14 ~ Körperwärme

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Ich rannte den Strand entlang.
Die Wellen krachten neben mir ein. Dann sah ich ihn. Jemand kniete neben ihm.

Ich war zu spät.

Mein Brustkorb zog sich zusammen, mein Herz übersprang einen Schlag.

Ich lief schneller, die salzige Luft brannte in meinen Lungen. Der Sand verlangsamte meine Schritte, aber ich quälte mich vorwärts.

Ich war zu spät.

Meine Knie gruben sich in den blutgesaugten Sand.
"Erik", stieß ich hervor. Ich nahm seine Hand, kalt, zu kalt und lehnte mich über ihn. Er atmete.

Eduardo saß neben ihm, ein Funkgerät in der Hand.
"Ich habe den Notarzt geholt," hörte ich ihn sagen und irgendwas von, er habe ihn erst vor fünf Minuten gefunden, weil die Strömung auf dem Meer so stark war, aber meine Aufmerksamkeit galt Erik.

Überall Blut. Sein Gesicht war geschwollen, seine Augen geschlossen und er zitterte. Ich zog mein Shirt aus, legte es auf ihn. Dann riss ich seines Vorsichtig auf und legte mich mit meinem fast nackten Oberkörper neben ihn. Er war eiskalt.
Ich umarmte ihn vorsichtig und wärmte ihn.

Er wird erfrieren.

Sein Blut klebte an mir, aber ich konnte seinen schwachen Atem hören.

"Verlass mich nicht," flüsterte ich. "Wir müssen doch in unserem Haus in den Reben...", meine Stimme versagte. Ich schluchzte und kuschelte mich an ihn. Ich musste ihn aufwärmen.
Er ist so kalt.

"Ich liebe dich," hauchte ich und küsste ihn auf die Stirn. Sein dunkles Haar was nass von Blut, Schweiß und Meerwasser.
Er hustete. Ich nahm seine Hand. "Es ist gleich Hilfe da. Halte durch. Bitte."

Wenige Minuten später kam die Küstenwache und brachten ihn ins Krankenhaus.
"Gut, dass sie gewärmt haben, sonst wäre es um einiges kritischer. Aber es tut mir leid, Madmoiselle, im Hubschrauber ist nicht genug Platz, wir müssen uns beeilen, kommen sie ins Krankenhaus", sagte mir der Notarzt und so blieb ich am Strand und starrte in den dunklen Nachthimmel.

*

Das Piepsen der Maschinen und das leise Atmen von Erik waren die einzigen Geräusche in dem weißen sterilen Krankenhauszimmer. Ich saß auf einem ungemütlichen Holzstuhl und starrte auf den Monitor, der den Rhythmus von Erik's Herz aufzeichnete.

Es war alles meine Schuld.

Unzählige Prellungen, zwei gebrochene Rippen, eine ausgekugelte Schulter und die Platzwunde am linken Auge.
Fast erfroren und mit hohem Blutverlust haben sie ihn hier eingeliefert und notoperiert.

Wegen mir. Ob er mich dafür hassen würde?
Auf jeden Fall hasste ich mich dafür.

Ich nahm vorsichtig seine Hand. Das Piepsen beschleunigte sich. Erschrocken ließ ich seine Hand wieder los.
Sein Gesicht war mit Hämatomen übersät und sein linkes Auge zu geschwollen.
Sein rechtes Auge blinzelte.
"Erik?" Seine Mundwinkel zuckten, dann verzerrte er schmerzhaft sein Gesicht.
"Elise", murmelte er kaum hörbar und ergriff meine Hand, die neben seiner lag. Dann schlief er wieder ein.

Tränen versperrten mir die Sicht.
Was hatte ich nur angerichtet?
Was habe ich dem Menschen angetan, der mich am meisten liebt? Den ich am meisten liebe?
Was bin ich nur für ein Mensch?

Ich legte seine Hand an meine Stirn und weinte leise vor mich hin.

*

Zwei Tage lag er nun hier, nicht wieder zu Bewusstsein gekommen.
Die Ärzte meinten es sei normal, er habe viel Blut verloren und sein Körper würde ihn heilen.

Also wartete ich mit Schuldgefühlen in meiner Brust und ließ seine Hand nicht los.

*

"Liebes, geh nach Hause. Du musst etwas essen und schlafen!", Rosella streichelte mein Haar.
Ich schüttelte müde den Kopf.
"Ich passe auf ihn auf und rufe sofort an, wenn es Neuigkeiten gibt."

Ich starrte Erik an. Hatte ich Hunger? War ich müde? Ich wusste es nicht. Rosella stand auf und kam ein paar Minuten später mit Madame Moulin zurück.

"Sie ist total abwesend. Seit einer Woche sitzt sie hier. Isst kaum, schläft nicht. Ich glaube, es ist schlimmer geworden," hörte ich Rosella sagen als wäre ich nicht im Raum.
"Ich werde mit ihr reden." Madame Moulin setzte ich neben mich.

"Elise?" Nichts.
"Ich weis, du fühlst dich jetzt verantwortlich, aber es ist nicht deine Schuld. Du musst nach Hause. Es bringt ihm nichts, wenn du hier verhungerst."
"Ich habe kein Zuhause," sagte ich.
"Komm mit, Erik braucht Ruhe. Du hilfst ihm so nicht." Tränen sammelten sich in meinen Augen.
"Wir können ihn bald mit zu uns nehmen, wenn wir ein anderes Bett in sein Zimmer bekommen, okay?" Sie lächelte mich an und legte eine Hand auf meinen Arm.

Ich wollte, dass er gesund wird. Sein Gesicht ruhte friedlich, aber emotionslos. Ich wollte ihn wieder lachen sehen. Es kamen keine Tränen mehr, aber ich schluchzte und schloss meine Augen.

"Okay, kann ich noch zwei Minuten mit ihm alleine sein?" Sie nickte und verließ das Zimmer.

Ich beugte mich über Erik.
"Ich muss jetzt gehen, bitte hasse mich nicht dafür," flüsterte ich und gab ihm vorsichtig einen Kuss.
"Ich vermisse dich so sehr."

ERIK Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt