Während die Schwangerschaft ihrer ältestes Tochter weiter voran schritt, kamen gleichzeitig noch andere wichtige familiäre Ereignisse auf sie zu. Denn ihr Bruder Brian, ihre Schwägerin Sarah sowie ihre Schwester Aubrey feierten innerhalb den nächsten drei Monate nacheinander ihren jeweiligen Geburtstag. Um mit ihrer Schwester feiern zu können flogen Emily und ihr Ehegatte sogar noch für einige Tage nach Amerika; dafür mussten sie sogar eine ganze Weile vor ihrer Reise ihre Visums beantragen.
Tochter Avery überlegte auch kurz zum Geburtstag ihrer Tante mit rüber zu fliegen, aber aufgrund des aktuellen Personalmangels in der pflegerischen Einrichtung, in welcher sie jetzt arbeitete, hatte man ihre beiden freien Tage sowie auch einen Teil ihres daran anschließenden Urlaubs von einer Woche kurzfristig gestrichen und ihr Früh- bzw. Spätschichten eingetragen - diesmal hatte man sie zumindest gefragt, aber die Änderungen waren komischerweise dann doch schon in ihrem Dienstplan erschienen, bevor die 27-Jährige überhaupt entschieden hatte, ob sie auf ihr Frei bzw. ihren Urlaub bestehen sollte oder nicht.
Und obwohl sie alles andere als erfreut darüber gewesen war, hatte sie dann aber doch zu gestimmt. Sicherlich auch, weil sie mehr oder weniger ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie schon in den letzten Wochen davor immer wieder mit Nein geantwortet hatte, wenn sie gefragt wurden war, ob sie kurzfristig einspringen konnte. Und Avery fand es irgendwie auch nicht fair, wenn immer nur die gleichen vom Team einspringen würden; denn wenn sie selbst mal krank war, musste ja auch jemand von ihren Kollegen/innen aufs Frei verzichten und für sie einspringen.
Manche von den anderen Angestellten der Einrichtung pochten dagegen auf ihr Frei, meckerten dabei auch gerne mal, wie scheiße es sei, hier noch zu arbeite. Und wenn sie dann immer noch nicht ihren Willen bekamen, dann meldeten diese auch einfach mal so krank und "erzwangen" so ihr Frei. Teilweise hatte sich Avery auch vorgestellt, es genauso zu machen, aber letztlich war sie einfach nicht diese Art von Person.
"Grüßt mir Tante Aubrey und die anderen schön," sagte die 27-Jährige und umarmte ihre Eltern zum Abschied noch mal. Dann nahm ihr Vater das Gepäck aus dem Kofferraum und holte einen Wagen, um alles nach und nach darauf zu laden.
Weil es vom kleinen Flughafen nahe ihrem Zuhause in Nordhessen keinen Flug gab, hatte sich das Ehepaar von ihrer Tochter in ihrem großen Wagen nach Frankfurt zum Flughafen fahren lassen. Von hier würden sie in Kürze nach New York fliegen, während Avery mit dem Wagen wieder heim fahren würde. Um ihre Eltern fahren zu dürfen hatte sie Gott sei dank heute von ihrer PDL nur eine kurzen Frühdienst statt des normalen Frühdienstes bis 14.15 bekommen.
"Fahr vorsichtig," sagte Emily und umarmte und küsste ihr Tochter ein letztes Mal (von schon mehreren letzten Malen). Dann löste sich die beiden Frauen voneinander und Avery schaute zu, wie ihre Eltern das Terminal betraten, wo sie sich zunächst für ihren Flug einchecken und anschließend zum Gate begeben mussten, von wo das Flugzeug in kurzer Zeit starten würde - während sie schon wieder mit den Tränen kämpfte.
Denn auch wenn die 27-Jährige wusste, dass die beiden nicht für immer in den USA bleiben sondern nach einer Woche schon wieder heim kehren würden, so war sie dennoch ein wenig traurig über dem gerade erfolgenden Abschied von ihnen.
Einerseits lag dieses Traurigkeit natürlich daran, dass sie selbst gerne mit geflogen wäre und ihre Tante und deren Familie besucht hätte; aber leider hatte sie ja ihre Urlaubspläne kurzfristig komplett über den Haufen werden müssen und musste nun arbeiten. Die kleine gehässige Stimme in ihrem Hinterkopf, die ihr ins Ohr flüsterte: "Wieso müssen? Du hättest doch einfach auf deinen Urlaub bestehen können statt dich überreden zu lassen, wieder mal einspringen!" überhörte sie an dieser Stelle gekonnt.
Insgeheim ärgerte sie sich aber doch, dass sie zugestimmt hatte, auf ihren Urlaub erst mal zu verzichten; jetzt, wo sie ihre Eltern sah, wie diese in die große Halle des Terminals gingen. Sie hätte ihre Eltern auch gerne noch gerne bis zur Gepäckaufgabe sowie den Sicherheitskontrollen begleitet; halt bis dahin, ab wo sie nicht mehr ohne ein Ticket weiter gehen durfte. Aber dann hatte sie sich kurzfristig dagegen entschieden, weil sie leider glaubte, dass ihr der Abschied noch schwerer gefallen wäre wie jetzt hier vor dem Terminal.
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Auf den Spuren meiner Mutter
Historical FictionHildegard Brown hat die Tyrannei des Nazi-Regimes sowie auch den zweiten Weltkrieg überlebt. Nun ist sie im Beisein ihrer 5 Kinder friedlich entschlafen. Bei der Auflösung des Haushaltes, um das Haus der verblichenen Mutter zu verkaufen, entdeckt ei...