Da sie befürchtete, dass sie wieder fest einschlafen könnte, wenn sie noch länger im Bett liegen blieb, beschloss Emily aufzustehen - schließlich war es bereits Mittag und somit hatte sie den halben Tag schon verschlafen. Sie war jetzt nicht sauer deswegen, weil sie so lange geschlafen hatte, aber es war halt der letzte Tag bevor Aubrey's Flug zurück in die USA ging. Und wer weiß, wie lange es dauern konnte, bis sich die beiden Schwestern das nächste Mal sehen konnten.
Natürlich hatten sie regelmäßíg Kontakt über Internet und auch über Telefon, aber sie waren nun mal beide beruflich aktiv und hatte ihre jeweilige Familie; außerdem war da noch das Wässerchen mit dem Namen atlantischer Ozean zwischen ihnen, was ein täglichen Besuch untereinander nahezu unmöglich machte.
Immer noch die Reste der Müdigkeit los werdend und weiterhin mit einen leichten Brummschädel quälte sich Emily also aus dem Bett und begab sich einmal quer über den Flur des Obergeschosses zu jenem Zimmer, dass einst ihre großen Tochter Olivia gehört hatte und nach deren Auszug in ein Gästezimmer umfunktioniert wurde. Sachte klopfte die 52-Jährige an die Zimmertür und schob sie dann langsam auf.
Aubrey lag mit dem Rücken zur ihr auf der Seite und schlief noch; die Bettdecke war ein wenig verrutscht und so lugte ein Fuß darunter hervor. Leise schlich sich Emily ans Bett und kitzelte ihre große Schwester an der Fußsohle, worauf diese aus dem Schlaf aufschreckte und sie einige Minuten böse anblinzelte.
"Das war nicht nett," murrte sie, rieb sich ebenfalls die Augen und setzte sich dann mit dem Rücken an die Bettkante, ihre Schwester zog derweil die Vorhänge zurück und sofort flutete das Sonnenlicht auf dieses Zimmer. Anschließend setzte sie sich auf die Bettkante und für einige Minuten herrschte Schweigen, während Aubrey sich bemühte vollends wach zu werden.
Auch sie hatte ein Schädelbrummen, vielleicht sogar noch stärker als Emily, denn die 54-Jährige fluchte: "Verdammt, ich glaub mein Schädel platzt gleich!" Ihre Schwester schmunzelte und erwiderte: "Tja Alkohol ist nun mal reines Gifts für alte Frauen wie dich." "Seeeehr witzig," hörte sie als Antwort darauf. Nach einigen weiteren Minuten Schweigen quälte sich dann auch Aubrey aus dem Bett und streckte sich erst mal.
Zu faul sich jetzt schon anzuziehen, zogen die beiden Frauen ihre Morgenmäntel übers Nachthemd und gingen so runter in die Küche, wo es erst mal einen starken Kaffee gab. Mit den Tassen in den Händen saßen die beiden Schwester schließlich am Küchentisch; Emily schlug die Zeitung auf und überflog die Hauptschlagzeilen, während Aubrey schweigend gegen ihren Kater ankämpfte. "Sag mal hast du hier irgendwo Aspirin?" fragte sie schließlich. "Oben im Badezimmer im Spiegelschrank erwiderte Emily ohne von der Zeitung auf zu blicken.
Mit einem Seufzen trank die 54-Jährige den Rest ihres Kaffees und begab sich dann die Treppe hoch ins Badezimmer, um eine Aspirin zu suchen - vielleicht würde das die Kopfschmerzen ihres Katers etwas lindern. Schließlich fand sie die Packung, musste aber feststellen, dass es Brausetabletten waren. Das war zwar nicht weiter schlimm, aber sie brauchte dafür ein Glas aus der Küche, da sie Tablette erst mal im Wasser auflösen musste. Als Aubrey wieder unten angekommen war, räumte ihre Schwester gerade die beiden nun leere Tassen in die Spülmaschine.
Die 54-Jährige nahm ein Glas aus dem Küchenschrank und füllte es mit ein wenig Wasser. Nachdem sich die Aspirin darin restlos aufgelöst hatte, nahm Aubrey das Ganze mit wenigen Schlücken zu sich und tat das benutzte Glas dann auch gleich in die Spülmaschine. Anschließend voll zog sowohl sie als auch ihre Schwester die morgendliche Wäsche mit Zähne pusten, gefolgt vom Ankleiden.
Als sie beide fertig angezogen wieder die Treppe nach unten nahmen, waren sie auch endlich vollends wach geworden und das Aspirin hatte begonnen Aubrey's unerträgliche Kopfschmerzen ein wenig zu lindern. Mittlerweile war die Mittagszeit auch schon fast rum und es ging auf den Nachmittag zu; die beiden Frauen hatten das Gefühl dass die Zeit viel zu schnell verging - was wohl eine typische Reaktion war, wenn man erst spät heim kommt und dann am nächsten Tag bis zum Vormittag blieb und schlief.
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Auf den Spuren meiner Mutter
Historical FictionHildegard Brown hat die Tyrannei des Nazi-Regimes sowie auch den zweiten Weltkrieg überlebt. Nun ist sie im Beisein ihrer 5 Kinder friedlich entschlafen. Bei der Auflösung des Haushaltes, um das Haus der verblichenen Mutter zu verkaufen, entdeckt ei...