Fakt acht

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Fakt acht: Wasser ist dein bester Freund.

Es dauerte ein paar Minuten, bis ich diesen übergewichten, trotteligen Jungen in seinem verschwitzten Shirt gefunden hatte. Wie es aussah, hatte er allerdings noch nichts erreicht.
„Hi Liv", sagte er, als ich näher kam. „Bist du hier, um mir zu helfen?
Ich nickte stumm.
„Das ist gut. Je schneller wir Wasser haben, desto schneller kann ich ein S.O.S in den Sand malen."
„Was soll das bringen?", fragte ich und bahnte mir einen Weg durch ein ziemlich dichtes Gestrüpp.
Empört blieb Ira stehen. „Guckst du denn gar keine Filme?" Ich zuckte mit den Achseln"
„Wenn von oben ein Flugzeug kommt – oder ein Hubschrauber –kann der Pilot es lesen und weiß, dass hier jemand ist, der Hilfe braucht. Ergo wir sind gerettet."
„Meinst du nicht, dass in vielleicht zwei Tagen ohnehin jemand kommen wird, um uns zu holen?"
„Soll ich ehrlich sein?" Er lief direkt hinter mir und ich hörte, wie sehr ihn der Weg anstrengte. Ich musste ganz genau darauf achten, wohin ich lief. Alles war voller Hindernisse. Umgeknickte, dicke Äste, Löcher im Erdboden ...
„Würde ich eine Lüge wollen, würde ich sie mir erfinden", gab ich als Antwort und drehte mich prompt um. „Also?"
„Nein. Ich glaube, dass es etwas komplizierter wird."
Zum ersten Mal auf dieser Insel breitete sich wahrhaftige, nackte Panik in mir aus. Ich gehörte nicht hierher. Ich durfte nicht hier sein. Wieso bin ich nicht einfach zu Hause geblieben?
Ich unterdrückte ein paar aufkommende Tränen und schluckte schwer.„Jared sagte, deine Mom würde die Polizei rufen und sie würden schnell rausbekommen, dass ihr weggeflogen seit."
„Ich bin nicht sicher, ob überhaupt irgendjemand von der Maschine weiß."
„Bitte?! Man kann doch nicht einen Hubschrauber besitzen,ohne dass auch nur eine einzige Person davon weiß?" Meine Stimme klang hysterisch und ich merkte, wie ich zitterte. Aber das war mir jetzt auch egal.
„Hast Recht, kann man nicht. Aber diese eine Person, die davon weiß, bin ich."
Daraufhin erwiderte ich gar nichts mehr. Ich hoffte lediglich, dass meine Eltern mich bereits als vermisst gemeldet hatten und wussten, wo sich die Spur verlor. Vermutlich würden sie als Erstes an eine Entführung denken, glauben, dass ich irgendwo alleine in einem Kellerraum hocken würde. Schmutzig. Gefoltert. Vergewaltigt.
Das ich mich auf der schönsten Insel befand, die ich je gesehen hatte, wäre wohl das letzte, was sie denken würden.
Es dauerte eine Ewigkeit bis wir Wasser nahe kamen. Wenn man durstig war, und ich meine wirklich durstig, fühlte sich jede Sekundean wie ein Jahr. Mein Hals war trocken, so wie er noch nie gewesen war und ich konnte kaum mehr sprechen. Selbst Ira, der mir trotz dieser Situation stark und auf eine widerliche Art fröhlich vorkam, beschränkte seine Kommunikation auf das Nötigste.
Doch dann hätte ich vor Freude weinen können, als wir einen winzigen See entdeckten. Eher war es ein großes Loch in der Erde, mit schmutzigen Wasser gefüllt und doch kam es mir vor wie ein Segen.
„Vorsicht", sagte Ira mit kratziger Stimme und hielt mich an der Schulter zurück. „Wir müssen das Wasser erst über dem Feuer abkochen. Es könnte sonst was da drin sein."
Doch ich konnte nur noch an meinen Durst denken. „Das ist mir egal", sagte ich also und beugte mich über das Wasser, die Knie in den Dreck gedrückt. Mit den Händen formte ich eine Schale und tauchte sie in das kühle Wasser. Als es mir die Kehle hinunterlief, stöhnte ich vor Erleichterung auf. Es schmeckte furchtbar, aber es war das Beste, was ich je getrunken hatte.
„Ach scheiß drauf", hörte ich Ira sagen, dann hockte er neben mir und trank ebenfalls.
Kurz danach hoffte ich, mich nicht plötzlich übergeben zu müssen, Durchfall zu bekommen oder Bauchkrämpfe. Weiß Gott, welche Bakterien den Weg in meinen Körper gefunden hatten. Wir nahmen soviel Wasser mit, wie wir nur konnten, was nicht viel war, da wir nur eine Flasche dabei hatten, welche einen Liter fasste. Ira hatte erzählt, dass einige Sachen nach dem Absturz auf dem Meer geschwommen waren und da in der Flasche noch etwas Limo drin gewesen war und sie das einzig Erreichbare gewesen war, hatten sie sie mitgenommen.
„Wir müssen uns den Weg merken", sagte ich. „Falls wir nichts Besseres finden. Nachher kommen wir noch einmal her. Ein Liter wird kaum für drei Personen reichen."
Ich zählte hundertzweiundzwanzig Schritte auf direktem Weg zum Strand. Dann noch einmal fünfundsechzig zu Jared, der das Feuer entfacht hatte.
„Habt ihr's?", fragte er, als wir direkt vor ihm standen.
Ira hielt die Flasche wie eine Trophäe in Höhe und lachte. „Klar, Alter." Ich konnte seine Erleichterung deutlich spüren.
„Die Frage ist nur, wie kochen wir das Wasser ab?"
„Gar nicht", antwortete Jared und nahm Ira das Wasser ab. Er öffnete den Deckel und trank in langen Zügen die halbe Flasche leer. Dann reichte er sie mir. „Wir haben keinen Topf oder sowas", sagte er und zuckte mit den Achseln. Was soll's? Ich hatte so oder so schon davon getrunken. Ich nahm noch zwei Schlucke und gab den Rest dann Ira.
„Wir sollten Neues holen gehen", sagte ich und schirmte mit der Hand meine Augen ab. „Es ist echt heiß."
„Das, was jetzt wichtig ist, ist die Insel zu checken. Wir wissen gar nichts", sagte Jared und sah Ira und mich nacheinander an.
„Was sollte hier schon groß sein?" Auch wenn ich gerade erst getrunken hatte, hatte ich noch immer Durst. Und Hunger.
„Einwohner", antwortete Ira.

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