahnung, ob wir den Weg zurück finden werden und wenn ein Boot kommt, sind wir nicht da."
Ich atmete tief durch und nahm mir Zeit zu antworten, bis mir klar wurde, dass keine Rolle spielte, was ich sagte. „Ich weiß es nicht."
![](https://img.wattpad.com/cover/68902067-288-k415995.jpg)
DU LIEST GERADE
Forgotten Island
AvventuraFakt eins: Schon seit ich ein kleines Mädchen war, träumte ich davon, in einem Paradies zu leben. Fakt zwei: Nichts wünschte ich mir sehnlicher, als geliebt zu werden. Fakt drei: Nie hätte ich gedacht, dass mir etwas Schlimmes zustoßen könnte. ...