21 ~ Gesellschaftszwänge

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Ich lag in seinen Armen, unsere Finger auf seinem Bauch verschränkt. Das Lächeln wollte aus meinem Gesicht nicht weichen.
Glückselig - dieses Wort hatte bei mir nun eine ganz neue Bedeutung.

Er küsste mich noch einmal. "Du solltest dich fertig machen", flüsterte er. Nach einer letzten Umarmung stand ich auf und sprang unter die Dusche.

Es war ein seltsames Gefühl. Ich fühlte mich...anders.

Als ich fertig war wickelte ich mich in einen Bademantel und trat in das Zimmer. Erik hatte bereits das Bett gemacht und seine kleine Tasche unter das Bett geschoben.

"Nicht, dass das Zimmermädchen auf falsche Ideen kommt," grinste er und küsste mich. Er lehnte seine Stirn an meine und schloss die Augen.

"Ich wünschte, wir könnten immer so glücklich sein. Weit weg von all den Problemen, nur du und ich."

Ich streichelte seine Wange. "Das werden wir, irgendwann," meinte ich und sprach auch an mich. Wir müssen es schaffen.
Er nickte nur und duschte dann selbst.

Ich holte eines dieser schicken Kleider hervor, eines, dass mir Fred geschenkt hatte. Ich wollte es nicht anziehen, aber es war nun mal eine Show. Als Erik aus der Dusche trat, bat ich ihn den Ausschnitt ein wenig zu zunähen.

Es klopfte.

"Ja?", antwortete ich.
"Madmoiselle Benetau, schön, dass Sie da sind!", sagte eine Frau mit hochgesteckten roten Haaren.

Ich erhob mich vom Bett, den Bademantel um mich geschlungen.

"Kann ich Ihnen helfen?", fragte ich. Sie holte ein Klemmbrett und einen Stift hervor.
"Ich bin Maëva Giennois, Journalistin für die 'célèb du sud'! Ich würde ihnen gerne ein paar Fragen zu ihren großartigen Beziehung zu Monsieur Fontaine stellen."

Sah diese Frau nicht, dass ich in einem Bademantel hier saß? Hatte sie jedes Zimmer einfach abgesucht? Wie war sie hier reingekommen?
Ich konnte nicht antworten.

"Madame Giennois, ich fürchte Madmoiselle steht Ihnen gerade nicht zur Verfügung", schaltete sich Erik ein.

"Wer sind Sie? Ihr Manager?", fragte sie leicht genervt.
"Sehr wohl. Ich bitte Sie jetzt zu gehen, Madmoiselle muss ihr Kleid für den Empfang anprobieren", sagte er, immer noch ruhig und zeigte ihr das Kleid, an dem noch die losen Fäden hingen, mit der Nadel in seiner Hand.

Sie verdrehte die Augen, dann sah sich mich an, wieder mit einem makellosem Lächeln. "Wie bedauerlich, ich hoffe, wir können uns später unterhalten", sagte sie und drehte sich zur Tür.

In diesem Moment kam Fred gefolgt von zwei Bodyguards.
"Raus hier! Sie befinden sich in unseren Privaträumen! Es ist ihnen nicht gestattet sich hier aufzuhalten!", fauchte Fred sie an.
"Schon gut, ich gehe", murmelte sie und stöckelte davon, gefolgt von den Bodyguards.

Benommen stand ich da, nicht in der Lage mich zu bewegen. "Alles okay?", fragte Fred. Ich nickte nur. "Komm doch in zehn Minuten rüber, dann gehen wir zusammen runter. Die warten schon alle im Garten," sagte er bedrückt.

Als die Tür ins Schloss fiel, holte ich Luft und atmete schwer. Die Frau war bis in mein Schlafzimmer gekommen!

"Shh, es ist alles gut," meinte Erik und richtete meine Schultern auf. "Das wird nicht nochmal vorkommen. Atme langsam, du kollabierst gleich."

Aber ich konnte nicht. Hatten sie etwas von uns mit bekommen? Was wusste sie? Warum waren wir so leichtsinnig? Das Haus hatte sich so sicher angefühlt.

Erik reichte mir eine der kleinen Pillen. "Elise, komm runter," versuchte er mich zu beruhigen und zog mich in eine Umarmung. Seine Wärme schlich sich bis in meine Knochen.

Vor ein paar Stunden war die Welt noch perfekt. Warum konnte es nicht so bleiben? Warum?

Mit meinem Kopf an seinen Brustkorb gelehnt, nahm ich die Pille aus seiner Hand.
In Schock weiteten sich meine Augen und mir blieb erneut der Atem weg.

Ich sah Erik an, die kleine weiße Pille auf meiner Handfläche. Ich glaube, er verstand, denn er spiegelte meinen Gesichtsausdruck.
Leichtsinnig im wahrsten Sinne des Wortes. Wir hatten vergessen zu denken, mitzudenken.

Der Trubel um die Pressefrau war wie vergessen.
Stille um uns, aber die Geräusche des Empfangs waren schon zu hören.

Es klopfte. "Elise? Bist du soweit?", fragte Fred.
"Gleich," sagte ich tonlos und schluckte die Pille, die falsche, aber das war mir egal. Ich hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Erik war ebenfalls in Trance als er mir half das Kleid anzuziehen. Ich flocht meine Haare zu einem Zopf und öffnete die Türe.

Fred wartete im Anzug auf dem Flur. Seine Haare gegelt, die Arme hinter dem Rücken, sein Hemd zeichnete seine Brustmuskeln ab. Wie immer.
Ob er nur zur Show so aussah? Was würde er sonst tragen?
Ich warf Erik einen letzten Blick zu. Er versuchte zu lächeln, aber es misslang ihm kläglich.

Wortlos liefen wir die Treppe hinab. Das Zitronengelbe Kleid war luftig, sodass man die Kürze nicht allzu sehr bemerkte.
Als wir die Tür zur Terrasse öffneten, kam uns eine Hitzewelle entgegen und eine Traube von Menschen hatten sich dort versammelt.
Es erinnerte mich gnadenlos an den Tag der Verlobung. Ich schluckte, dann setzte ich ein Lächeln auf und nahm Fred's Hand, die er mir hinhielt.

Ich erblickte Marie in der Menge, eine andere als die heute Mittag im Salon. Sie lachte und jubelte. Auch die Pressefrau stand neben einem Fotographen, dessen Blitze uns blendeten. Ich hasste meine Mutter mit jeder Sekunde mehr. Wie konnte sie uns das antun?

Aber ich lächelte, zeigte stolz meinen Haselnussklunker in die Kamera. Wir tranken, der Alkohol benebelte unsere Sinne.

Erik servierte, aber ich versuchte ihn nicht zu beachten. Die Presseleute würden Verdacht schöpfen.

Fred war wieder ganz der Alte, nur, dass er meine Hand hielt und nicht mein Handgelenk zerquetschte.
Er lachte, erzählte von unseren Tagen am Strand und seinem Antrag.

Der Abend war schon fast zu Ende. Wir lachten immer noch, meine Gesichtsmuskeln schmerzten von der unechten Bewegung.

Fred nahm ein weiteres Glas mit Champagner und bemühte sich um Aufmerksamkeit.
"Liebe Gäste, wir danken Ihnen herzlich für Ihr Kommen! Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend!", verabschiedete er die Gäste.

Ich wollte mich schon erleichtert umdrehen, mich endlich schlafen legen bis ich ein Wort hörte.

"Küssen!", rief jemand aus der Menge. Ich hielt in meiner Bewegung inne. Nein.
Auch Fred verlor kurz die Fassung, lachte aber dann und schüttelte den Kopf.
Plötzlich fingen alle an zu rufen.

"Ein Kuss von dem glücklichen Paar!"
Ich blickte zu Marie, weiß wie Kreide, aber sie sagte kein Wort. Wie konnte sie das zulassen?

"Na los, Monsieur Fontaine, küssen Sie ihre zukünftige Braut!"
Mir stieg die Magensäure auf, mein Brustkorb wurde schwer.

Fred schaute mich an, stellte sich direkt vor mich. Konnte er die Panik in meinen Augen sehen?
Er strich meinen Zopf entlang, der über meiner Schulter lag.
Tränen bildeten sich in meine Augen, aber ich drückte sie zurück.

Sie dürften es nicht erfahren. Wir müssen die Show noch aufrecht erhalten.
Er näherte sein Gesicht zu meinem, an meiner Wange vorbei.
"Es tut mir leid", flüsterte er in mein Ohr und küsste mich dann. Ich schloss meine Augen, ich konnte ihn nicht ansehen.

Die Gäste jubelten und ein Blitzlichtgewitter prasselte nieder.

Es war pervers. Wie schrecklich war diese Gesellschaft, dass sie uns zu so etwas zwang?

Diese Welt war wahrhaftig eine Bühne. Und es war so unendlich traurig.

Aber was ist, wenn wir sie zu unserer Bühne machten?
Was ist, wenn wir die Spielführung übernahmen?
Was passiert, wenn wir der Presse etwas verkündeten?

ERIK Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt