Zwiespalt

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Was sie bisher so an Einträgen gelesen hatte, die ihre Mutter im Tagebuch nieder geschrieben hatte, erweckte beim Emily den Eindruck, dass diese mit einem gewissen Zwiespalt zu kämpfen hatte - auch wenn sie damals noch ein Kind gewesen war! 

Denn auf der einen Seite nahm sie in ihren Tagebucheinträgen alles, was die Schergen des Nazi-Regime seit der Machtübernahme taten, so hin wie es war; auch was man zu jenen Tagen bereits den Juden angetan hatte. Auf der anderen Seite stellte die kleine Hildegard Brown aber auch immer wieder mal den Sinn des Tuns der Nazis mehr oder weniger in Frage und überlegte ob das überhaupt richtig so war! Meine Mutter war für ihr damaliges Alter schon sehr gereift, dachte die 52-Jährige, denn sonst hätte sie sicherlich nicht schon so logisch über das Leben und die Welt nachdenken können.

Emily las weiter und stellte fest, dass sich die nächsten Einträge weniger um das politische Geschehen und/oder um weitere Schikane gegen Juden bzw. gegen alle Gegner um nicht zu sagen Feinde der Nazis unter Adolf Hilter als viel mehr um familiäre und/oder alltägliche Dinge drehte - sprich es waren jetzt also überwiegend Einträge, die sich im Grunde auch in jedem anderen Tagebuch eines x-beliebigen Mädchens zwischen 10 und 13 Jahren finden lassen würden.

So schrieb die kleine Hildegard Brown z.B. in einem ihrer weiteren Einträge, dass ihre Mutter plötzlich verkündigte, sie würde ab jetzt zu Hause bleiben und sich um sie und ihre Geschwister kümmern Mehrmals ging sie in ihren Einträgen darauf ein, wie schön es war, dass ihre Mutter nun viel mehr Zeit für sie und ihre Schwester hatte und erwähnte zudem auch, dass sie von anderen Kindern auf der Straße gehört hatte, dass auch deren jeweilige Mutter zu Hause blieb und nicht mehr arbeiten gehen würde.

Während die 52-Jährige weiter das Tagebuch ihrer Mutter las, vergaß sie abermals die Zeit.

11. April 1933 (Nachmittag):

Bin sauer auf meine Mutter! Ich weiß ich darf das nicht, aber sie war so gemein zu mir... ich war heute mit meiner besten Freundin aus der Nachbarschaft spielen, Judith Bodenheimer heißt sie... als meine Mutter uns sah, kam sie angerannt und hat mich einfach geohrfeigt... ich darf nie wieder mit Judith spielen und auch nicht in ihre Nähe kommen, sagt sie! Sonst wird mir Vater den Hintern versohlen... ich weiß nicht, wieso ich nicht mehr mit ihr spielen soll... aber Mutter und Vater wissen sicher, was das Beste für mich und meine Geschwister ist.

  13. April 1933 (Abend):  

Als ich eben aus der Schule kam, war meine Mutter schon zu Hause... was komisch ist, denn normalerweise arbeitet sie bis zum späten Nachmittag! Mutter sagt, dass die Regierung gesagt hat, sie müsse in Zukunft nicht mehr arbeiten sondern dürfe jetzt zu Hause bleiben und sich um uns Kinder kümmern! Bin zwar immer noch ein wenig sauer auf sie, weil sie mich nicht mehr mit Judith spielen lässt, aber dass sie jetzt mehr Zeit für uns Kinder haben wird, ist einfach toll!

Die Regierung, ist, so wie ich es verstanden habe, dieser Adolf Hitler... Ein toller Mensch, dass er einfach so meiner Mutter erlaubt, zu Hause zu bleiben... ob er das auch anderen Müttern erlaubt hat oder nur der meinigen?

15. April 1933 (Abend):

Auch die anderen Kindern aus der Straße sagen, dass ihre Mütter jetzt zu Hause bleiben und sich um ihre Kinder kümmern können... echt toll, dass der Hitler sich so sehr um das Wohl von uns Kindern sorgt!

16. April 1933 (Nachmittag):

Mein Bruder Franz hat mir meine Lieblingspuppe kaputt gemacht, nur weil ich aus Versehen Marmelade auf seine Uniform gekleckert habe, die er anziehen soll, wenn er Morgen zum ersten Mal zu dieser doofen Hitler Jugend geht... Habe schrecklich geweint, weil war ja meine Lieblingspuppe! Vater hat Franz dafür den Hintern versohlt und gesagt, wenn er das noch mal macht, dann gibt es das nächste Mal eins mit dem Gürtel!

Auf den Spuren meiner MutterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt