Ein mieses Gefühl

39 2 0
                                    

Ohne groß nachzudenken begab sich Emily vom Wohnzimmer ins Arbeitszimmer im Obergeschoss und fand dort, wie aus einem spontanen Impuls vermutet, auch tatsächlich ihren Ehegatte vor, wie er sich voll und ganz auf die Pläne und Skizzen konzentrierte, die er bezüglich eines Bauauftrages eigenhändig (teilweise alleine, teilweise aber auch gemeinsam mit seinem Geschäftspartner) angefertigt hatte - dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag, zeigte wieder mal wie gut sie sich einander nach so vielen Jahren ihrer Partnerschaft bereits kannten. 

Maximilian war sogar so in seine Arbeit vertieft, dass er nicht mal merkte, wie die 52-Jährige das Zimmer betrat. Dementsprechend zuckte er vor Überraschung kurz zusammen, als sie ihn plötzlich von hinten umarmt. "Na, schöner Mann," sagte sie und gab ihrem Ehegatten einen Kuss auf die Wange. Er tätschelte ihre Hand und drehte sich dann in seinem Stuhl zu ihr rum, um sie sehen zu können.

"Na," sagte er, "hast du das Tagebuch ausgelesen?" Seine Ehegattin nickte und ließ sich langsam auf seine Knie nieder. "Zumindest das erste," erwiderte sie und strich ihm durchs Haar, bevor sie seinen Kuss auf den Mund erwiderte. Nach einigen Minuten der Stille ließ sie ihren Blick über den Schreibtisch wandern und meinte: "Und du bist wie immer fleißig an der Arbeit wie ich sehe?" "Na ja," erwiderte Maximilian und strich ihr sanft über die Wange, " der Kunde, der Stefan und mir diesen Bauauftrag erteilt hat, ist ein hiesiger Unternehmer mit einigem Einfluss in der Gegend. Somit ist dieser Auftrag sehr wichtig für uns, da wir dadurch vielleicht noch mehr größere Aufträge kriegen. Und natürlich muss dann alles möglichst perfekt sein, wenn ich morgen die Pläne vorlege." Emily gab ihn einen neuen Kuss auf den Mund, stand dann auf und erwiderte: "Dann will ich dich nicht unnötig von der Arbeit abhalten." Sie erwiderte sein Lächeln, nahm dann ihren Laptop vom zweiten Schreibtisch (der für sie da war, welchen sie aber nur selten benutze) und ging anschließend wieder hinunter ins Wohnzimmer.

Den Laptop stellte die 52-Jährige auf den Couchtisch und begab sich kurz in die Küche, um sich ein Glas Rotwein ein zu schenken. Mit dem vollen Glas kehrte sie dann zurück, nahm auf der Couch Platz und schaltete das TV-Gerät an. Nachdem sie einen Sender gefunden hat, der etwas Interessantes brachte, nahm sie einen ersten Schluck vom Wein und ergriff anschließend den Laptop.

Nachdem dieser hochgefahren war, checkte sie zu nächst ihre Emails, um zu sehen, ob ihre Schwester Aubrey ihr inzwischen geschrieben hatte. Es war jetzt bereits einige Tage her, dass die beiden sich am Flughafen voneinander verabschiedet hatten und es kam Emily bereits jetzt so vor, als wäre das schon eine halbe Ewigkeit her. Und tatsächlich hatte Emily neben einer Reihe von Werbemails (die sie alle sofort löschte) auch eine von ihre Schwester bekommen. 

Zunächst erzählte Aubrey was so alles in alltäglichen Leben von ihr und ihrer eigenen kleinen Familie passiert war; doch am Ende ihrer Email fragte sie ihre Schwester, ob diese nun damit begonnen hatte,  die Tagebücher ihrer verstorbenen Mutter zu lesen oder eben nicht. Nachdem Emily einige Minuten überlegt hatte, schrieb sie ihrer Schwester zurück.

Selbstverständlich ging die 52-Jährige auf die Dinge ein, von denen ihre Schwester aus ihrem alltäglichen Familienleben erzählt hatte; u.a. drückte Emily ihre Freude über die schulischen Erfolge ihr Nichte aus und erzählte dann auch ein wenig über den Alltag und das Leben ihrer eigenen Familie. Abschließend schrieb sie in ihrer Antwort an Aubrey, dass sie tatsächlich angefangen hatte, die Tagebücher zu lesen, aber dies nicht einfach so über Email ihr erzählen wollte - daher schlug sie ihrer Schwester vor, dass sie beide in der kommenden Woche Abends mal via Skype telefonierten. 

Gerade als sie mit Schreiben fertig war und auf Senden geklickt hatte, um die Email ab zu schicken, tauchte ihr Ehegatte im Wohnzimmer auf. Während Maximilian dann fern sah, surfte Emily noch eine Weile mit ihrem Laptop im Internet und schaute u.a. nach neuer Kleidung bzw. Schmuck und Schuhe auf bonprix.de und amazon.de - ohne jedoch irgendwas wirklich kaufen zu wollen. Später dann legte sie das Gerät ausgeschaltet beiseite, kuschelte sich an ihren Ehegatten und schaute noch eine Weile mit ihm gemeinsam fern, bevor sie dann schließlich nacheinander zu Bett gingen.

Auf den Spuren meiner MutterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt