7 ~ Haselnussklunker

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Nein, nein, nein, hallte es durch meinen Kopf.

Mein Bauch rebellierte, mein ganzer Körper rebellierte.
Raus. Weg. Einfach weg.

Fred griff mit einer Hand in sein Jackett und entnahm ihm eine kleine schwarze Box. Er öffnete sie und darin befand sich ein Ring. Klein und Gold, in der Mitte einen Diamanten in Größe einer Haselnuss eingefasst.

Nein, bitte lass das nicht wahr sein.

Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb und mein Atem wurde schwer. Es waren zu viele Menschen in diesem Raum. Die Enge quetschte mich ein.

Eins, zwei, drei, vier...zählte ich in meinem Kopf. Keine Panik. Jetzt nicht.

Vor Entsetzen über die Frage, die sich offensichtlich schon den ganzen Abend anbahnte, öffnete ich leicht den Mund.
Konnte ich jetzt Nein sagen?
Was würde passieren, wenn ich es täte?

Ich wagte einen Blick in die Menge: meine Mutter stand da, gerührt in Tränen, dass sie dann bald um Milliarden reicher war, mein Vater sah sie ungläubig an, als würde er sie still fragen, was das soll.

Lange genug werde ich aus halten, dachte ich und schenkte ihm ein vages Lächeln. Ich wusste, dass das alles nicht sein Werk war.

Die einen waren abwesend, andere lächelten zufrieden, andere sahen mich erwartungsvoll an und ganz hinten, an den großen Fenstern, die zum Meer zeigten, stand Erik.

Das war die Strafe.

Ich musste Fred heiraten.

In einem weißen Frack, ein Tablett mit Champagner Gläsern darauf und eine Hand hinter dem Rücken.
Er rührte sich nicht. War er zu spät für mich?

Ich will Fred nicht heiraten.

Was sollte ich sagen?
Mein Blick schweifte zu meiner Mutter, ihre Augen weiteten sich und sahen mich auffordernd an. Ich hatte keine Wahl.

Fred räusperte sich. "Elise?"

Ich wandte meinen Blick zu ihm. Seine braunen Augen, die mir auf einmal bekannt vorkamen, sahen mich an, ein vages Lächeln auf dem Gesicht. Sein Haar glänzte von dem Gel, das sein Haar in Kamm-Strähnen aufteilte.
Nun räusperte ich mich und erzwang ein Lächeln.

"Natürlich", flüsterte ich. Ich hatte nicht Ja gesagt, aber das interessierte niemanden.

Fred zog überrascht seine Augenbraue nach oben.
Was war mit ihm los?
Ich hörte meine Mutter jubeln und die Gäste klatschen. Mein Blick schweifte zum Fenster, aber Erik war nicht mehr da. Mein Brustkorb zog sich zusammen.

Hatte er mich aufgegeben?

Fred nahm meine Hand und steckte mir den Ring an den Finger, dann erhob er sich und küsste mich. Ich schluckte und erzwang ein Lächeln. Ich weis nicht, ob es glücklich aussah.

Als wir von der Bühne stiegen, sah ich schwarz und das Letzte, was ich hörte bevor ich mich der ruhigen Dunkelheit überließ, war meine Mutter.

"Das ist sicher die Aufregung! Fred, herzlichen Glückwunsch!"

***

"Liebes?", murmelte Rosella vorsichtig und tupfte meine Stirn mit einem feuchten Tuch. Ich öffnete die Augen. Die Abendsonne strahlte durch das Fenster im kleinen Nebenraum des großen Saals, in dem die Party hörbar zu Gange ging.

"Was war denn los?", fragte ich und hielt mir den Kopf als ich mich aufrichtete.
Dann bemerkte ich etwas seltsames an meinem Finger. Der Schrecken der Realität holte mich ein.
Ich sprang auf und rannte in das angrenzende Badezimmer.

Als ich zurück kam, saß Madame Moulin, unsere Ärztin, auf dem Canapé von dem ich aufgesprungen war.
"Setz dich", sagte sie und rührte eine Flüssigkeit in ein Glas. Dann reichte sie es mir.
"Trink, das beruhigt dich. Hast du das öfters?"
"Manchmal", log ich.

Es schmeckte bitter und widerlich nach Medizin. Ich verzog das Gesicht.
"Sie essen nicht genug, Mademoiselle Benetau. Es ist kein Wunder, dass sie bei so einer Hitze in Ohnmacht fallen."
Sie bemiss meinen Blutdruck.
"Ich...", setzte ich an, wusste aber nicht was ich sagen sollte. Das Gerät quetschte meinen Oberarm ab.

"Übergeben Sie sich oft?" Ich zuckte mit den Schultern.

"Mehrmals am Tag, Madame", sagte Rosella und reichte mir ein normales Glas Wasser. Erik musste ihr das erzählt haben.
"Erik sagt, sie leidet auch Atemnot. Immer, wenn dieser Fred bei ihr ist. Danach geht es ihr schlecht. Seit sie mit ihm ist, isst sie auch so wenig."

Madame Moulin schaute mich an. "Stimmt das?" Ich nickte beschämt.
"Und diese Hämatome?" Ich blickte auf meine Arme und mein Handgelenk, das sich lila blau bis grün gefärbt hatte. Das Make-up war leicht verschmiert mit dem es Rosella verdecken wollte.

Mein Atem wurde schwer, mein Mund trocken.
"Fred", sagte Rosella. Madame Moulin nickte und nahm das Gerät von meinem Arm.

"Rede mit ihm, nur du kannst etwas dagegen machen." Mit Fred reden? Ich lachte. Rosella begann die blauen Stellen mit Make-up abzudecken.

"Sie leiden an Panikattacken, wenn ich das richtig sehe, leicht depressiv."
Ich lachte auf.
"Das ist eine ernst zunehmende Krankheit."

"Ich bin nicht krank", sagte ich und lachte wieder. Rosella kniete sich nun vor mich und streichelte meine Hand.
"Ich muss sie behandeln, bevor die Depressionen fortschreiten und die Attacken nicht mehr behandelbar sind." Sie lächelte mich mitfühlend an.
Wieder lachte ich. "Leicht depressiv?" Nein.

"Fühlen sie sich manchmal taub? Abwesend? Weinen sie oft? Einfach so? Tun Sie oft einfach nichts?" ***

"Ja, aber das heißt doch nichts!", unterbrach ich sie.

"Elise", sagte sie ruhig, "ihre Mutter wird es nicht erfahren."

Meine Welt drehte sich. Wer bin ich?

Sie kramte in ihrer Tasche und gab mir eine Dose mit Pillen. "Die beruhigen, sie sind pflanzlich. Nimm eine, wenn du merkst, dass es dir schlechter geht."

Sie lächelte mir noch einmal aufmunternd zu und verließ dann das Zimmer. Rosella setzte sich neben mich und legte einen Arm um mich.
Das Lachen war mir vergangen.

"Ich bin für dich da, Liebes."

Ungläubig starrte ich die kleine Dose an.
Panikattacken? Leichte Depressionen? Was ist aus mir geworden?

Ich kannte die Ursache ganz genau. Mit ihm war ich verlobt.

Ich hatte mich in mein eigenes Unglück gestürzt.
Meine Hände zitterten.
Rosella streichelte meinen Rücken und das Drehen meiner Gedanken verlangsamte sich.

"Babe?" Fred steckte seinen Kopf durch die Tür. Rückartig schaute ich auf.
Rosella nahm die kleine Dose und ging auf ihn zu.

"Es geht ihr besser, aber sie sollte heute früh auf ihr Gemach gehen und sich ausruhen," meinte sie höflich, aber mit einem harschen Unterton.

Also stand ich, oder mein Körper, auf und begleitete Fred auf unsere Verlobungsparty.

Meine Gedanken und meine Seele verblieben in dem Raum und hofften.

Erik würde mich retten.

Das würde er doch?


[edited 2017]
Kxx
*** diese Symptome sind fiktiv! Ich bin kein Arzt und kenne auch nicht die genauen Symptome. Die Tabletten/Pillen sollen harmlose Bachblüten darstellen.

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