Aufgrund dessen was ich gestern Abend so alles von Fr. Konrad und ihrem Sohn Hermann erfahren habe ... vor allem das über meine eigene Familie ... konnte ich in der vergangenen Nacht schlecht schlafen und bin auch immer wieder wach geworden. Auch jetzt noch weiß ich nicht so recht, wo mir der Kopf steht.
Hermann ist heute Morgen wie immer zur Schule aufgebrochen - wie gerne wäre ich mit ihm gekommen! Doch leider ist das nicht mehr möglich, da man mich ja dann wohl als Jüdin abtun würde; nur weil ich schwarze statt blonde Haare habe. Ich versteh immer noch nicht, wieso die Nazis die Menschen nur anhand von deren Aussehen beurteilen und sagen, dass Juden nicht genauso menschlich sind wie sie selbst.
Ich glaube, dass dieser Adolf Hitler sie dazu zwingt; denn er scheint doch nicht der nette und gute Mensch zu sein, als welchen ihn so viele Erwachsene bezeichnen. Dem zu folge, was mir Amos und Noah auf unser gemeinsam Zugreise über ihn erzählt haben .. und was mir jetzt auch noch mal von Fr. Konrad erzählt wurde .... schien dieser Hitler, diese Wut und die Gewalt gegen die Juden zu schüren. Weil erst seitdem er diese politische Wahl gewonnen hatte, würden diese so schlecht behandelt werden. Und wenn das stimmt, was sie mir über meine Familie gesagt hatte - wenn das stimmt, dass meine eine Oma eine Jüdin war - dann würde es mir genauso ergehen. DAS IST ALLES SO FURCHTBAR! Wie können Menschen sich gegenseitig nur sowas Schlimmes antun?
Da ich momentan nirgendwo anders hin konnte, hatte ich mich auch entschlossen, das Angebot von Fr. Konrad, die nächsten Tage bei ihr und ihrem Sohn zu bleiben, an zu nehmen. Und natürlich wollte ich mich dankbar zeigen, weshalb ich ihr im Haushalt half. Und Abends saß ich mit am Tisch und sah Hermann bei den Hausaufgaben zu; manchmal half ich ihn auch dabei, denn ich war z.B. sehr gut in Mathematik. Außerdem war das ein guter Zeitvertreib für mich, denn auf Rat von seiner Mutter, verließ ich ansonsten so gut wie nie das Haus. "Du bist einfach hier drinnen sicherer, als da draußen auf der Straße," sagte Fr. Konrad immer wieder, "denn seit dem Hitler an der Macht ist, weiß man nicht so recht, wer man trauen kann und wem nicht. Die Nazis streifen immer wieder durch die Straßen der Stadt und suchen nach Juden und jene, die sie Blutsverräter nennen können."
Ich bin zwar noch ein Mädchen von fast 14 Jahren, aber trotzdem habe ich mittlerweile so manches zu verstehen gelernt, was mir vorher nicht mal aufgefallen ist - wahrscheinlich weil ich mich bei meiner Mutter und meinem Vater und meinen Geschwistern immer wohl und geborgen gefühlt hatte. Aber das war jetzt wohl vorbei und somit nahm ich das, was alles um mich rum passierte viel eher wahr.
Die Nazis, das waren u.a. die Männer in den braunen Uniformen, die seit Monaten immer wieder Leute auf offener Straße beleidigt oder gar verprügelt haben... Nazis, das waren jene, die überall in der Stadt Menschen verhaftet und irgendwo hingebracht haben, von wo jene niemals wieder zurückkehrten. Nazis, das war inzwischen auch die Polizei hier. Und all jene waren auf Seiten von diesem Adolf Hitler, welcher all das zu verantworten hatte.
Regelmäßig saßen Fr. Konrad, Hermann und ich nun an ihrem Empfänger des Hörfunkes, wenn dieser Hitler zu den Bürgern dieses Landes sprach. Wobei ich persönlich ja immer der Meinung war, dass er nicht sprach sondern viel mehr schrie. Hinterher unterhielten wir uns auch stets über das, war er in seiner neusten Rede gesagt hatte.
Dank der freundlichen Fr. Konrad, die mir bei unseren vielen Gesprächen in den nächsten Tagen so vieles offen und ehrlich erklärte, begann ich die Welt auch viel besser zu verstehen und somit wurde mir umso mehr bewusst, welches Unheil mit diesem Adolf Hitler über das Land herein zu brechen drohte. Und je mehr ich über die Politik lernte, die von ihm und seinen Leuten betrieben wurde, desto mehr verstand ich auch, wieso meine Mutter in den letzten Monaten scheinbar ständig in Sorge um die Familie, um meine Geschwister, um mich gewesen war bzw. ist.
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Auf den Spuren meiner Mutter
Ficción históricaHildegard Brown hat die Tyrannei des Nazi-Regimes sowie auch den zweiten Weltkrieg überlebt. Nun ist sie im Beisein ihrer 5 Kinder friedlich entschlafen. Bei der Auflösung des Haushaltes, um das Haus der verblichenen Mutter zu verkaufen, entdeckt ei...