"Matthew ist gerade gekommen," erklärte Brian seinen Schwestern, "und wir wollen jetzt mal anfangen, mit dem Ausräumen .. sonst wären wir nie fertig." Die beiden Frauen rappelten sich hoch und folgten ihrem Bruder wieder nach unten ins Erdgeschoss des Hauses. Nachdem sie ihren kleinen Bruder Matthew begrüßt hatte, saßen sie alle im Wohnzimmer zusammen und planten ihr Vorgehen in Sachen Auflösung des Haushaltes.
Zunächst galt es logischer Weise die ganzen Schränke und Schubladen zu leeren. Die ganzen Klamotten sowie auch alle Schuhe sollten in großen Müllsäcken landen und entweder bei einem gemeinnützigen Verein oder Second-Hand-Shop in der Stadt abgegeben werden, die solche Sachen gebraucht sammelt und gegen kleines Geld wieder verkauften, oder auch einfach in den nächsten Altkleidercontainer stopfen. Alle Papiere und Dokumenten und Familienfotos würden sie erst mal im Wohnzimmer sammeln und später aussortieren. Bezüglich der Möbel würde Emily in der hiesigen Lokalzeitung entsprechend Annoncen aufgeben, um diese an Leute zu verkaufen, die vielleicht noch Verwendung dafür haben. Was Dekokram und gemalte Bilder u.Ä. anging, so würde sich jeder der Geschwister aussuchen, was er/sie behalten möchte; alles was dann am Ende noch übrig sein sollte, würde dann wie die Möbel verkauft werden.
"Also, dann," rief Emily und klatschte in die Hände, als ihr Arbeitsplan schließlich stand, "legen wir los!" Dabei klang sie natürlich motivierter als sie sich wirklich fühlte; aber nun ja, den Haushalt der verblichenen Mutter aufzulösen war halt etwas, was einen ganz und gar nicht kalt ließ. Denn in gewisser Weise bedeutet, dass man auch einen Teil der Erinnerungen an die Familie verlor. Aber sie konnten halt schlecht alles was in diesem Haus war, unter sich aufteilen und behalten. Mit schweren Herzen machten sie sich also alle an die Arbeit.
Zusammen mit ihrem Mann Maximilian und ihrem Bruder Brian holte Emily einen Stapel an zusammengefalteten großen Umzugskartons und mehrere Rollen mit großen Müllsäcken. Dann teilten sie sich in zwei Gruppen auf; während die einen sich das Erdgeschoss vornahmen, gingen die anderen hoch ins Obergeschoss, um dort mit dem Ausräumen zu beginnen. So arbeiteten sie mehrere Stunden und ohne sich groß dabei zu unterhalten.
Nach und nach wanderten Klamotten und Schuhe in die großen Säcke und am Ende hatte sich eine ganze Reihe von ihnen in der Diele angesammelt. Auf dem großen Tisch im Wohnzimmer wuchsen immer mehr Papierstapel und gehäufte Ansammlungen an Familienfotos (teilweise sogar noch in schwarz-weiß) und überall, wo Platz war, wurde der Dekokram abgestellt.
Bis zum Mittag waren Emily und ihre Geschwister und deren jeweilige Ehepartner/in so durchgehend am Arbeiten. Dann meinte Aubrey:"Ich finde es wird Zeit für eine Pause." "Soso," witzelte Matthew und legte einen weiteren Stapel an Papieren auf dem Wohnzimmertisch ab, "die alte Frau ist wohl außer Puste?" "Haha," gab seine große Schwester zurück und räumte sich einen Stuhl frei, um sich zu setzen. "Sag bloß, du hast keinen Hunger." "Doch doch," entgegnete ihr Bruder und murmelte dann noch halblaut: "War ja nur nen Scherz, du Zicke!" Aubrey warf ihm ein Kissen an den Kopf, das gerade neben ihr lag, lächelte aber und er lächelte auch - letztlich brauchten sie diese kleine Frotzeleien, um mit dem emotionalen Part dieser Art von Arbeit fertig zu werden.
Emily fischte einen zusammengeknickten Speiseplan eines Lieferservice aus der Gegend aus ihrer Handtasche und jeder suchte sich ein Gericht dort aus. Maximilian notierte die Menüzahlen und rief dann von seinem Handy dort an und gab die Bestellung durch. Bei der Frage, ob liefern lassen oder selbst abholen, kam eine kurze Diskussion auf; aber da sie alle gerade keine Lust hatten, es selbst zu holen, fiel die Wahl dann doch auf liefern lassen.
"Was machen wir noch nach dem Essen?" fragte Brian und setzte sich auf den Fußboden, seine Frau Sue-Ling nahm neben ihm Platz. Die anderen taten es Aubrey nach und räumten sich einen Stuhl oder einen Platz auf der Couch frei. "Naja, Kleidung und Schuhe, das ist eigentlich alles schon in den Säcken," erwiderte Andrew, "und die Möbel sollen ja solange hier bleiben bis sie verkauft werden oder?" Bei den letzten Worten sah er seine Schwester Emily an, welche nickte. "Und auch hier unten im Erdgeschoss sind wir auch so wie gut fertig mit Ausräumen," meldete sich Matthew zu Wort, "Naja, bis das Chaos hier," fügte er nach einer Pause hinzu und wie mit einer Handbewegung auf die Berge von Papieren, alten Dokumenten und Familienfotos vor sich auf dem großen Couchtisch. Für eine Weile trat wieder Schweigen ein, dann fragte Aubrey: "Sagt mal, fällt es euch auch so schwer, zu entscheiden was von dem ganzem Kram hier aufgehoben werden und was weg soll?" Allgemeines zustimmendes Nicken von ihren Geschwistern, dann klingelte es plötzlich an der Haustür.
Während Emily, Matthew, Andrew und Sarah die Packungen mit ihrem Essen vom Lieferanten entgegennahmen und ins Wohnzimmer brachten, bezahlte Maximilian das Essen aus seinem Geldbeutel. "Ihr gebt mir nachher einfach das Geld zurück," sagte er, als sie schließlich alle das von ihnen ausgesuchte Gericht in den Händen hielt. Von irgendwoher wurden noch schnell Messer und Gabel hervorgekramt. Zu Trinken hatten sie Limonade, wovon Emily eine ganze Kiste und auch Becher mitgebracht hatte.
Eine ganze Weile war nichts zu hören aus üblichen Geräusche, die Menschen beim Essen und Trinken so machten. Nachdem sie aber gesättigt war, machten Emily, ihre Geschwister und die Ehepartner/innen noch einige Zeit Smalltalk, wobei sie sich einander auch von irgendwelchen privaten Plänen erzählten, die in naher Zukunft verwirklicht werden sollten. Und natürlich wurde das neuste vom Neusten über das Leben ihrer jeweiligen Kinder berichte - abgesehen von Andrew und Sarah sowie Matthew, die Kinder hatten.
"Und wie gefällt es Avery in ihrem neuen Job,?" fragte Brian und trank den letzten Schluck seiner Limonade; Avery, das war Emily's zweite Tochter. Sie hatte nach ihrem Abitur erst Bürokauffrau gelernt, jedoch nach geraumer Zeit immer öfter das Gefühl bekommen, dass dieser Job doch nicht so das Richtige für sie war. Nach einigem Hin und Her, vielen Bewerbungen und Absagen hier und dort, war die 29-Jährige dann vor 3 Jahren in der Altenpflege gelandet und hatte nach einer entsprechenden Ausbildung ihr Examen auch mit Bravour bestanden. "Oh, es ist zwar sehr anstrengend sagt sie, aber es macht ihr dennoch viel Freude," erwiderte Emily, selbstverständlich mit mütterlichen Stolz in der Stimme. Dagegen konnten Brian und seine Frau Kiyoko auf ihren jüngsten Sohn Toyo nicht wirklich stolz sein.
"Es wird immer schlimmer mit ihm, er lässt sich von uns im Grunde schon lange nicht mehr," offenbarte Brian den anderen und starrte dabei auf das Stück Teppich, machte eine Pause und fügte dann noch hinzu: "Und wir befürchten, dass er schon bald hinter Gittern landet, wenn er so weiter macht wie bisher." Er legte einen Arm um Kiyoko, die bei seinen Worten eine stumme Träne vergoß und küsste sie sanft auf die Stirn.
Damit endete schließlich auch der familiäre Smalltalk und alle machten sich wieder an die Arbeit, um doch noch etwas zu schaffen bevor sie dann für heute Schluss machten und sich zu Hause bzw, im Hotel ausruhten. So sortierten sie schon mal einen Teil der vielen Papiere und Dokumente nach dem was noch wichtig sein könnte und dem was unwichtig und somit als Altpapier entsorgen werden konnte; auch die Familienfotos gingen Emily und ihre Geschwister teilweise durch, aber schon bald wurde ihnen klar, dass niemand mehr so richtig Lust hatte heute noch irgendwas in diesem Haus zu tun.
Die ganzen Erinnerungen an früher, die mit dem Ausräumen von Schubladen und Schränken und so immer wieder aufkamen, das war einfach genug für einen Tag. Und so beschlossen sie schließlich, es für heute gut sein zu lassen. "Also dann bis morgen," sagte Emily, drückte alle ihre Geschwister sowie ihre beiden Schwägerinnen - auch wenn sie sich ja schon bald wieder sehen würden - und fuhrt dann mit ihrem Mann Maximilian nach Hause.
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Auf den Spuren meiner Mutter
Fiction HistoriqueHildegard Brown hat die Tyrannei des Nazi-Regimes sowie auch den zweiten Weltkrieg überlebt. Nun ist sie im Beisein ihrer 5 Kinder friedlich entschlafen. Bei der Auflösung des Haushaltes, um das Haus der verblichenen Mutter zu verkaufen, entdeckt ei...