Kapitel 34

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Es vergeht fast eine ganze Stunde, in der wir einfach nur da sitzen und die Füße ins Wasser baumeln lassen. Irgendwie ist das sogar ein bisschen gruselig, aber was soll's? Noch dazu ist es mir schleierhaft, dass er kein bisschen müde ist. Der ist ein krasses Energiebündel, eindeutig. Könnte man auch für sich nutzen. Im sexuellen Sinne, aber meine Libido ist heute verblüffender Weise mal vollkommen abgestellt.

Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie er den Mund immer wieder öffnet und ihn letztlich dann doch zuklappt. Da ich neugierig bin was er von mir möchte, drehe ich meinen Kopf und sehe ihn fragend an. Seine Miene wirkt ernst und doch kann ich seine Augen funkeln sehen.

„War irgendwas mit Johnny?" Ich bin wirklich überrascht von seiner Frage und richte meinen Blick wieder auf meine wackelnden Zehen. Keine spitze Bemerkung, keine Belustigung, sondern wahres Interesse an dem was eigentlich passiert ist. Ein bisschen beeindruckt bin ich schon vom König der Ärsche himself.

„Er hatte Stress mit den Freunden von meinem Cousin. Schließlich ist meine Tante für ihn auch mehr oder weniger eine Fremde.", murmele ich und seufze leise. „Du traust ihm zu wenig zu" Marco fixiert mich von der Seite und ich zucke leicht mit den Schultern. „Er hat Feuer unterm Hintern, genau wie seine Schwester. Er kommt klar, glaub mir.", sagt er mit fester Stimme und bringt mich damit zum Lächeln. Anscheinend ist das wieder eine Art Kompliment von ihm und auch wenn er daran noch ein bisschen arbeiten muss, fühle ich mich wirklich ein bisschen geschmeichelt. „Ich weiß dass er klar kommt. Trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen." So. Jetzt werde ich verrückt. Schnell beiße ich mir auf die Zunge und tadele mich dafür, dass ich hier Marco mein Herz ausschütte. Ich bin eindeutig zu sentimental heute. In Gedanken überlege ich, ob ich meine Tage bald kriege, muss das aber zu meinem Erschrecken verneinen. Das macht es nicht besser.

„Kann ich verstehen. Aber auch wenn du es nicht hören möchtest, muss ich Marcel in dem Fall Recht geben.", antwortet er und ich stöhne genervt. „Ich brauche echt..."

„Lass mich ausreden.", unterbricht er mich und ich gucke mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihm. „Es ist schon so, dass du dir mit deinem Job, deinen Großeltern und auch noch Johnny viel zu viel Stress auflädst. Es sollte einfach nicht so sein, dass du dich um alles kümmern musst. Egal ob du es gerne machst, oder nicht. Auf Dauer wirst du daran kaputt gehen." Seine Augen durchbohren mich und langsam glaube ich wirklich, dass er tief in meine Abgründe blicken kann. Das ist verdammt unheimlich. „Es sei mal so dahingestellt, dass Marcel deine Beweggründe versteht, weil er immer alles in den Arsch gesteckt bekommen hat und es ist auch nicht richtig von ihm, dass es ihn stört wenn du Johnny ihm vorziehst, aber ganz Unrecht hat er nicht.", beendet er seine Rede und ich frage mich, ob ich wieder auf Valium bin.

Marco ist nett. Das muss ich erst Mal verarbeiten. Noch dazu ist er vollkommen verständnisvoll und irgendwie fürsorglich. Hä?

Er lacht leise, als ich ihn weiterhin geschockt anstarre und wendet seinen Blick daraufhin von mir ab. Ich atme tief durch, ehe ich zu einer Antwort ansetze. „Ich hab mir das nicht ausgesucht, dass es so ist, wie es eben ist. Das versteht nur einfach keiner.", nuschele ich vor mich hin und tauche wieder und wieder meine Finger unter die Wasseroberfläche. „Ich kann das schon verstehen.", kommt prompt Marcos Antwort und ich unterdrücke mir ein ungläubiges Schnauben. Als ob, denke ich mir nur. Sein Leben ist perfekt. Er schwimmt im Geld, wird von einem Haufen Weiber angesabbert und von Marcel weiß ich, dass seine Familie immer hinter ihm steht. Wie sollte er also verstehen, was es bedeutet mein Leben zu haben? „Da brauchst du gar nicht so dämlich gucken.", sagt er grinsend und piekt mir in die Seite.

„Ich bin nicht umsonst da, wo ich heute bin. Was glaubst du wie es für mich war, wenn meine Freunde abends Party gemacht haben und ich brav um zehn im Bett war? Oder wenn alle nach ihren Hausaufgaben fertig waren und ich noch auf den Platz gefahren bin? Ich habe meine gesamte Jugend dem Sport geopfert und ich sage nicht, dass ich es bereue. Aber im Nachhinein würde ich auch vieles anders machen." Verblüfft verziehe ich die Mundwinkel und muss mir selbst eingestehen, dass ich das noch nie so betrachtet habe. „Erst die letzten Jahre habe ich damit angefangen, mein Leben zu genießen. Zumindest soweit es meine Karriere zulässt und ich hoffe, dass du nicht irgendwann aufwachst und bereust, dass du eben auch alles geopfert hast." Nach einem weiteren intensiven Blick in meine Augen, klopft er sich auf Schenkel und steht auf. Ich sehe ihm noch nach, wie er im Haus verschwindet und beginne an meiner Unterlippe zu nagen. Eine geistreiche und dazu auch noch brauchbare Moralpredigt von Marco hätte ich nie für möglich gehalten und seine Worte schwirren mir unentwegt im Kopf herum. Ich spüre sogar, wie sich ihm gegenüber ein Schuldgefühl in mir aufbaut. Über all die Zeit hinweg, in der ich ihn jetzt kenne, habe ich ihm letztlich ganz schön Unrecht getan. Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, dass er für seine Millionen auch arbeitet und sich vor allem mit ganz viel Ehrgeiz durchkämpfen musste. Es war ihm nicht zugeflogen und noch dazu stelle ich mir ein Leben in der Öffentlichkeit auch nicht gerade einfach vor.

Regenbogen [Marco Reus]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt