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"There are some things you learn best in calm, and some in storm."
-Willa Cather
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Fortschritte. Sie sind immer wieder durch Erfolge gekennzeichnet, aber was viele vergessen ist, wie es zu diesen Fortschritten kam. Um einen Fortschritt zu erreichen muss man eine Niederlage einstecken. Man muss tief gefallen sein und sich aus eigener Kraft wieder aufrappeln. Irgendwo vor dieser guten Zeit, gab es einen schwarzen Punkt, der uns nach unten gezogen hat und doch reden wir bei einem Erfolg nie von der schlechten Seite. Wir lassen uns gerne von der strahlenden Seite blenden und doch sollten wir auch nicht den Grund vergessen, weshalb wir überhaupt einen Fortschritt erreichen konnten. Fortschritte sind besonders schön und doch sind sie auch mit einem erneuten Versagen verbunden, auch wenn wir uns einreden das uns dieses Schicksal nicht nochmal ereilet.

Wieso kriege ich keine Luft. Gott lass mich atmen. Ich stütze meine Hände auf das Waschbecken, rede mir immer wieder ein, dass die Luft gleich wieder durch meine Lungen strömt, doch sie erreicht sie nicht. Panik macht sich in allen meinen Gliedern breit und ich beginne zu zittern. Ich bin stark, ich darf in keine Panikattacke verfallen. Meine ganzen Fortschritte würden sich wieder auflösen und ich müsste von vorne beginnen.  Ein und Ausatmen. Ich wiederhole mein Mantra immer wieder. Wieso ist es hier plötzlich so kalt? Mein ganzer Körper spielt verrückt, doch ich muss ruhig bleiben. Ich muss mich beruhigen. "Hannah, mach bitte die Tür auf", Tyler steht schon seit zwanzig Minuten vor ihr, doch ich kann ich nicht dazu durchringen ihm zu antworten. Ich weiß das er das verdient hat, aber ich will ihn nicht verletzen. So wie ich jetzt bin, mache ich nur alles kaputt. Er soll mich nicht immer weinen sehen.  Die meiste Zeit, in der wir zusammen sind, sieht er mich zusammen brechen und das will ich ihm nicht noch einmal zumuten. Jetzt muss ich hier alleine durch und meine innere Schwäche besiegen.

Ich stütze meine Hände auf unser Waschbecken und schließe meine Augen. Ich bin stark, dass war ich schon immer und in diesem Moment muss ich es beweisen. Ich brauche meine Klinge nicht, sie gehört nicht mehr zu meinem Leben, ich habe andere Methoden um mich zu beruhigen. Leise beginne ich mein früheres Schlaflied zu singen.

Hast Du Dich je gefragt, ob die Sterne für Dich leuchten?
Gleite hinab,
Wie Blätter im Herbst;
Sei jetzt still,
Schließe Deine Augen vor dem Schlaf.
Und Du bist Meilen weit weg;
Und gestern warst Du hier bei mir.
Ist es nur ein Wunder oder singen Vögel noch für Dich?
Gleite hinab,
Wie Blätter im Herbst;
Sei jetzt still,
Schließe deine Augen vor dem Schlaf.
Und du bist Meilen weit entfernt;
Und gestern warst du hier bei mir.

Eine Stimme vor der Tür beginnt ebenfalls zu singen und ich weiß wer es ist, ich erkenne sie sofort ohne sie zu sehen. Meine Tränen beginnen schneller zu laufen und ich will sie dieses Mal nicht stoppen, sie dürfen fließen.

Ooh, wie ich dich vermisse,
Meine Symphonie spielt das Lied, das dich hinausträgt.
Ooh, wie ich dich vermisse,
Ich vermisse dich und ich wünschte, du würdest bleiben.
Ist es irgendein Wunder, dass die Sterne für Dich leuchten?
Gleite hinab,
Wie Blätter im Herbst;
Sei jetzt still,
Schließe Deine Augen vor dem Schlaf.
Und Du bist Meilen weit weg;
Und gestern warst Du hier bei mir.

Ich bleibe noch ein paar Minuten hinter der Tür sitzen, ehe ich hochstehe um den Schlüssel im Schloss zu drehen. Langsam schiebe ich die Tür auf und blicke in vier traurige Gesichter, die mir alle irgendwie am Herzen liegen und die doch ein großes Geheimnis miteinander teilen. Vier Menschen die mich alle irgendwie belogen haben und denen ich trotzdem nicht sauer sein kann. "Wieso?"

45 Minuten vorher

"Es ist doch unwichtig wer Aren war", meine Mutter schaut mir dabei nicht malen die Augen und ich weiß sie verbirgt etwas vor mir. Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen und mein Dad weiß ich bin kurz davor zu explodieren. "Erzähl es ihr Francesca", verwirrt sehe ich hinter mich und sehe direkt in Tyler's Augen. Sie haben sich verändert. Die sonst so liebevollen Augen sind stumpf und glanzlos. Hier vor mir sitzt nicht mein Tyler mit dem ich Scott verlassen hatte, hier vor mir sitzt der Junge dem ich damals am See verletzt hatte. Wieso kannte er den Namen meiner meiner Mutter. Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn genannt zu haben. "Er-", ich drehe mich zurück zu der nun auf der Couch sitzenden Frau und sehe sie abwartend an. Meine Gedanken spielen immer noch verrückt und ich bin mir sicher ob ich die Wahrheit wirklich hören möchte. Ich sehe meinen Dad an und hoffe er kann mir meine Angst nehmen, doch er blickt nur auf einen Punkt hinter mir. Gerade als ich mich umdrehen möchte fängt Francesca an zu sprechen. "Ich habe drei ältere Brüder, einer davon ist Raúl er ist drei Jahre älter als ich. Er ist von Anfang an der einzige aus meiner Familie gewesen, der nichts gegen die Beziehung von mir und deinem Vater hatte. Als wir damals abgehauen sind, da kam Raúl mit seiner Frau mit uns, mit dabei war ihr Sohn Aren", verwirrt blickte ich zwischen meinem Vater und meiner Mutter hin und her. "Als wir von Florida weg mussten, um hier her zu ziehen, da haben sich mein Bruder und seine Frau ein Haus neben uns gekauft", jetzt bin ich wirklich völlig planlos. Das Haus der Manson's hat also einmal meinem Onkel gehört. "Damit sie uns nicht noch mal so schnell finden, hat mein Bruder beschlossenen Mädchennamen seiner Frau anzunehmen. Also wurde aus Aren Habirez- Aren Michel", sie stoppt und mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Wie konnte- was ist hier nur los?Wieso kommt mir dieser Name nur so bekannt vor? Wo habe ich ihn schon einmal gehört. Völlig planlos drehe ich mich zu Tyler und verkrampfe mich augenblicklich. Neben ihm steht ein hochgewachsener Mann, mit schwarzen Haaren und stechend blauen Augen, er sieht genauso aus wie Tyler.
Diese Erkenntnis trifft mich wie ein harter Schlag und ich stolpere zurück.

"Wie- Was zur- Scheiße!", ich will raus aus diesem Raum, weg von dieser Lüge. Mein Herz schlägt ungleichmäßig in meiner Brust und das einzige das ich wirklich will ist zu verstehen was hier gerade passiert. Ich brauche Antworten, aber ich bin nicht wirklich bereit sie zu hören. "Tyler!", meine Stimme ist nur ein bebender Haufen aus Angst und ich will ihm raten mir jetzt die Wahrheit zu sagen. Doch er blickt nur stumm an mir vorbei. Das alles macht mich so unglaublich wütend. "Tyler!", ich kreische mittlerweile und ich weiß das ich wie eine Furie aussehe. Meine ganze Körperhaltung lässt darauf schließen das ich jederzeit bereit bin ihm die Augen auszukratzen und doch habe ich noch ein bisschen Selbstbeherrschung übrig. Mit pochendem Herzen gehe ich einen Schritt auf ihn zu und verlange das er mich ansieht, doch er blickt immer noch stur an mir vorbei. "Tyler wenn du jetzt weiter schweigst dann gehe ich, für immer", schmerzvoll zucken seine Augen zu mir und ich weiß das es unfair von mir ist, diese Karte zu spielen, aber er lässt mir keine andere Wahl. Natürlich würde ich mich nicht umbringen, aber er weiß das ich den Kontakt vollkommen zu ihm abbrechen kann.

The Way of Life (Anorexia Nervosa)✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt