33 ~ Verbannt

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Ein Schuss.

Clemance zuckte ängstlich zusammen.
"Ich schaue mal nach Fred," meinte William und ging an Deck.
Endlich konnte ich mich überwinden einen Fuß vor den anderen zu setzten.

Die Schuld nahm mich völlig ein. Was erlitt Erik nur alles wegen mir?

"Er muss viel trinken und schlafen. Es sollte sich von selbst abbauen...bis morgen auf jeden Fall," murmelte Clemance und nahm eine Flasche Wasser aus dem Vorratsschrank.
"Erik? Du musst etwas trinken", sagte sie und hob seinen Kopf an. Er flatterte mit den Augenlieder.
"Lass mich doch in Ruhe, ich bin bald aus dem Weg, dann...dann ist alles gut," lallte er und verzerrte das Gesicht.
Seine Worte taten mir weh und dennoch traute ich mich nichts zu sagen.

"Das ist das Mittel, Elise, bei dieser Dosis..", erklärte sie und unterbrach sich als er etwas zu sagen versuchte.
Clemance  redete noch eine Weile auf ihn ein bis er endlich trank. Ich ertrug es nicht, das Leiden und die Schuld, aber ich wollte nicht schon wieder in Selbstmitleid ertrinken. Das hatte es bisher nur schlimmer gemacht.

Also wandte ich mich ab und riskierte einen Blick auf Deck.

Fred saß am Steuer. Das Wasser spritzte über die Reling, dass der ganze Boden nass war.

Wir fuhren schnell.
Der Wind rauschte, die Sirenen schrillten durch die Luft. William duckte sich neben Fred und sprach in ein Funkgerät.

"Wir werden verfolgt, sie schießen  auf uns," wiederholte er.

"Verstanden," ertönte es aus einem Lautsprecher. Ich sah ein größeres Schiff, offensichtlich von der Küstenwache, das hinter uns fuhr. Die Sirene heulten immer noch ohrenbetäubend laut.
Ich stieg noch eine Stufe höher.
Hinter der Küstenwache raste ein kleines Motorboot mit zwei dunklen Gestalten, das zügig aufholte.

Das Motorboot rauschte an dem Schiff vorbei und ein weiterer Schuss fiel. Erschrocken presste ich mich an die Wand, mein Gleichgewicht über Bord geworfen.

Dann tauchten zwei weitere der kleinen schnellen Boote mit dem Küstenwachenlogo auf, die nun endlich das Verfoglerboot einkesselten und dessen Geschwindigkeit drosselten.

Wir gewannen an Abstand.
Meter um Meter.
Die Sirenen verloren sich in den brechenden Wellen.
Mein Herz schlug gegen meinen Brustkorb, der sanfte Stoff klebte an meinen Beinen und meine Haare flatterten unkontrolliert im Wind.

Fred überlies William das Steuer und bereitete die Segel vor.

Als diese den Wind einfingen, wackelte das Boot unangenehm und ich schrie erstickt auf.

Das Land wurde witzig klein, der Lärm kaum hörbar. Das kleine Motorboot eingekesselt.

"Du solltest unten warten!", sagte William als er mich entdeckte und warf mir einen besorgten Blick zu.
"Hier halt das!", kommandierte Fred, zog mich auf Deck und drückte mir ein Seil in die Hand.

*

Ich wusste nicht wann oder wie lange wir segelten, aber irgendwann erreichten wir Monaco. Wir ankerten vor einer Bucht. Die Sonne war schon gesunken, nur ihre Abschiedsstrahlen erhellten den Himmel.

William und Fred bereiteten uns ein Abendessen aus den Vorratssachen zu während Clemance sich um Erik kümmerte.

Auf den zweiten Blick war die Kabine relative groß. Es befand sich sogar eine kleine Kochstelle gegenüber von Erik's Bett.

Mein Magen knurrte. Das war wohl der Hunger. Gegessen hatte ich heute noch nicht.

Clemance und ich brachten das Essen auf Deck und setzten auf den Bug des Bootes. Fred öffnete eine Flasche Wein.

Und so saßen wir da, Fred und ich in unserer Hochzeitskleidung und Clemance und William in ihren besten Klamotten.

"Was für ein Tag," meinte Fred und hob sein Glas. Er zog Clemance an sich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Sofort überfiel mich die Sehnsucht nach Erik. 
"Auf uns," sagte William dann.

Das Baguette schmeckte gut. Und der Käse war herrlich lecker. Ich weis nicht, wann ich das letzte Mal so viel gegessen hatte.

Irgendwann rückte William näher zu mir und schenkte mir Wein ein.
"Danke," sagte ich, "also für heute...ich weis nicht, was ich..." Meine Stimme brach. Der Wein kreiste unberührt im Glas.

"Du warst heute echt mutig," sagte Fred, "ich dachte zuerst, ich hätte mich verhört!"
"Du hättest das Gesicht von deiner Mutter sehen sollen!", rief William und lachte laut los. "Und diese Reporter, also wirklich..." Er schüttelte den Kopf und nahm noch einen Schluck.

"Ja, es ist schrecklich," fügte Clemance hinzu und schaute verträumt auf das Meer.
Das Wasser war still, nur die knartschende Seile waren zu hören und ein sehr sanfter Wellengang.

"Trotzdem...vielen Dank an euch alle," sagte ich.
"Wir sind doch deine Freunde!", lächelte Clemance.

Fred richtete sich auf. "Was das angeht...Elise, es...es," setzte er an, schaute unsicher auf das angebissene Baguette,"es tut mir leid, alles, was ich dir..." Er verstummte, schluckte.

"Das ist okay," meinte ich und legte meine Hand auf seine Schulter. Ich hätte auch alles für Erik getan. Ich würde alles für Erik tun. Alles.

Er lächelte verlegen. Ich zog den Haselnussklunker von meinem Finger.
"Hier, der gehört dir," sagte ich und hielt ihm den Ring in meiner offenen Handfläche hin. Er lächelte und schloss meine Finger um den Ring. "Behalte ihn, verkaufe ihn, nutze ihn für etwas sinnvolles," meinte er.
"Aber der war so teuer!", entgegnete ich.
"Es war trotzdem ein Geschenk."
"Danke."

Und ich wusste nicht warum, aber ich stand auf und umarmte ihn. Ehrlich. Meinen Halbbruder.

*

Dann klingelte sein Handy. Angespannt nahm er ab.
Eine tiefe Stimme ertönte durch den Hörer. Erleichtert atmete er aus und gab mir das Handy.

"Ja?"
"Elise! Gott sei dank geht es dir gut! Es tut mir so leid, dass ich nicht da war! Ich war arbeiten und als ich nach Hause kam, war niemand da! Rosella kam verzweifelt auf mich zu und erzählte mir alles!", er schluchzte. "Es ist alles okay, Papa!", versuchte ich ihn zu beruhigen.

"Mein liebes Kind! Glaub mir, ich werde deine Mutter dran bekommen! Ich werde mich dann melden, wenn die Situation geklärt ist."
"Wie meinst du das?"
"Jetzt könnt ihr auf keinen Fall zurück kommen! Hier ist alles in Aufruhr! Fahrt irgendwo hin, wo sie euch nicht erreichen kann. Ich regele alles weitere von hier!" Er redete immer schneller. "Ich muss jetzt-"
Und dann brach die Verbindung ab.

Geschockt starrte ich auf das Handy. William nahm es mir aus der Hand und umarmte mich.

"Ich habe gehört, dass Sardinien schön sein soll. Und auch das Essen soll fantastisch sein!"
Er strich beruhigend über mein Haar. "Außerdem wollten wir noch kochen."
"Froschschenkel?", fragte ich und musste doch etwas Lächeln. Wir waren jetzt in Sicherheit. Wir alle.

"Oh nein, danke, lieber...etwas anderes!"

Als das Licht des Tages schlief und der Mond sein Glitzern über die Wasseroberfläche verteilte, begaben wir uns in die Kabine. Erik schlief immer noch tief und fest. Ich setzte mich neben ihn und küsste ihn auf die Stirn.

"Also Clemance und ich nehmen die Koje hier vorne-"
"-hier gibt es Zimmer?", unterbrach ihn Wiliam.
"Ja klar!", lachte Fred und schlug William freundschaftlich auf die Schulter. "Also...hier hinter der Treppe ist noch eine Koje Doppelbett, das könnt ihr unter euch aus machen." Damit öffnete er seine Koje.

"Aber," warf Clemance ein und hob ihren Zeigefinger, "Erik wird nicht bewegt. Er muss durchschlafen."

"Okay," meinte William und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. "Dann wohl du und ich," sagte er und grinste mich an.

Plötzlich wurde mir warm bei dem Gedanken neben ihm zu schlafen.

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