30 ~ Schuldschwert

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"Wo warst du so lange? Nicht mal Fred hat gewusst, wo du steckst." Erik saß auf meinem Bett und auf dem Nachtisch stand ein Teller mit zwei Stückchen Schokoladen Kuchen.

Mein nasses Haar tropfte auf mein Shirt und das Salzwasser juckte auf meiner Haut. Ich zitterte. Das Haus war kalt, jede Wärme ausgeschlossen. Ich stand immer noch in der Tür, die Klinke in der Hand.

"Du bist ja ganz nass," stellte Erik fest und kam auf mich zu. Seine besorgten Augen drehten das Schwert der Schuld noch tiefer in meine Brust. Ich knallte die Tür zu und lief ins Bad.
Erik nahm ein Handtuch und legte es um meine Schulter.

"Ich kann das selbst!", fauchte ich ihn an. Ich konnte ihn nicht ansehen. Was hatte ich nur gemacht?
"Hast du getrunken?" Nun trafen sich doch unsere Blicke. Ich schälte mich aus den nassen Klamotten und duschte. Erik war wortlos gegangen.

Ich hatte ihn betrogen, hatte ich das nicht?
Ich hatte fremdgeküsst.
Es war etwas anderes als mit Fred. Ich habe William freiwillig geküsst. Ich habe es nicht verhindert.
Es hat niemand gesehen.

In der Stille des Meeres könnte ich dieses Geheimnis ertrinken lassen.

Würde die Wahrheit uns nicht zerstören?

*

Als ich in mein Schlafzimmer trat, saß Erik wieder auf dem Bett, der Kuchen immer noch unberührt. "Es tut mir leid, dass ich keine Zeit für dich habe," sagte er und nickte mit seinem Kopf auf den Kuchen. Es brach mir das Herz.
Nein, ich musste es ihm sagen.

Er hat die Wahrheit verdient.

Tränen stiegen in meine Augen, aber ich versuchte sie zurück zu drängen.

"Ich...wir haben uns geküsst", stieß ich hervor und blieb vor dem Bett stehen. Er sah mich verwirrt an, dann schüttelte er den Kopf und lachte seltsam auf.

"Was?"
"William und ich... Es tut mir so leid! Ich weis, es war dumm von mir! Ich war betrunken, glaube ich, ich weis, das ist keine Ausrede! Es tut mir leid!", wimmerte ich.

Erik sah mich an, ganz starr. Das Blau in seinem Augen verdunkelte sich, dass es mir eine Gänsehaut bescherte.

Dann stand er auf. Diese unheimliche Stille stand zwischen uns. Jede Sekunde verstrich, jeder Herzschlag noch lauter, schneller.

Waren die Probleme zu groß für uns? War der Kuss das letzte Tröpfchen, dass das Fass zum überlaufen brachte? Uns auseinander brachte?

Er drehte sich von mir weg, sein Gesicht in den Händen vergraben. Dann schluchzte er laut auf und umarmte mich stürmisch. "Aber ich liebe dich doch!"
"Erik, es tut mir so leid!", vorsichtig legte ich meine Arme um ihn.

"Bitte, Elise, nimm ihn, ich sagte doch ich bin nicht gut genug für dich!"
"Nein! Das war nicht deshalb, es war einfach... Dumm! Ich weis nicht, was mit mir los war! Erik, ich liebe dich, nur dich!"
Er löste sich von mir und wischte sich über das Gesicht. "Er ist toll, Elise, er könnte dich glücklich machen."
"Ich will aber nicht, dass er mich glücklich macht!" Dann drehte er sich um und ging. Seine Augen voller Enttäuschung.

Ich lies mich vor meinem Bett runter, zog meine Knie an mich und weinte.

*

Als ich am nächsten Morgen mit schmerzenden Gliedern auf dem Boden aufwachte, bemerkte ich, dass mich jemand zugedeckt hatte.
Ich richtete mich auf und keine Sekunde später hing ich über dem Klo. Ein Schub, nichts weiter.
Aber mein Gewissen plagte mich. Ich hatte es nicht anders verdient.

Anaïs kam irgendwann mit einem Tablett, gedeckt mit Frühstück, herein. "Das soll ich dir noch geben," sagte sie und reichte mir einen Zettel.

Erik war bei mir. Es tut mir leid. Ich will nichts kaputt machen. Wenn alle Fäden reißen, bin ich für dich da!
William

*

Am nächsten Tag suchte ich Erik im Ankleidezimmer auf. Ich konnte das nicht zwischen uns so stehen lassen.
Vorsichtig trat ich ein. "Hallo Erik," murmelte ich.
"Du bist gekommen!", sagte er und umarmte mich. Ich war etwas überfordert.
"Ja, natürlich! Es hat wirklich nichts bedeutet."
"Das weis ich doch!", meinte er und küsste mich auf die Stirn.

"Wenn du deine Freiheit brauchst, dann gebe ich sie dir." Womit hatte ich ihn verdient? Gar nicht.

Tränen liefen mal wieder über mein Gesicht. "Es tut mir leid."
Er umrahmte mein Gesicht mit seinen Händen und küsste mich dann. Mit jeder Sekunde hasste ich mich selbst.
Es waren nur seine Lippen, die ich spürten und schmecken wollte.

"Na, na, na, Elise! So wenige Tage vor deiner Hochzeit solltest du keinen anderen Mann küssen!" Erschrocken drehte ich mich um und blickte in das selbstgefällige Gesicht meiner Mutter.

Ich stellte mich vor Erik, der meine Hand nahm.
"Vor allem nicht einen Niemand."

"Das ist Erik Martiné und er ist alles, was ich will."
Sie lachte höhnisch auf und schnipste mit dem Finger.

"Ist das Kleid wenigstens fertig?", fragte sie Erik.
"Nein Madame, der untere Saum muss noch genäht werden und die Anpassung natürlich. Aber bis Übermorgen wird es fertig sein."
"Übermorgen? Hast du die Nachricht nicht erhalten, dass die Hochzeit vorgeschoben wird? Morgen ist der große Tag!"

"Mutter, es gab gar keine Nachricht! Selbst ich weis nicht Bescheid!"
"Tja, was für ein ungünstiger Zufall," sie schüttelte mitleidig den Kopf. "Nehmt ihn mit."

Zwei ihrer Bodyguards kamen in den Raum und liefen auf Erik zu.
"Nein! Wo bringst du ihn hin?"
Sie schubsten mich zur Seite und ergriffen Erik an den Armen. Er versuchte sich zu wehren, aber es war zwecklos. Sie zwangen seine Arme hinter den Rücken, dass er kurz aufschrie.
"Lasst ihn los! Sofort!", brüllte ich und krallte mich an einen der Bodyguards, der mich mühelos zur Seite schob.

"Elise, lass es einfach. Probier das Kleid, ich besorge einen anderen Näher," sagte sie gelangweilt und stöckelte davon.

"Mutter!", rief ich und ergriff sie am Arm. "Lass ihn gehen."
Sie tätschelte meine Wange. "Keine Sorge, Kind, er wird gehen."
Die Bodyguards schoben Erik aus dem Raum und meine Mutter folgte.
"Ich komme zurück, Elise, ich liebe dich!", rief er noch.
"Ich dich auch!", antwortete ich bevor meine Mutter die Tür vor meiner Nase zu knallte und abschloss. Von außen.

Ich rüttelte an der Türklinke.

Zu.

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