Kapitel 6

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„Gott, was willst du hier?" zische ich und schließe den Bademantel etwas fester um meinen Körper. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Außerdem, wie kommt der an meine Zimmernummer ran? Scheiße. Vorsichtig tritt er einige Schritte in das Zimmer und lässt sich auf die Bettkante sinken.

„Ich wollte mich entschuldigen." Sagt er kleinlaut und ich kneife die Augen zusammen. Entweder wurde er dazu gezwungen oder ich falle von meinem Glauben ab. Habe ja mit allem gerechnet, aber damit ganz sicher nicht.

„Okay?" meine Stimme ist extrem hoch und ich könnte mir deswegen gegen die Birne schlagen. Ja nicht, die Verblüffung anmerken lassen, Kim.

„Keine Ahnung was gestern los war. Ist in meiner Position nicht einfach jemandem zu vertrauen, aber ich bin zu weit gegangen." Er knetet angestrengt seine Hände, bis er zu mir aufsieht und mich eindringlich anschaut. Gott, ich habe echt ne Schwäche für Hundeblicke und mein Plan, total hart zu bleiben, verläuft sich im Sand.

„Schon gut." Murmele ich und stecke meine Hände in die Taschen meines Bademantels, da ich keinen Schimmer hab was ich mit denen anstellen soll. Ich stehe da sowieso bescheuert mitten im Raum und er soll mir meine Nervosität nicht anmerken.

„Du brauchst dir außerdem keine Sorgen machen. Ich wusste bis gestern nicht mal, wer du bist." Füge ich hinzu und grinse, um die Stimmung etwas aufzuheitern, klappt bei seinem dunklen Gesichtsausdruck aber anscheinend nicht. Langsam erhebt er sich und kommt auf mich zu. Er steht so nah vor mir, dass ich nach hinten ausweichen will, aber da ist die blöde Wand. Verfluchte, kleine Hotelzimmer.

Sein Atem streift meine Gesichtshaut und es bildet sich eine komische Gänsehaut auf meinem Nacken, während er mir tief in die Augen sieht. Wie in Trance bemerke ich, wie sich seine Hand hebt und sein Daumen und meiner Wange zum Stillstand kommt.

„Das ist ja das Problem." Murmelt er und ehe ich noch etwas ergänzen kann, lässt er mich los und schmeißt ohne einen weiteren Blick, die Tür hinter sich zu. What?

Sprachlos, mit geöffnetem Mund stehe ich da und frage mich, was da gerade passiert ist. Verwirrt kneife ich an meinen Unterarmen herum, in der Hoffnung aufzuwachen. Das kann doch nur ein schlechter Traum gewesen sein. Geschieht aber nicht. Leider bin ich wach. Während ich unter die Dusche steige, versucht das mein Hirn immer noch zu verarbeiten. Was hat er damit gemeint? Es hat mich ja schon fasziniert, dass er überhaupt hergekommen ist, um sich zu entschuldigen - aber seine letzte Bemerkung geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Kann sie nicht zuordnen. Oh Mann. Am besten wäre es, wenn ich dieses verdammte Wochenende aus meinem Gedächtnis lösche und nie wieder nach Dortmund komme. Ich hake das einfach mal so ab, schmeiße Musik an meinem Handy an und packe nebenbei meine Sachen.

„Ooooooma! Bin wieder da-ha." Brülle ich durch das Haus, während ich meinen Koffer hinter mir her schleife. Der ist einfach viel zu schwer. Innerlich nervt es mich jedes Mal, wenn ich für einen fünf-Tages-Trip den Auszug aus Jerusalem eingepackt habe. Ist aber auch schwierig, weniger mitzunehmen. Du kannst ja nie sagen was du brauchst. Vielleicht wird es im Oktober plötzlich sau warm und da hast du nur geschlossene Schuhe und Pullis dabei - das geht doch nicht.

„Küüüüüche." Schreit sie zurück und ich öffne die Tür zu dem Raum, wo mir erstmal Bruno - unser Hund - und mein kleiner Bruder Johnny entgegenstürmen. Freudig hebe ich meinen kleinen nach oben und wirbele ihn durch die Luft, während mein Wuffi vor mir steht und das Ganze schwanzwedelnd beobachtet.

„Hab dich vermisst, Kleiner." Lächle ich ihn an und stupse seine Nase, woraufhin er sein Gesicht in meiner Halsbeuge vergräbt.

„Wie war's im Stadion?" fragt er begeistert und seine Augen funkeln wie verrückt, sowie er mich auffordernd anblickt.

„Schön." Erwidere ich zwinkernd und stelle ihn wieder auf seinen Füßen ab. Er nimmt einen Ball vom Boden und wirft ihn aus der Terrassentür hinaus und Hund und Bruder sind verschwunden. Seufzend drücke ich meiner Oma einen Kuss auf die Wange, die am Herd steht und irgendwas himmlisch duftendes kocht und wiederhole das, bei meinem Zeitungslesenden Opa.

„Wie geht's ihm?" sage ich geistesabwesend und schaue Johnny dabei zu, wie er durch den Garten tollt. Das ist das schönste Bild für mich. Vor 2 Jahren wurde bei ihm Myotone Dystrophie festgestellt. Das ist eine Muskelschwäche-Erkrankung, besonders im Bereich der Hand- und Unterarm, sowie Fuß- und Gesichtsmuskulatur. Seine rechte Hand ist mittlerweile schon zur Faust verkrampft und er bekommt sie fast nicht mehr auf. Alles in allem, können wir uns aber nicht beschweren. Es wurde früh diagnostiziert und wir kommen damit ganz gut zurecht. Für ihn ist es sowieso das Wichtigste, das er noch Fußball spielen kann und solange Lunge und Herz noch nicht geschwächt sind, spricht das für einen guten Verlauf. Ich finde es wichtig, dass er mit seinen 7 Jahren, ein halbwegs normales Leben führen kann.

„Gut, soweit. Er hat seine Medikamente bekommen und ich habe ihn ein bisschen gebremst. Wie war der Ausflug?" meint sie und lächelt mich an, wie Omas das nun mal tun.

„Lustig." Ich beiße mir verstohlen auf die Unterlippe, als mir der Sex mit Marcel wieder einfällt und wende daraufhin meinen Blick ab.

„Du solltest öfters was unternehmen, Schätzchen. Du bist viel zu erwachsen für dein Alter." Stöhnt sie und schnippelt Karotten in den Kochtopf.

„Ach, Granny." Lache ich und laufe aus der Küche, um meinen Koffer auszuräumen. Vor drei Jahren sind meine Mutter und mein Stiefvater bei einem Autounfall ums Leben gekommen und ich bin von Miami wieder zurück in meine Heimatstadt gekommen, da ich in den Staaten niemanden hatte, der mich unterstützt. Ich liebe die beiden abgöttisch, auch wenn sie selbst nicht mehr so fit sind und ich letztlich drei Kinder zu versorgen habe, tun sie was sie können und dafür bin ich ihnen unendlich dankbar. Ist ja nicht selbstverständlich.

Johnny kommt in mein Zimmer gestürmt und schmeißt sich auf mein Bett, um mich zu beobachten, wie ich dreckige von sauberer Wäsche trenne.

„Ich hab die ganze Zeit mit Opa nach dir geguckt, ob ich dich in der Menge sehe." Sagt er und ich hebe mahnend die Augenbraue, als Bruno mit auf mein Bett hüpft und sich genüsslich den Bauch streicheln lässt. Mag das nicht, wenn der Flohzirkus in meinen Federn liegt und das wissen sie beide, lass es aber heute mal durchgehen. Soviel zu Konsequenz.

„Du weißt doch, wie klein ich bin." Lache ich und schmeiße mich zu den beiden auf die Matratze. Es muss schon ein komisches Bild sein, das er mein kleiner Bruder ist. Ich bin ein absolutes Weißbrot, mit mittelblonden Haaren und Johnny ist einer von der Schoko-Abteilung, da meine Mutter in zweiter Ehe einen hier stationierten Soldaten geheiratet hat und dadurch mein hübscher Braunbär entstanden ist. Seitdem die beiden nicht mehr unter uns weilen, ist er mein ein und alles.

„Stimmt. Mini. Lange dauert's nicht mehr, dann hab ich dich überholt." Stellt er fest und grinst mich hämisch an. Kann ich aber nicht leugnen. Mit gerade Mal 1,58 ist das aber auch nicht wirklich schwer.

„Ich freu mich ja soooooo auf Samstag!" grölt er los und wirft begeistert die Arme in die Luft, woraufhin Bruno ihn ganz entgeistert ansieht, warum er nicht mehr weiter gekrault wird. Samstag? Ich blättere durch mein Hirn, um zu verstehen, wovon er da eigentlich redet.

„Na das Fußballspiel. Hast du das schon wieder vergessen?" hilft er mir auf die Sprünge und augenblicklich klatsche ich mir gegen die Stirn. Das habe ich erfolgreich verdrängt. Am Wochenende war EM-Qualifikation der deutschen Nationalmannschaft in Nürnberg, gegen Gibraltar. Johnny hat sich mit Opas Hilfe beworben, um da mit den Spielern einzulaufen und tatsächlich einen der begehrten Plätze ergattert. Na super. Da kommt doch Freude auf. Zum Glück bin ich so naiv, dass ich mir einreden kann, dort nicht auf Marco zu treffen. Ich hab ja keine Ahnung, wie das da abläuft - da werde ich sicher nicht in die Nähe der Spieler kommen. Ganz bestimmt.

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Diesmal ein etwas kürzeres Kapitel^^

Ich freue mich wie immer total über eure Kritik & Votes <3




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